Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 192† Kloster Heiligenthal 15. Jh.

Beschreibung

Inschriften an der Orgelempore und an einer weiteren Empore in der Klosterkirche. Die Inschriften sind nur bei Rodewolt überliefert unter der Überschrift Ordo zum Hilligendall vnd was allda in der Kerken vff den Orgelen vnd lecter gemalet vnd geschrieben was. Die Inschrift D stand nach Rodewolt ahm Lector (d. h. an der Empore), es ist daher davon auszugehen, dass die anderen Inschriften an der Orgel standen. Die nur von Rodewolt überlieferten Texte sind sprachlich und metrisch problematisch und sehr von dem Bemühen um den Reim bestimmt. Die Überlieferung ist fehlerhaft.1) Möglich wäre, dass die Inschrift C im Zusammenhang mit Darstellungen der drei sprechenden Gruppen der Fürsten, des Rats und der Mönche angebracht war.

Inschriften nach Rodewolt.

  1. A

    Anno Dominj 1120 initium sumpsit ordo praemonstratentium a S(ancto) Nortberto

  2. B

    Post centum mille bis denos ordo fit illeQuem per Nortbertum nos credimus esse repertum

  3. C

    I(n)troitus Vallis sacrae HilligendalPrincipes loquntur.Vos decet orare nos hostica bella fugareVos iuvet haec cura nos vestra precatio puraConsules loquntur.Nobis defensis precea) vos noster iuvet ensisTempora sint vobis tranquilla precisb) date nobisFratres MonachiVirgo Maria poli fratres hos linquere noliHi praemonstrati sint Ordinis uno beatiUt tibi sint grati semper servire paratic)Ut possint vere tecum sine fine manere

  4. D

    [ – – – ] Stirps Jesse de Virgine sumpsit esseQuo satis expresse deus ac homo creditur esseTrecentid) mille postquam partus fuit illeAnni fluxere nunc omnise) estimo vereHinc octogenis datur effluxisse secundisUsque die(m) martis quae scribitur infra in cartisf)Ante diem grati Baptistae decapitati2)Tali mense die fratres in honore MariaeQuod construxerunt istic claustrum subieruntSub spe non ficta quasi sancta valle relictaDe voto claro communiter ordine carog)His congaudente devocius accipienteSic occurrerunt Burgenses quando steteruntFinibus a vallis cum servis atque vasallisHos duce ducente vulgari plebe sequenteIntronizabant que protinus acclamabantChristum laudare per cantica vociferareh)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1120 nahm der Prämonstratenserorden durch den heiligen Norbert seinen Anfang. (A) Nach hundert, tausend und zweimal zehn Jahren entsteht jener Orden, von dem wir glauben, dass er durch Norbert gegründet wurde. (B) Einzug in Heiligenthal. Die Fürsten sprechen: Euch ziemt es zu beten, uns feindliche Kriege fernzuhalten. Euch helfe diese (unsere) Sorge, uns eure reine Fürbitte. Die Ratsherren sprechen: Da wir durch euer Gebet verteidigt werden, soll unser Schwert euch dazu verhelfen, dass ihr ruhige Zeiten habt – also schenkt uns eure Gebete. Die (Kloster)brüder (sprechen): Maria, Himmelsjungfrau, verlass diese Mönche nicht. Diese Angehörigen des Prämonstratenserordens mögen gemeinsam(?) glücklich sein, damit sie dir wohlgefällig sind und bereit, dir stets zu dienen, so dass sie (einmal) wahrhaft mit dir ohne Ende vereint sein können. (C) ... das Reis aus Jesse erhielt von der Jungfrau seine Existenz, woraus sich sehr deutlich der Glaube ergibt, dass er Gott und Mensch ist. Dreihundert und tausend Jahre sind nun seit jener Geburt insgesamt, wie ich wahrhaftig annehme, verflossen, und dazu gibt es noch 82, die vergangen sind, bis zu jenem Tag des März, der unten auf den Urkunden steht, dem Tag vor dem Fest der Enthauptung des heiligen Täufers. An solchem Monat und Tag sind die Brüder in das Kloster eingezogen, das sie zu Ehren Mariens hier erbaut haben, wobei aufgrund eines wichtigen Gelübdes in zuverlässiger Hoffnung gewissermaßen das heilige Tal verlassen wurde und der ganze teure(?) Orden sich dessen gemeinsam freut und es fromm in Empfang nimmt. So eilten die Bewohner herbei aus der Region des Tals, als sie mit ihren Knechten und Vasallen da standen, wobei sie der Herzog führte und das einfache Volk danach folgte, und sie inthronisierten und akklamierten sogleich und lobten Christus und sangen laut zu seinem Ruhm(?). (D)

