Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 94 St. Nicolai 1447

Beschreibung

Doppelflügelaltar. Eichenholz, mit vergoldetem und bemaltem Schnitzwerk sowie Temperamalerei. Der Altar stammt aus St. Lamberti und dient seit dem Abriss der Kirche im Jahr 1861 als Hochaltar in St. Nicolai. Durch eine Übermalung im Jahr 1868 wurden die Gemälde wie auch die Inschriften stark überformt,1) die gemalte Rahmenornamentik stammt aus dieser Zeit. 1959 wurde die ursprüngliche Malerei wieder freigelegt, dabei wurden die Inschriften auf der Kammleiste (H, I) entdeckt.

Im Mittelteil des Schreins in einem hochrechteckigen Feld eine geschnitzte Darstellung der Kreuzigung, zu beiden Seiten und auf der Innenseite der inneren Flügel in zwei Reihen übereinander hochrechteckige Reliefs mit Szenen aus der Vita Christi. Gewandelt zeigt der Altar auf den Innenseiten der Außenflügel und den Außenseiten der Innenflügel von links nach rechts vier Gemälde mit Szenen aus den Legenden der Heiligen Simon, Judas Thaddäus und Lambertus. Außen links bewerfen die Apostel Judas Thaddäus und Simon die Zauberer Zaroës und Arphaxat mit Schlangen, im Hintergrund die Stadt Lüneburg, in den Nimben der beiden Apostel sind schwach Reste der Tituli erkennbar (A, B). Links in der Mitte das Martyrium des Judas Thaddäus und des Simon, im Nimbus des Judas Thaddäus der durch Restaurierung hervorgehobene Titulus C; vermutlich ehemals auch im Nimbus des Simon ein Titulus, der jedoch zerstört ist. Rechts in der Mitte bittet der Abt von Stablo den in der Kälte am Kreuz büßenden Lambertus um Verzeihung, im Nimbus des Lambertus Reste eines Titulus (D), dem Abt ist das Schriftband E, Lambertus das Schriftband F zugeordnet, die Inschriften in Schwarz auf weißem Grund, die Worttrenner rot. Außen rechts die Ermordung des heiligen Lambertus in seinem Haus, sein Mörder führt den Speer durch ein Loch im Dach, im Nimbus des Heiligen der Titulus G. Oben verliefen auf dem Rahmen über allen vier Gemälden Inschriften, von denen sich nur noch die beiden mittleren (H, I) schemenhaft erhalten haben.

Auf den Außenflügeln außen links im Gemälde das Opfer Abrahams, rechts eine Kreuzigungsszene, am Kreuz der Titulus J, auf einem dem Hauptmann zugeordneten Schriftband ist noch der Beginn der ansonsten zerstörten Inschrift K zu erkennen. Auf den Rahmenleisten wiederholt sich das Christusmonogramm L in Schwarz auf rotem Grund. Oben darüber auf den Rahmen beider Flügel die Reste einer nicht zu entziffernden Inschrift, auf der linken Seite nur noch eine Aneinanderreihung von Hasten erkennbar, rechts durch einen Restaurator Buchstaben hervorgehoben, die keinen sinnvollen Text ergeben und so sicher nicht dem Original entsprechen.2)

Auf der bemalten Predella in sechs Bogenfeldern die Halbfiguren von Propheten mit Schriftbändern, die Inschriften in Schwarz auf weißem Grund mit roten Versalien und Worttrennern: Moses (M), Jesaia (N), Baruch (O), Jeremia (P), Hosea (Q) und Micha (R). Die Worttrenner der Schriftbänder sind als Quadrangeln mit nach oben und unten ausgezogenen Zierhäkchen ausgeführt.

