Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 288 Museum Lüneburg 1528

Beschreibung

Banklaken mit der Geschichte des Scipio, des Massinissa und der Sophonisbe nach Livius.1) Wollwirkerei. Das Banklaken befand sich ursprünglich im Rathaus. Das in zwei Teile zerschnittene Laken ist durch Säulen in acht Bilder aufgeteilt und durch Ornamentstreifen eingefasst, am unteren Rand eine Fransenkante. In jedem Bildfeld oben auf einer roten Schrifttafel in weißen Buchstaben eine Inschrift (A–H). An beiden Enden des Bildstreifens in der unteren Ecke das Lüneburger Stadtwappen. Die Reihenfolge der Szenen weicht von dem Gang der Geschichte bei Livius ab, wonach auf die drei ersten Szenen (A: Einnahme Karthagos, B: Schutz der Frauen durch Scipio, C: Krönung des Massinissa) zunächst die 5. Szene (E: Sophonisbe fleht Massinissa um Gnade an) folgt, dann erst die hier im 4. Bild dargestellte Szene (D: Heirat von Massinissa und Sophonisbe), dann die 6. (F: Scipios Forderung an Massinissa, sich von Sophonisbe zu trennen) und die 7. Szene (G: Sendung des Gifttranks, hier durch Scipio, nicht wie bei Livius durch Massinissa). Im 8. wie im 1. Bildfeld wohl aus symmetrischen Gründen noch einmal der Einzug von Reitern durch ein Stadttor; die auf der zugehörigen Schrifttafel angebrachte Inschrift H passt nicht zum Bildinhalt und nimmt nur – als eine Art Platzhalter – den Inhalt von Szene 4 wieder auf.2)

Maße: H.: 80 cm; L.: 403 u. 405 cm; Bu.: 3–4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/6]

  1. A

    Wo conelius Scipio de yunger vnde des vorige(n)a) P(ublii) Scipi(onis) / Son tom houetman iege de vo(n)a) kartag gewelet vn(d)a) rb) hispa(niam)a) ges/chikt vnd kartago: gwunne3)

  2. B

    Van groter doget vn(d) kuscheyt Scipio(nis) d(er)a) itli/ke scho(n)e yu(n)ckfro(w)e vn(d) fro(w)e so ome i(n) iroueri(n)gc) d(er)a) stat / karta(go)a) i(n) hispa(nia)d) g(e)fa(ngen) aue(r)a(n)twort sik i(n) grot(er) ere lae)4)

  3. C

    Wo Massinissam wert / to enem koningk ghe/kronet

  4. D

    Wo sick Massinisa mit der kon/gin Sophonisbe vortrwen leet / vn(d) beslep se5)

  5. E

    We de(m)a) kon(n)ig Sophonisbe to / fote vel vn(d) begeret ir gna/de von den romeren6)

  6. F

    Wo Sipionis den Massinissa(m) hertichliken straffet von we/gen der Sophonisbe7)

  7. G

    Wo Sipiof) der kongn sofonis/be schickt erg) ene(n) dranck dat se steruen muste8)

  8. H

    Wo Massinissa dorch houeske wort vn(d) ade/lich gebere Sophonisbe bewegt war er trost / tosage do(n) vn(d) er leue(n)t e(n)tsu(n)dt elik trwet beslape(n)9)

Übersetzung:

Wo Cornelius Scipio der Jüngere und Sohn des vorigen Publius Scipio zum Hauptmann gegen die von Karthago gewählt und nach Spanien geschickt (wurde) und Karthago gewonnen (hat). (A) Von großer Tugend und Keuschheit des Scipio, der, als ihm etliche schöne Jungfrauen und Frauen als Gefangene bei der Eroberung der Stadt Karthago in Spanien überantwortet (wurden), sich sehr ehrenvoll (verhielt). (B) Wo Massinissa zum König gekrönt wird. (C) Wo sich Massinissa mit der Königin Sophonisbe verheiraten ließ und mit ihr schlief. (D) Wie Sophonisbe dem König zu Füßen fiel und begehrte, ihr Gnade bei dem Römern (zu verschaffen). (E) Wo Scipio den Massinissa hart bestraft wegen Sophonisbe. (F) Wo Scipio der Königin Sophonisbe einen Trank schickte, so dass sie sterben musste. (G) Wo Massinissa durch höfische Worte und adlige Gebärden Sophonisbes bewegt war, ihr Trost und Zuspruch zu gewähren, und er (sie) in Liebe entbrannt heiratete und mit ihr schlief. (H)

Kommentar

Gewisse Unstimmigkeiten in der Ausführung der Inschriften und Buchstaben sind ebenso wie die Wahl der gotischen Minuskel durch die Technik der Wirkerei bestimmt. Aus der Umsetzung einer spiegelverkehrten Vorlage könnte sich auch die durchgängig retrograde Ausführung des Versals S erklären.