Versmaß: Zweisilbig leoninisch gereimte Hexameter (B–D, C mit Überschriften in Prosa).

Kommentar

Das Kloster Heiligenthal wurde im Jahr 1314 in Kirchgellersen gegründet, kurz darauf in den Nachbarort verlegt, der sich von da an nach dem Kloster nannte, und zog Ende des 14. Jahrhunderts aufgrund der unsicheren Lage in die Stadt Lüneburg um. Am 31. Juli 1382 bestätigte der Verdener Bischof ein den Umzug betreffendes Abkommen zwischen St. Johannis und dem Kloster.3) Anders als in der Inschrift, die – wohl nur aus Reimgründen – den Monat März als Umzugstermin nennt, gilt in der Geschichtsschreibung der 26. August 1382 als Tag des feierlichen Einzugs in die Stadt, an dem ein besonders heftiges Gewitter alle Teilnehmer durchnässt haben soll.4) Auch die Tagesangabe in der Inschrift, der Tag vor dem Festtag der Enthauptung Johannes des Täufers (28. August), weicht um zwei Tage von der chronikalischen Überlieferung ab. Dies liegt vermutlich daran, dass die Verse beträchtliche Zeit nach dem Umzug des Klosters in die Stadt abgefasst wurden. Im Jahr 1444 tätigte der Lübecker Bürger Bernd Bokholte eine größere Stiftung, mit der u. a. die große Orgel errichtet und Baumaßnahmen am Chor bezahlt werden sollten.5) Möglicherweise stand die Ausführung der Inschriften hiermit in Verbindung.

Textkritischer Apparat

  1. per mit Kreuz darüber bei Rodewolt, am Rand der Vermerk: Alij praeces, d. h. Rodewolt lag offenbar mindestens eine andere Überlieferung vor, die hier die Version praeces anstelle von per verzeichnete.
  2. precis Nebenform von preces.
  3. beati Rodewolt, vermutlich fehlerhaft wegen Zeilensprung.
  4. Trigenti Rodewolt.
  5. omnis Nebenform von omnes.
  6. infera cartis Rodewolt.
  7. mero Rodewolt. Emendation aus Reimgründen.
  8. Der Text der beiden letzten Verse syntaktisch nicht klar, möglicherweise ging der Text hier noch weiter, ist jedoch nicht überliefert.

Anmerkungen

  1. Ich danke Prof. Fidel Rädle (Göttingen) an dieser Stelle ganz besonders für die Herstellung eines einigermaßen sinnvollen Textes und für die Übersetzungen.
  2. Die Tagesangabe passt so nicht zu der Monatsangabe März, da das Fest der Enthauptung des Johannes am 29. August gefeiert wird.
  3. StA Lüneburg, UA a: 1383 Oktober 16 (mit Bezug auf die Bestätigung vom Juli 1382).
  4. Vgl. die Schilderung des Einzugs in die Stadt nach einem bei Gottfried Wilhelm Leibniz (Scriptores Rerum Brunsvicensium II, Hannover 1710, S. 383ff.) überlieferten Bericht des Heiligenthaler Propstes bei Reinecke, Geschichte, Bd. 2, S. 28ff.
  5. StA Lüneburg, AB 591a, p. 128 (Kopialbuch Präpositur, 31. August 1444).

Nachweise

  1. Rodewolt, Chronicon, fol. 84v/85r.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 192† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0019208.