Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 166 Rathaus 1491–1493

Beschreibung

Glasmalereien. Das vierbahnige Fenster der Bürgermeister-Körkammer zeigt Darstellungen von vier Lüneburger Bürgermeistern in Ganzfigur, die jeweils von einem Schriftband umgeben sind, alle ausgewiesen durch einen Wappenschild links unten im Bildfeld: Nikolaus Sanckenstede (A), Cord Lange (B), Ditmar Sanckenstede (C) und Jakob Schomaker (D).1) Auf dem Schriftstück, das Cord Lange in der Hand hält, ist ein Text angedeutet, aber nicht lesbar. Die Glasmalereien wurden 1853 restauriert und dabei auch die Inschriften stark überformt. Das zeigen die im Formenkanon der gotischen Minuskel so nicht vorkommenden Versalien, die eindeutig eine Zutat des 19. Jahrhunderts sind, und offensichtlich falsche Textergänzungen. 1955 wurden die im Zweiten Weltkrieg ausgebauten Scheiben in veränderter Reihenfolge (die Bürgermeister A und C vertauscht) wieder eingesetzt. Die einzelnen Glasstücke sind hier innerhalb der Inschriften markiert, da die Übergänge gestört sein können.

Maße: H.: 190 cm; B.: 215 cm; Bu.: 3,5–4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/2]

  1. A

    Jstud · est // Sapere · non // est · videre · seda) //ede[.]b) · modo · // est · videre · sed · // eciam · // Futu[ – – – ]2)

  2. B

    Omne · malum //enascren[.] · facil//e · opprim//itur · inueter//atu(m)c) · pler//u(m)·que · fit · robustiu[.]3)

  3. C

    Fvndam//e(n)tu(m) · enim // · est · // perpetu//e · co(m)m//[enda]//cionisd) // et · fame iusticia si//ne · qua · n//ichele) // potest · es//se · laudabile4)

  4. D

    Sv//if) · adipi//sci // · vera(m)g) · iv//sticie · glor//iam // [ – – – ] // officiis5)

Übersetzung:

Dies ist Verstehen: nicht nur das, was vor den Füßen ist, zu sehen, sondern auch das, was zukünftig Dinge sind, vorherzusehen. (A) Das höchste Übel wird in der Entstehung leicht unterdrückt, wenn es sich festgesetzt hat, wird es meistens stärker. (B) Die Grundlage eines beständigen Werts und Ruhms ist nämlich die Gerechtigkeit, ohne die nichts lobenswert sein kann. (C) Wer wahrhaften Ruhm der Gerechtigkeit erlangen will, soll die Pflichten erfüllen. (D)

Wappen:
Sanckenstede6)Lange7)Sanckenstede6)Schomaker8)

Kommentar

Die Datierung ergibt sich daraus, dass Jakob Schomaker erstmalig im Jahr 1491 als Bürgermeister amtierte und Nikolaus Sanckenstede im Jahr 1493 starb.9) Becksmann/Korn vermuten, dass sich ein Eintrag im Kämmereiregister von 1495, wonach der Lüneburger Glasmaler Gerd Wulf eine Zahlung für die Fenster uppe der lutken nygen kamere uppe deme radhuse erhielt, auf die Scheiben mit den Darstellungen der Bürgermeister bezog.10) Dies ist jedoch sehr unwahrscheinlich, da man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen kann, dass die vier Bürgermeister die Scheiben mit ihren Porträts und Wappen aus eigener Tasche bezahlten.

Textkritischer Apparat

  1. Zu erwarten wäre an dieser Stelle quod · ante · p, vgl. Anm. 2, hier zur Füllung Text des übernächsten Scheibenstücks verdoppelt.
  2. de(u)s Becksmann/Korn. Der letzte Buchstabe, bei dem es sich ursprünglich um ein s gehandelt haben muss, bei der Restaurierung irrtümlich als Kürzungszeichen in Form einer arabischen 3 ausgeführt.
  3. mulctatum Becksmann/Korn.
  4. co(m)[muni]onis Reinecke, com[un]ionis Becksmann/Korn.
  5. Irrtümlich für nichil.
  6. Irrtümlich anstelle von Qvi.
  7. veniam Reinecke.

Anmerkungen

  1. Die Zuordnung der Inschriften zu den beiden Sanckenstedes schon bei Mithoff und Reinecke umgekehrt, da Ditmar aber der deutlich Jüngere von beiden war, kann er nur der als jüngerer Mann dargestellte Bürgermeister mit der Inschrift C sein.
  2. Text zu rekonstruieren nach Terenz, Adelphoe 385ff.: Istuc est sapere, non quod ante pedes modo est videre, sed etiam illa, quae futura sunt prospicere.
  3. Text zu rekonstruieren nach Cicero, Orationes Philippicae 5,31: Omne malum nascens facile opprimitur, inveteratum fit plerumque robustius.
  4. Cicero, De Officiis 2,71: fundamentum enim est perpetuae commendationis et famae iustitia sine qua nihil potest esse laudabile.
  5. Text zu rekonstruieren nach Cicero, De Officiis 2,43: qui igitur adipisci veram gloriam volet iustitiae fungatur officiis. Die Wortstellung hier verändert.
  6. Wappen Sanckenstede (Balken mit zwei bekränzten Mohrenköpfen belegt). Vgl. Büttner, Genealogiae.
  7. Wappen Lange (gespalten, davor aus dem rechten Schildrand wachsender halber Bär). Vgl. Büttner, Genealogiae.
  8. Wappen Schomaker (geteilt, oben Bärenkopf mit Halswunde). Vgl. Büttner, Genealogiae.
  9. Die Amtszeiten nach Stahl, Ratslinie: Nikolaus IV. Sanckenstede (vgl. Nr. 168) 1458 Ratsmitglied, Bürgermeister erstmalig 1467, letztmalig 1493, † 1493 (Nr. 208, S. 170); Cord Lange 1474 Ratsmitglied, Bürgermeister erstmalig 1486, letztmalig 1505, † 1505 (Nr. 223, S. 172); Ditmar Sanckenstede 1482 Ratsmitglied, Bürgermeister erstmalig 1487, letztmalig 1495, † 1498 (Nr. 229, S. 173); Jakob III. Schomaker (vgl. Nr. 264) 1479 Ratsmitglied, Bürgermeister erstmalig 1491, letztmalig 1523, † 1525 (Nr. 224, S. 172).
  10. Becksmann/Korn, Glasmalerei, S. 261, Reg. 20 nach einer Aufzeichnung von Wilhelm Reinecke (StA Lüneburg, Nachlass Reinecke II, Nr. 28).

Nachweise

  1. Reinecke, Rathaus, S. 72.
  2. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 186 (unvollständig).
  3. Reinecke, Rathaus, S. 72.
  4. Becksmann/Korn, S. 122f., Tafel 37/38, Abb. 135–138.
  5. Uppenkamp, Ikonographie, S. 279f. (nach Wehking).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 166 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0016609.