Maße: H.: 200 cm; B.: 263 cm (Schrein). H.: 193 cm; B.: 127 cm (Tafeln). H.: 204 cm; B.: 136 cm (Außenflügel außen). H.: 72,5 cm; B.: 283 cm (Predella). Bu.: 4,5 cm (A, B, D–G), 3,5 cm (C), 10 cm (H, I), 3 cm (J–L), 3,6 cm (M–R).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/4]

  1. A

    Sanctus Ivdas [.]a[....]

  2. B

    Sancte [...]on · ora [.........]

  3. C

    San(ct)usa) · Judas · tadeus

  4. D

    Sanctus Lambertus [ – – – ]

  5. E

    Jngnosce mi ingnosce · q(uia) · nescie(n)s · peccavi · da · in ·

  6. F

    [d]atab) sit vob(is)c) · a · deo · i(n)dulge(n)cia · i(n) · frigore

  7. G

    Sanctus · Lambertus

  8. H

    gloriam · q(uas)i · vnigeni[ti · a · pat]red) · plenu(m) · gr(ati)a · (et)e) · ver(i)tate3) · 1447f)

  9. I

    In · pri(n)cipio · erat · verbu(m) · (et)e) · verbu(m) · erat · apud · deu(m) · (et)e) · deus · erat · v(erbum)4)

  10. J

    · i(esus) · n(azarenus) · r(ex) · i(udaeorum)5)

  11. K

    vere · filius [ – – – ]6)

  12. L

    chr(istu)sg)

  13. M

    Moÿses Appa(r)uit · d(omi)n(u)s · in fla(m)ma · ingnis · demedio · rubi ·7)

  14. N

    · Isaias · Ecce · virgo · pariet · filium · et · vocabit · nome(n) · ei(us) ·8)

  15. O

    Baruch · In terris · vis(us) · est · cu(m) · h(o)m(ini)b(us) · co(n)u(er)sat(us) · est ·9)

  16. P

    Ie(re)mias · Tradidit · in · morte(m) · dil(e)c(t)am · a(n)i(m)am · suam ·10)

  17. Q

    · Osee · Post · dies · duos · viuificabit · nos ·11)

  18. R

    Micheas · Ascende(n)s · iter · pandens · an(te) · eos ·12)

Übersetzung:

Verzeih mir, verzeih, da ich unwissend gesündigt habe, gib ... . (E) Von Gott sei euch Nachsicht gegeben in der Kälte. (F) ... eine Herrlichkeit gleichsam des eingeborenen (Sohnes) vom Vater voller Gnade und Wahrheit. (H) Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. (I) Wahrlich, (er war Gottes) Sohn. (K) Moses: Der Herr erschien in einer Flamme, als Feuer mitten aus einem Dornbusch. (M) Jesaias: Siehe, eine Jungfrau wird einen Sohn gebären, und sie wird ihn (Emmanuel) nennen. (N) Baruch: Er ist auf Erden erschienen und hat mit den Menschen gelebt. (O) Jeremias: Er übergab dem Tod seine geliebte Seele. (P) Hosea: Nach zwei Tagen wird er uns zum Leben erwecken. (Q) Micha: Er steigt hinauf, wobei er den Weg vor ihnen frei macht. (R)

Kommentar

Reinecke13) nimmt an, dass die Predella vom Heiligenthaler Altar stammt, weil sie breiter ist als der geschlossene Schrein. Die Annahme wird jedoch eindeutig von Bode widerlegt, der die Predella noch in situ als Bestandteil des Altars in St. Lamberti beschreibt.14) Die Gemälde fertigte – wie die Gemälde des Heiligenthaler Altars (vgl. Nr. 95) – der Maler Hans Bornemann an. Eindeutig belegt ist dies in einem Brief der Stadt Hamburg vom 19. März 1463 an den Lüneburger Rat, mit dem diese Beschwerde einlegte, weil Hans Bornemann die für seine Arbeit für St. Lamberti zugesagte lebenslängliche Rente in Höhe von 25 Mark seit etlichen Jahren nur zum Teil oder gar nicht gezahlt worden sei. Vor der Freilegung der Inschrift H wurde als Indiz der Entstehung der Gemälde vor dem Jahr 1460 die Ansicht Lüneburgs auf der Innenseite des linken Außenflügels hervorgehoben, auf der der in diesem Jahr errichtete Turm von St. Nicolai fehlt.16)

