Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 290 Rathaus 1529

Beschreibung

Bemalte Holzverkleidung. Auf der Holzverkleidung vor und zwischen den vier Wandschränken der südlichen Westwand in der Gerichtslaube (Ratsdörnse) figürliche Darstellungen. Auf den Schranktüren jeweils zwei männliche Figuren in prächtiger Renaissancekleidung vor einer Landschaft, die oben jeweils von einem gewundenen Schriftband umgeben sind (A–H). Die Versalien und Worttrenner in Rot, die übrigen Buchstaben in schwarz auf hellem Grund. Im zweiten Bildfeld oben zwischen den Figuren die Jahreszahl I. In die Bildfelder sind goldene Großbuchstaben (J) eingefügt, wohl alte Registraturbezeichnungen: im ersten Bildfeld oberhalb des Arms des links stehenden Mannes, im zweiten Bildfeld links in Schulterhöhe des links stehenden Mannes, im dritten Bildfeld oberhalb des Arms des links stehenden Mannes und links in Schulterhöhe des rechts stehenden Mannes, im vierten Bildfeld oben seitlich und zwischen den Beinen der Männer. Zwischen den Türen jeweils eine kleinere Figur auf einem kandelaberartigen Ornament, zwei junge Männer und eine Frau in der Mitte ehemals mit Inschriften auf Schriftbändern. Die Inschrift K überliefert Gebhardi unvollständig und ordnet sie einer Männerfigur zu, sie lässt sich aber mit den heute weitgehend unleserlichen Resten auf dem Schriftband der Frau in Einklang bringen. Auf den zwei Pfeilern zwischen den Fenstern der Südwand ebenfalls auf Verkleidungen der Wandschränke je eine weitere Figur, das Spruchband der linken noch mit Resten der Inschrift L, das Spruchband der rechten heute leer. Die Inschriften K und L sind ohne Lokalisierung auch bei Büttner überliefert. Die Überlieferungen von Büttner, Gebhardi und Mithoff zeigen, dass die Inschriften bei der Restaurierung 1882 überarbeitet und teilweise ergänzt wurden, Mithoff spricht von undeutlich gewordenen Sprüchen.1) Die Ergänzungen sind fehlerhaft.

Inschriften K und L nach Büttner.

Maße: H.: 187 cm; B.: 125–136 cm (Bildfelder Westwand); Bu.: 3,5–5 cm (A–H, K), 5 cm (I, J).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit einzelnen Frakturelementen und Versalien (A–H), Versalien (J).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/4]

  1. A

    · Pareto · legi · quisquis legem · sanxerisa) ·2)

  2. B

    Quantob) · plus · licet tanto libeatc) · minus ·3)

  3. C

    Deliberare · vtilia morad) · est · tutissimae)4)

  4. D

    · Velox consilium · sequitur · penite(n)cia5)

  5. E

    Summum · ius svmma · sepe · injuria ·6)

  6. F

    Aequitate · modera(n)da est · sentencia ·7)

  7. G

    · Bonis · nocet · quisquis · pepercit · malis ·8)

  8. H

    · Judexf) · damnatur · cum · nocensg) · absolvitur9)

  9. I

    · 1 · 5 · 2 · 9 ·h)

  10. J

    ABC // Ui)D D // H H

  11. K†

    Propter [.......] permittitj) Deus regnarek) tirannum

  12. L†

    Nimium altercando veritas amittiturl)10)

Übersetzung:

Du sollst dem Gesetz gehorchen, der du das Gesetz beschlossen hast. (A) Je mehr erlaubt ist, umso weniger mag es gefallen. (B) Das Nützliche zu erwägen ist der sicherste Aufschub. (C) Einem schnellen Beschluss folgt Reue. (D) Das höchste Recht ist oft das höchste Unrecht. (E) Durch Gerechtigkeit ist der Urteilsspruch zu mäßigen. (F) Den Guten schadet, wer auch immer die Schlechten schont. (G) Ein Richter wird verurteilt, wenn der Schuldige freigesprochen wird. (H) Wegen ... lässt Gott zu, dass der Tyrann regiert. (K) Die Wahrheit verliert in zu heftigem Wortwechsel. (L)

Versmaß: Jambische Senare (A, C, H, L).

