Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 9† St. Michaelis 1. H. 14. Jh.

Beschreibung

Bronzetaufe. Das von vier männlichen Figuren getragene Taufbecken, das im Jahr 1791 eingeschmolzen wurde,1) stand am Westende des Mittelschiffs. Die Wandung des Kessels war mit 60 kleinen Reliefs bedeckt, die sich teilweise wiederholende Darstellungen aus der Vita Christi, Marien- und Heiligendarstellungen, ornamentalen Schmuck sowie verschiedene Wappen und Wappenmotive enthielten, die bei Gebhardi in detaillierten Zeichnungen wiedergegeben sind.2) In dem bei Gebhardi als Nr. 4 und Nr. 50 gezählten Relief mit einer Kreuzigungsgruppe am oberen Kreuzbalken die Inschrift A, in dem Relief mit der Nr. 44 ein kniender Mann in Bethaltung, links und rechts davon die Inschrift B. Auf dem Taufdeckel befand sich eine große Figur des Erzengels Michael.

Inschriften nach den Zeichnungen bei Gebhardi.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

  1. A

    IH(ESU)S

  2. B

    OL//L·A

Übersetzung:

Das (Tauf)becken. (B)

Kommentar

Gebhardi schlägt zwei mögliche Erklärungen der etwas rätselhaft anmutenden Inschrift B vor.3) Zum einen erwägt er, ob es sich bei dem Dargestellten nicht um den Abt von St. Michaelis Ulrich von Ilten handeln könne, der von 1347 bis 1360 amtierte, was zu einer Auflösung der Inschrift als OLL(RICUS) A(BBAS) führt. Der in das L eingestellte Punkt würde dann beide Wörter trennen. Allerdings weist die Zeichnung bei Gebhardi den Dargestellten nicht eindeutig als Abt aus. Als zweite Lösung bietet Gebhardi an, die Inschrift als OLL(RICUS) A(RTIFEX) oder A(RTISTA) bzw. als OL(RICUS) LA(BORAVIT) aufzulösen und in dem Dargestellten den Gießer Olricus zu sehen, der sich auch in einer Inschrift auf der – ebenfalls nicht mehr erhaltenen – Glocke von St. Michaelis aus dem Jahr 1325 nennt (DI 24, Nr. 8).4) Da Gebhardi vermerkt, dass die Glocke von 1325 zum Teil die gleichen Reliefs trug wie der Taufkessel, erscheint die zweite Erwägung deutlich plausibler. Damit wäre das Taufbecken auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zu datieren und hätte wie die Glocke noch aus der alten Klosterkirche gestammt. Zu der Datierung passt auch, dass auf dem Taufbecken Wappen wie die der Familien Grote, von dem Berge, von Estorff und eines Familienzweigs der von der Molen (Balken mit drei Rädern) vorkamen, für die sich alle im Urkundenbuch von St. Michaelis Bezüge zum Kloster in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisen lassen.5) Dass das Michaeliskloster auf dem Kalkberg auch Pfarr-Rechte für die Angehörigen des Klosters und der Burg auf dem Kalkberg wahrnahm und damit auch ein Taufbecken benötigte, ist belegt.6)

Anmerkungen

  1. Wrede, Glocken, S. 48. Das Taufbecken fiel zusammen mit sechs mittelalterlichen Glocken den Aufräumungsarbeiten des Landschaftsdirektors Friedrich Ernst von Bülow zum Opfer, der die Stücke ohne Ansehen ihres Alters zum Materialwert verkaufte (Wrede, Glocken, S. 44–49). Fünf dieser Glocken trugen Inschriften (DI 24, Nr. 8, 21, 22, 41, 42).
  2. Zeichnungen der Reliefs bei Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 438–444, Zeichnung des Taufkessels mit Deckel p. 444.
  3. Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 524.
  4. Zu dem Lüneburger Gießer Olricus auch Walter, Glockenkunde, S. 891f., mit dem Nachweis weiterer Glocken.
  5. Vgl. die Zeichnungen der Reliefs bei Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 438–444, u. UB St. Michaelis, passim.
  6. Vgl. Kuper, Pfarrkirche, S. 15f.

Nachweise

  1. Gebhardi, Collectanea, Bd. 6, p. 438 (Zeichnung A), p. 442 u. 524 (Zeichnung B).
  2. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 166 (B, nach Gebhardi).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 9† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0000907.