Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 100: Stadt Lüneburg (2017)
Nr. 12 Museum Lüneburg 1360?
Beschreibung
Gedenkstele für Gerhard Semmelbecker.1) Stein. Die Stele, die ursprünglich im Garten des Torschreibers vor dem Altenbrückertor aufgestellt war, gelangte nach verschiedenen Standortwechseln im 20. Jahrhundert in das Museum für das Fürstentum Lüneburg. Sie besteht aus einem hochrechteckigen Stein, der unter zwei Vierpassmedaillons im Flachrelief mit geritzter Binnenzeichnung einen knienden Mann in Bethaltung mit einem Wappenschild zu seinen Füßen zeigt, und einem schmalen Aufsatz mit einem weitgehend zerstörten Relief des Kruzifixes. Die Figur des Betenden im unteren Teil wird von der dreiseitig in vertiefter Zeile umlaufenden Inschrift A umgeben, die erhaben gehauen ist. Der knienden Figur ist ein nach oben von den Händen ausgehendes und im Bogen um den Dargestellten verlaufendes Schriftband mit der erhaben gehauenen Inschrift B zugeordnet. Die Worttrenner sind teilweise als Doppelpunkte, teilweise als Punkte ausgeführt. Insgesamt weist die Stele viele Beschädigungen auf, unten ist sie verkürzt.
Maße: H.: 213 cm; B.: 57 cm; Bu.: 7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
- A
An(n)o · d(omi)ni · M · ccc · ixa) · ip(s)o · die · b(ea)ti · iacobi2) · hic · submers(us) · o(biit) · gherard · Zemel[bek]erb)
- B
natec) dei miserere mei
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 13..a) am Tag des heiligen Jakobus starb hier Gerhard Semmelbecker, der ertrunken ist. (A)
Sohn Gottes, erbarme dich meiner. (B)
Versmaß: Anfang eines binnengereimten Hexameters (trininus saliens) (B).
Semmelbecker3) |
Textkritischer Apparat
- Wohl anstelle von lx gehauen. Der erste Zahlbuchstabe entspricht genau einem i mit nach links gebrochenem oberen Hastenende und fehlender Oberlänge. Zu dem Haufehler vgl. den Kommentar.
- Die Buchstaben bek nur noch ansatzweise zu erkennen. de Mel - - - Büttner.
- mater Büttner, Mithoff.
Anmerkungen
- Inv. Nr. E 1.
- 25. Juli.
- Wappen Semmelbecker (Balken mit drei Schnallen belegt). Vgl. Büttner, Genealogiae.
- Vgl. hierzu DI 77 (Stadt Greifswald), Einleitung S. 42.
Nachweise
- Rodewolt, Bilderchronik, fol. 139 (A) u. 214r (Zeichnung, Inschriften nicht originalgetreu).
- Büttner, Inscriptiones.
- Gebhardi, Collectanea, Bd. 13, p. 203 u. 206 (Zeichnung nach Rodewolt, Inschriften nicht originalgetreu) u. 415 (Zeichnung).
- Gebhardi, Verzeichnis Sachen, p. 136.
- Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 203 (nach Gebhardi).
- Körner, Leitfaden, S. 49, E 1.
- Michael, Führer, S. 56f., E 1.
- Müller/Baumann, Kreuzsteine, S. 22, 2728.8.
Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 12 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0001206.
Kommentar
Die in erhaben gehauenen Buchstaben ausgeführte Inschrift zeigt die typischen Formen der frühen gotischen Minuskel ohne Quadrangeln mit stumpf endenden Buchstabenteilen, z. B. an den Oberlängen von b, h und l sowie an den unteren Buchstabenenden von m und n. Der Zahlbuchstabe M entspricht in der Höhe den Minuskelbuchstaben, ist aber durch unteren Abschluss des linken Teils und Abschrägung der rechten Haste als Versal zu interpretieren. Die hier verwendete Form der erhaben gehauenen gotischen Minuskel tritt um die Mitte des 14. Jahrhunderts erstmalig auf.4) Damit würde eine Lesung der Jahreszahl – unterstellt ein Haufehler des Steinmetzen – als M ccc lx sehr gut zu den Schriftmerkmalen passen. Allerdings lässt sich nicht nachweisen, dass hier ein Fehler des Steinmetzen vorliegt, da ein Gerhard Semmelbecker in den Quellen des 14. Jahrhunderts nicht genannt ist. Genau aus diesem Grund ist es aber wohl auch auszuschließen, dass man einem im Jahr 1309 Ertrunkenen erst 40 oder 50 Jahre nach seinem Tod einen Gedenkstein setzen ließ, wenn dieser nicht zu Lebzeiten eine gewisse bedeutende Position innerhalb der Stadt innegehabt hätte und demzufolge auch in irgendeiner Form nachweisbar wäre.