Kommentar

Bei den Inschriften auf den Wandschränken der Gerichtslaube handelt es sich um eines der zahlreichen Beispiele unter den Lüneburger Rathausinschriften, in denen auf klassische Autoren bezogene lateinische Autoritätensprüche zum Thema Gerechtigkeit und Rechtsprechung Verwendung fanden, hier passend zu den Inschriften der Glasfenster Nr. 69 u. Nr. 70) und der Weltgerichtsdarstellung (Nr. 177) im selben Raum.

Der Maler, der die Wandschränke bemalte, dürfte der im Kämmereiregister von 1529 genannte merten der maler sein. Er erhielt vor de scheppe (Schränke) vppe dem rathuse alle umb her an gestreken vnd bÿ der lÿberÿge (Bibliothek) 60 Mark.11) Der Maler Merten dürfte identisch sein mit Marten Jaster, der im Jahr 1524 als neuer Oldermann im Büssenbuch der Malergilde genannt ist.12) Mitglieder der Familie Jaster sind über mehrere Generationen in Lüneburg als Maler nachweisbar (vgl. a. Nr. 758).

Textkritischer Apparat

  1. sanxerit Gebhardi, Albers.
  2. Quanto fehlt bei Gebhardi, Albers und Mithoff.
  3. liceat Gebhardi, Albers.
  4. So Büttner, heute mos, falsch restauriert, vgl. a. Anm. 4. mors Gebhardi, Albers, Mithoff.
  5. So Büttner, Gebhardi, Albers, Mithoff, heute tutissimus, falsch restauriert, vgl. Anm. 4.
  6. So Büttner, Gebhardi, Albers, Mithoff, heute Justus, falsch restauriert. Vgl. Anm. 9.
  7. Am zweiten n der untere Teil des Bogens bei der Restaurierung nicht ausgeführt.
  8. 1528 Büttner.
  9. Vermutlich falsch restauriert und ursprünglich ebenfalls ein geschlossenes C.
  10. prap er pl... Gebhardi. Möglicherweise zu ergänzen zu Propter [peccata populi] permittit.
  11. Das Wort regnare lässt sich noch ansatzweise erkennen.
  12. nimium ver .......as amittitur Gebhardi.

Anmerkungen

  1. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 184. Zu den verschiedenen Restaurierungen und Farbgebungen vgl. Ursula Schädler-Saub u. a., Erforschen und erhalten – Archivrecherchen und restauratorische Untersuchungen in der Gerichtslaube und in der Alten Kanzlei des Lüneburger Rathauses. In: Denkmalpflege in Lüneburg 2001, S. 35–50.
  2. Ausonius, Septem sapientium sententiae 2,5, dort Pittacos von Mytilene zugeschrieben. Vgl. a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 20708.
  3. Ausonius, Septem sapientium sententiae 3,1: Quanto plus liceat tam libeat minus, dort Cleobulos von Lindos zugeschrieben. Vgl. a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 23603.
  4. Publiliii Syri Sententiae, D6, S. 38: Deliberare utilia mora tutissima est. Vgl. a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 5343.
  5. Publilii Syri Sententiae, V37, S. 79. Vgl a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 32963.
  6. Cicero, De Officiis 1,33. Vgl. a. Walther, Proverbia Nr. 30677.
  7. Nicht nachweisbar.
  8. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 2116. Vgl. a. Ausonius, Septem sapientium sententiae 3,5: Parcit quisque malis perdere vult bonos, dort Cleobulos von Lindos zugeschrieben.
  9. Publilii Syri Sententiae, I28, S. 51. Vgl a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 13103.
  10. Publilii Syri Sententiae, N40, S. 62.
  11. StA Lüneburg, AB 56/3, p. 603.
  12. Gedr. bei Meyne, Büssenbuch, S. 43.

Nachweise

  1. Büttner, Inscriptiones.
  2. Gebhardi, Collectanea, Bd. 2, p. 191f. (A–I, K, L).
  3. Albers, Rathaus, S. 8f. (A–I, K, L).
  4. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 184 (A–I).
  5. Reinecke, Rathaus, S. 56f. (A–I).
  6. Uppenkamp, Ikonographie, S. 256f. (A–H, nach Wehking) mit Abb. 7.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 290 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0029006.