Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 120 St. Johannis vor 1461

Beschreibung

Grabplatte des Johann Springintgut. Stein. Die Grabplatte, die ursprünglich das Grab in der nördlich an den Chor grenzenden Fronleichnams-Kapelle – auch Springintgut-Kapelle genannt – bedeckte (vgl. Kommentar), war schon zu Büttners Zeit Anfang des 18. Jahrhunderts auf den Kirchhof verlegt worden. Heute ist sie außen am Chor des südlichen Seitenschiffs angebracht. Der Stein weist starke Verwitterungsschäden auf. Die erhaben gehauene Inschrift, von der nur noch wenige Reste erhalten sind, verlief in vertiefter Zeile um den Stein. Auch die ehemals in den Ecken der Platte befindlichen Wappen sind mit einer Ausnahme – dem Wappen in der linken unteren Ecke – verloren. Ob das Innenfeld in irgendeiner Form gestaltet war, ist nicht mehr zu erkennen. Die Grabplatte zeigt Reste einer Zweitverwendung, die Inschrift verlief zeilenweise über den Stein, auf der linken Seite sind die eingehauenen Buchstaben noch sehr fragmentarisch zu erkennen, aber nur noch Einzelbuchstaben lesbar.

Inschrift ergänzt nach Büttner.

Maße: H.: 272 cm; B.: 161 cm; Bu.: 11,8 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/1]

  1. [Anno : d(omi)ni : m] ccccl[v : ipso : die : diuisionis Apostolorum1) : obiit : spectabi]lis : vir / d(omi)n(u)s : Joh(ann)es : spring/intgut : p[roconsul : hujus : civitatis : reqviescat : in : perpe]t(u)a p(a)cea)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1455 am Tag der Aussendung der Apostel starb der angesehene Mann, Herr Johann Springintgut, Bürgermeister dieser Stadt. Er ruhe in ewigem Frieden.

Wappen:
Schellepeper2)

Kommentar

Bei dem Verstorbenen handelt es sich um den wohl prominentesten Lüneburger Bürger des 15. Jahrhunderts, den in der Haft in dem später nach ihm benannten Turm gestorbenen Lüneburger Bürgermeister Johann Springintgut. Er war der Sohn des Conrad Springintgut und der Hilleke Schellepeper, deren Wappen sich als einziges auf der Grabplatte erhalten hat. Verheiratet war er in erster Ehe mit Ilsabe Groning, in zweiter Ehe mit Mette Töbing.3) Johann Springintgut wurde im Jahr 1431 in den Rat gewählt und fungierte seit 1438 als Bürgermeister.4) Im Prälatenkrieg gehörte er zu der Gruppe im Alten Rat, die die Prälaten kompromisslos zur Schuldentilgung der Stadt heranziehen wollten.5) Als die Stadt Lüneburg und damit auch die Vertreter des Alten Rats im Jahr 1454 mit dem päpstlichen Bann belegt wurden und der Alte Rat abgesetzt wurde, versuchte Johann Springintgut der drohenden Enteignung zu entgehen, indem er Teile seines Vermögens beiseite schaffte. Am 21. April 1455 wurde er, der sich nach wie vor als rechtmäßiger Lüneburger Bürgermeister betrachtete, vor den Neuen Rat zitiert und von dort in den Festungsturm hinter dem Kloster St. Michaelis verbracht. Dort starb er am 15. Juli 1455.

Während die einzige Chronik des Prälatenkriegs, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang entstanden ist, die tagebuchähnlich abgefasste Darstellung des Lüneburger Bürgermeisters Hinrik Lange, ebenso wie die Chronik des Anonymus von 1476 nur sehr kurz den beklagenswerten Tod des Bürgermeisters Johann Springintgut erwähnen,6) wird dieser in der wohl um 1460 entstandenen und nur in deutlich späteren Abschriften überlieferten, Dirick Döring zugeschriebenen Historia dramatisch in Szene gesetzt.7) Hier wird die Vergiftung des Gefangenen angedeutet und die Beerdigung auf dem Bauhof von St. Michaelis unter einer Scheune vermerkt. Letzteres nimmt u. a. die später häufig kopierte Schomakersche Chronik auf, die ein Jahrhundert nach den Ereignissen entstand.8)