Alpers hat als Vorlage des Banklakens die 1523 in der Druckerei Schöffer in Mainz erschienene Ausgabe Römische historien Titi Livii mit etlichen newen Translationen, so kurtzverschienen jaren im hohen thum Styfft zu Mentz jm latein erfunden vnd vorhyn nit mer gesehen nachgewiesen und das Stück durch einen Eintrag in den Lüneburger Kämmereirechnungen von 1528, nach dem in diesem Jahr ein Banklakenmacher namens Ambrosius für ein Banklaken von zwölf (Brabanter) Ellen Länge entlohnt wird, datiert.10) Wenn man von einer Bestimmung des Banklakens für die Gerichtslaube (Ratsdörnse) ausgeht, erscheint die Zuweisung angesichts der inschriftlich auf 1529 datierten Ausmalung der Gerichtslaube plausibel (vgl. Nr. 290), deren Deckenbilder ebenfalls auf Vorlagen der deutschen Livius-Ausgabe von 1523 zurückgehen.11)

Textkritischer Apparat

  1. Ohne Kürzungszeichen.
  2. r irrtümlich wohl anstelle von y(n), die sonst als Haarstrich ausgeführte rechte Schräghaste nicht unter die Grundlinie ausgezogen.
  3. soo in en(n)roueri(n)g Alpers, sopine i(n)troneri(n)g Krüger/Reinecke.
  4. Das Schaft-s irrtümlich in Form eines l mit gegabeltem Schaft.
  5. la nicht sinnvoll aufzulösen.
  6. Sipio irrtümlich anstelle von Massinissa.
  7. er passt nicht in den Satzzusammenhang.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. E 58.
  2. Alpers, Livische Figuren, S. 41–52. Da das Banklaken und sein ikonographischer Inhalt ausführlich bei Alpers behandelt ist, wird hier auf eine eingehendere Behandlung verzichtet.
  3. Kapitelüberschrift der Vorlage nach Alpers (Livische Figuren, S. 45): Wie Cornelius Scipio der iunger und des vorigen Publij Scipionis Sun zu einem hauptman wyder die von Cartago erwelt und in Hyspaniam geschickt ward / do er die mechtige statt genant nüw Cartago myt macht gewann.
  4. Kapitelüberschrift der Vorlage nach Alpers (Livische Figuren, S. 45): Von grosser tugent und keuscheyt des hauptmans Scipionis / der etlich hübsche junckfraw und frawe(n) / die in eroberung der stat Cartago in Hyspania gefangen und ym überantwurt wurden sich also erlich un(d) zuchtig hielt / daß ym groß ere und lob dauon enstunde.
  5. Kapitelüberschrift der Vorlage nach Alpers (Livische Figuren, S. 46): Wie Massinissa durch hübsche wort und adelich gebere Sophonisbe bewegt war, jre tröstung un(d) zusage zuthun / und also in jre lieb entzündet / daß er sie zu eynem Elichen gemahel vertreüwet / und beschlieffe.
  6. Kapitelüberschrift der Vorlage nach Alpers (Livische Figuren, S. 46): Wie Massinissa nach dem Syphax der küng gefangen das küngkrich unnd die hauptstatt dar jnnen Cirtha genant ynneme / wie jm auch die künigin Sophonisba zu Fuß viel / und begerthe ir gnade by den Römern zu erwerbe(n) / das sie da hyn nicht fencklich gefürt un(d) von ire tryumphieret wurde.
  7. Kapitelüberschrift der Vorlage nach Alpers (Livische Figuren, S. 46): Wie Scipio groß bekümmernuß hett von der thate Massinisse daß er ym die köngin Sophonisbe vermehelt hette / strafft ynen hertiglich mit worten.
  8. Kapitelüberschrift der Vorlage nach Alpers (Livische Figuren, S. 47): ... und lag ym so hart an / daß er die küngin begab un(d) sich jr verziehe / do mit sie aber in der römer und feinde gewalt nicht geben würde / Schickt er jr eyn getranck do von sie sterben mußt.
  9. Vgl. Anm. 5.
  10. Alpers, Livische Figuren, S. 41–52.
  11. Alpers, Livische Figuren, S. 48 u. S. 53. Die in Kat. Stadt im Wandel, Bd. 2, S. 1009f., Nr. 873, aufgrund der geringen Entlohnung von 12 Mark geäußerten Zweifel an der Zuweisung erscheinen insofern wenig plausibel, als direkte Preisvergleiche für ein solches Textil aus derselben Zeit nicht zugrundegelegt werden können.

Nachweise

  1. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 273.
  2. Alpers, Livische Figuren, S. 45f.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 288 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0028805.