Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 99 Museum Lüneburg 2. V. 15. Jh.

Beschreibung

Altardecke.1) Stickerei auf Leinen. Die Altardecke stammt aus dem Hospital im Gral. In 32 (8 x 4) durch Stege voneinander getrennten quadratischen Bildfeldern Szenen aus der Christus- und Marienvita umgeben von Rankenwerk, in jeder Ecke der quadratischen Felder ein Hirsch. Angefangen in der rechten unteren Ecke handelt es sich um folgende Szenen: 1. Reihe von unten nach oben Tempelgang Marias; Verkündigung mit der Inschrift A auf einem Schriftband; Heimsuchung; Geburt Christi. 2. Reihe von oben nach unten: Anbetung durch die Heiligen Drei Könige; Taufe, darüber zwei Schriftbänder mit der Inschrift B; Verklärung; Einzug in Jerusalem. 3. Reihe von unten nach oben: Kreuzigung; Auferstehung, der Engel mit dem Schriftband C; Abendmahl, darüber das Schriftband D; Jesus mit der Samariterin am Brunnen. 4. Reihe von oben nach unten: Garten Gethsemane; Fußwaschung mit dem Schriftband E darüber; Marienkrönung; Kreuzabnahme. Ab hier sind die Felder um 90° zu den voraufgegangenen versetzt angeordnet. 5. Reihe von oben nach unten: Grablegung mit dem nicht sinnvoll lesbaren Schriftband F darüber; Christus in der Vorhölle mit Schriftband G darüber; Auferstehung; Himmelfahrt mit zwei Engeln und vier Personen darunter auf einer Wiese, über den Engeln die zwei Schriftbänder H. 6. Reihe von oben nach unten: Johannes und Petrus am Grab mit den Schriftbändern I; Christus als Gärtner, darüber auf zwei Schriftbändern die Inschrift J; drei Frauen und zwei Engel am leeren Grab, darüber drei Schriftbänder mit der nur noch andeutungsweise zu lesenden Inschrift K; Christus erscheint Maria, darüber das Schriftband L. 7. Reihe von unten nach oben: Christus mit Siegesfahne, der seine Wundmale vorweist, darüber das Schriftband M; drei Jünger auf dem Weg nach Emmaus mit der Inschrift N auf drei Schriftbändern; Christus und Thomas mit den Schriftbändern O; Pfingsten. 8. Reihe von oben nach unten: Gnadenstuhl, unten links in dem Feld die Initialen P; Ankündigung des Marientodes durch einen Engel mit dem Schriftband Q, unten im Bildfeld die Initialen R; Marientod, unten im Bildfeld die Initialen S; Marienkrönung, unten im Bildfeld die Initialen T. Die verschiedenfarbig gestickten Inschriften der Schriftbänder sind zumeist nur noch undeutlich bzw. unvollständig zu lesen, möglicherweise auch falsch ausgebessert. Der Farbwechsel findet von Buchstabe zu Buchstabe oder von Wort zu Wort statt, die Initialen der Stickerinnen in Kreuzstich.

Maße: H.: 106 cm; B.: 204 cm; Bu.: 0,5–0,7 cm (A–O, Q), 1 cm (P, R–T).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/3]

  1. A

    AVE M[....]2)

  2. B

    B(A)P(TIZAT)a) IOH(ANNES) // SANCT(US)

  3. C

    EXURGE GLO(RIA)3)

  4. D

    DO(M)I(NVS) PASCHAM4)

  5. E

    NON LAVABIS M(IHI) P(EDES)5)

  6. F

    C[..]ROMR ISTE

  7. G

    TOLLITE POR(TAS)6)

  8. H

    HICEb) // [....]