Die Holzplastiken des Altars weist Meyne ohne den geringsten Beleg einer von ihm konstruierten Werkstatt des Lüneburger Gießers Hans Snitker zu (vgl. Nr. 78), dem er gleichzeitig – offenbar nur aufgrund seines Nachnamens – auch noch Fähigkeiten als Bildhauer zutraut.17)

Textkritischer Apparat

  1. Die imaginären Buchstaben ct durch das Schwert verdeckt.
  2. (be)ata Gmelin, Kat. Goldgrund und Himmelslicht.
  3. voto Gmelin, Kat. Goldgrund und Himmelslicht.
  4. Der Text muss an dieser Stelle gekürzt gewesen sein, es lässt sich aber nicht mehr feststellen wie.
  5. Tironisches et.
  6. Die Ziffer 4 jeweils schlingenförmig, lambdaförmige 7.
  7. xpc.

Anmerkungen

  1. So wurden in beiden Darstellungen des Lambertus in die Nimben (D, G) SANKTUS LAURENTIUS hineingemalt. Zu den Restaurierungen vgl. Gmelin, Tafelmalerei, S. 108f., und besonders die Quellenexzerpte zu den Restaurierungen bei Rümelin, St. Nicolai, S. 886 (PDF CD).
  2. Gmelin liest hier: ul . usum . oritas . clli cui / mcccclvl anno. Diese Lesung lässt sich nicht mit dem Befund vereinbaren. Gmelin datiert die Gemälde aufgrund dieser Lesung in die Jahre 1456–1458/59. Die Inschrift H, die die präzise Datierung enthält, konnte er nicht entziffern.
  3. Io. 1,14. Vermutlich stand die erste Hälfte des Bibelverses auf dem äußeren Flügel: et verbum caro factum est et habitavit in nobis, et vidimus gloriam eius, gloriam quasi unigeniti a patre plenum gratiae et veritatis.
  4. Io. 1,1.
  5. Io. 19,19.
  6. Mt. 27,54, zu ergänzen zu vere filius dei erat iste.
  7. Ex. 3,2.
  8. Is. 7,14, zu ergänzen Emmanuel.
  9. Bar. 3,38.
  10. Nach Is. 53,12: tradidit in mortem animam suam. Hier möglicherweise kombiniert mit Ier. 12,7: dedi dilectam animam meam in manum inimicorum eius.
  11. Os. 6,3.
  12. Nach Mi. 2,13, dort ascendet, das auch Mithoff und Krüger/Reinecke überliefern.
  13. Helmut Reinecke, Die Rekonstruktion der Heiligentaler Altars. In: Lüneburger Museumsblätter, Heft 13, 1937, S. 99–107, hier S. 106.
  14. Bode, Kirchen, Nr. 260. Diese Zuordnung wird von Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 150, bestätigt.
  15. StA Lüneburg, Br 77/10, Schreiben vom 19. März 1463. Vgl. Reinecke, Bornemann, S. 228.
  16. So schon bei Bode, Kirchen, Nr. 260.
  17. Meyne, Plastik, S. 64–66 u. 192–195.

Nachweise

  1. Bode, Kirchen, Nr. 260 (M–R).
  2. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 150 (K–P).
  3. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 148 (K–P).
  4. Gmelin, Tafelmalerei, S. 106–109 mit Abb. (F, G, J–Q).
  5. Kemperdick, Bornemann, S. 63 (H, I).
  6. Kat. Goldgrund und Himmelslicht, Kat. 15, S. 168 (E, F nach Gmelin), Abb. S. 168–171.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 94 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0009400.