Schomaker berichtet auch van her Johan Springinthguths ehrliker begrefnisse, im Jahr 1463 sei der Leichnam des Bürgermeisters mit groter reverentie upgegraven und mit der ganzen clerisie, ut tum religio erat, von dar na S. Johanse gedragen und darsulvest in de capelle corporis Christi, so de erbare rat ... erigert und herlich zyren laten, tor erde bestetiget mit vigilien und selemissen.9) Diese Darstellung Schomakers, für die sich bislang keine ältere Vorlage finden ließ, ist in der handschriftlichen wie in der gedruckten Lüneburger Geschichtsschreibung übernommen worden, ohne jemals hinterfragt zu werden.10) Tatsächlich besagt aber die Satzung der neugegründeten Theodori-Gilde vom 17. Januar 1461 (vgl. dazu Nr. 115), dass die Gilde in der Kirche St. Johannis bouen hern Johan Springintgudes graue einen Chor erbauen will,11) d. h. zu diesem Zeitpunkt war der Leichnam des Johann Springintgut bereits in der Fronleichnamskapelle in St. Johannis – unterhalb des später errichteten sogenannten Junkernchors – bestattet. Dieser Widerspruch zwischen dem Text der Satzung und einer angeblichen Umbettung und feierlichen Beisetzung des Leichnams im Jahr 1463 ist noch nicht einmal dem Herausgeber der Satzung Th. Meyer eigenartig vorgekommen, der umgekehrt die Jahreszahl 1463 als Datum für das Begräbnis und die Errichtung des neuen Chors ansieht, die tatsächlich erst sehr viel später erfolgte (vgl. Nr. 115).12) Auch in den Archivalien wie den Kämmereirechnungen oder in dem ausführlichen Schreiben des Marquard Mildehovet (vgl. Nr. 127), des Vormunds der Kinder Springintguts, an Albert von der Molen von 1458, das sich in blumigen Worten mit dem tragischen Tod des Johann Springintgut befasst, ist nirgends von einem Begräbnis an unwürdiger Stelle die Rede.13) Nimmt man alle Indizien zusammen, so spricht vieles dafür, dass Johann Springintgut nach seinem Tod im Sommer 1455 in St. Johannis beigesetzt worden ist, auch wenn der päpstliche Bann, der über die Mitglieder des Alten Rats verhängt war und erst 1464 aufgehoben wurde,14) gegen eine solche Beisetzung stand. Auch die schlichte Inschrift der Grabplatte, die sich aus dem allgemein üblichen Sterbevermerk und einer kurzen Fürbitte zusammensetzt, deutet darauf hin, dass 1455 die übliche Beisetzungszeremonie stattfand und nicht das von Schomaker beschriebene pompöse Begräbnis im Jahr 1463. Zu vermuten ist lediglich, dass die Begräbniszeremonie aufgrund des Banns etwas unauffälliger und bescheidener ausfiel, was zu einem Gerücht um die Bestattung an unwürdigem Ort Anlass gegeben haben mag.

Textkritischer Apparat

  1. cuius anima requiescat in pace Rikemann und Rodewolt.

Anmerkungen

  1. 15. Juli.
  2. Wappen Schellepeper (schreitender Bär). Wappen der Mutter. Vgl. Büttner, Genealogiae. Es handelt sich um das Wappen in der linken unteren Ecke des Steins.
  3. Vgl. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Springintgud, Witzendorff, Stammtafeln, S. 121, sowie Springensguth, Tod im Turm, S. 307.
  4. Stahl, Ratslinie, Nr. 187, S. 167.
  5. Zu diesen Vorgängen und der Rolle, die Johann Springintgut dabei spielte, ausführlich Springensguth, Tod im Turm, bes. S. 103–117. Die umfangreiche Literatur zum Prälatenkrieg behandelt zusammenfassend Droste, Schreiben, S. 82–89. Literaturnachweise s. dort. Droste beklagt sehr zu Recht die mangelnde Quellenkritik auch jüngerer Darstellungen.
  6. Gedr. in Chroniken Lüneburg, S. 164–229, hier S. 209 (Chronik Lange). Derselbe Wortlaut auch in der Chronik des Anonymus (zit. bei Droste, Schreiben, S. 107).
  7. Chroniken Lüneburg, S. 354f.
  8. Schomaker-Chronik, S. 98. Zur Darstellung des Prälatenkriegs in der Schomaker-Chronik allgemein vgl. Droste, Schreiben, S. 125–128.
  9. Schomaker-Chronik, S. 118.
  10. Zuletzt Springensguth, Tod im Turm, S. 307.
  11. StA Lüneburg, AB 604a. Meyer, Theodori-Gilde, S. 90.
  12. Ebd., S. 87.
  13. StA Lüneburg, AB 56/1, sowie BR 105/32c 1458. Mildehovet beschreibt in dem Brief die Situation, die in dem Gedächtnisbild dargestellt ist, das ihn zusammen mit dem sterbenden Johann Springintgut kniend zeigt (Museum Lüneburg E 2; vgl. a. Kat. Stadt im Wandel, Bd. 2, S. 1073f., Nr. 940). In dem Brief ist von einem in dieser Situation abgelegten und an anderer Stelle beschriebenen Gelübde die Rede, um dessen Erfüllung er sich bemühte. Vgl. a. StA Lüneburg, UA a: 1457 Mai 16: die Stadt Lüneburg verpflichtet sich, den Kindern des Johann Springintgut 2219 Rheinische Gulden als Entschädigung zu zahlen. In der Urkunde ist die Rede von herrn Johans zeliger dot, ein Begräbnis an unwürdiger Stelle oder eine geplante Umbettung ist dort ebenfalls nicht erwähnt.
  14. Reinecke, Geschichte, Bd. 1, S. 240f.

Nachweise

  1. Büttner, Genealogiae, Stammtafel Springintgud.
  2. Rikemann, Libellus, fol. 11r.
  3. Rodewolt, Chronicon, fol. 301r/v.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 120 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0012003.