  9. I

    ET CORPV(S) // ECCE ILIC7)

  10. J

    MVLIER QVID PL(ORAS) // DOMINE SI8)

  11. K

    QVE(M) QVER[ITIS] // IH(ESV)M NAZAR(ENV)M // NO(N) E(ST) HIC9)

  12. L

    S(AN)C(TE) MA(RI)E

  13. M

    PAX UOBIS10)

  14. N

    TV SOLVS P(ERE)G(RINV)S // QVE // DE IH(ES)V NAZ(ARENO)11)

  15. O

    D(OMI)N(V)S MEVS // MITTE MANVM12)

  16. P

    A SH

  17. Q

    SALVE BENED(ICTA) V(IRGO)

  18. R

    AW

  19. S

    BV

  20. T

    ADc)

Übersetzung:

Sei gegrüßt, Maria. (A)

Johannes tauft. Heilig. (B)

Wach auf, meine Ehre. (C)

Der Herr (lässt) das Paschamahl (einrichten). (D)

Du sollst mir nicht die Füße waschen. (E)

Macht die Tore hoch. (G)

Und der Körper ... . Siehe dort. (I)

Frau, was weinst du? Herr, wenn (du ihn weggetragen hast ...). (J)

Wen sucht ihr? Jesus von Nazareth. Er ist nicht hier. (K)

Friede sei mit euch. (M)

Bist du der einzige Fremdling (in Jerusalem) ... von Jesus von Nazareth. (N)

Mein Herr. Strecke (deine) Hand aus. (O)

Sei gegrüßt, gesegnete Jungfrau. (Q)

Kommentar

Die Buchstaben sind trotz runder Grundformen immer eckig ausgeführt, d. h. in sehr einfacher Sticktechnik, die I immer mit einem kleinem Balken als Nodus in der Mitte. Die Datierung folgt der zeitlichen Einordnung bei Kroos.13)

Die Darstellung der Geburt Christi entspricht – wie auf dem Lüner Weihnachtsteppich (DI 24, Nr. 57) und dem kleinen Lüner Teppich (DI 24, Nr. 64), der Vision der heiligen Birgitta von Schweden. Maria ist auch hier in blauem Kleid mit langen blonden Haaren auf dem Boden kniend dargestellt, vor ihr das auf einen Strahlenkranz gebettete Kind.14)

Textkritischer Apparat

  1. Auch B(A)P(TISTA) möglich.
  2. Bei dem ersten Buchstaben könnte es sich auch um ein rundes N handeln.
  3. Die Lesung des zweiten Buchstabens nicht sicher, es könnte sich auch um ein P handeln.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. H 89.
  2. Mariengebet nach Lc. 1,28: Ave Maria gratia plena. CAO, Nr. 1041, u. Cantus Database, u. a. ID 001041, 001042, 001539.
  3. Ps. (G) 56,9.
  4. Vgl. Lc. 22,7f.
  5. Io. 13,8.
  6. Antiphon, Graduale romanum, Feria IV. Quatuor Temp. Adventus. Cantus Database, ID 005159.
  7. ecce illic zwar nachweisbar (Mc. 13,21 u. Lc. 17,21 u. 17,23), aber vom Kontext her nicht passend.
  8. Io. 20,15.
  9. Beginn des Osterspiels: quem quaeritis o christicolae.
  10. Lc. 24,36.
  11. Lc. 24,18f.: Tu solus peregrinus es in Hierusalem et non cognovisti quae facta sunt in illa his diebus quibus ille dixit quae et dixerunt de Iesu Nazareno.
  12. Io. 20,27f.
  13. Kroos, Bildstickereien, Nr. 98, S. 147.
  14. Vgl. dazu Elizabeth Andersen, Das Kind sehen. Die Visualisierung der Geburt Christi in Mystik und Meditation. In: Sehen und Sichtbarkeit in der Literatur des deutschen Mittelalters, hg. v. Ricarda Bauschke, Sebastian Coxon, Martin H. Jones. Berlin 2011, S. 290–310.

Nachweise

  1. Kroos, Bildstickereien, Nr. 98, S. 147 (die Inschriften unvollständig), Abb. 392–395.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 99 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0009902.