Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)

Nr. 320 Mörfelden, Evangelische Kirche 1611

Beschreibung

Epitaph für den Pfarrer Christoph Comenzius und seine Frau Anna Schaub. Das aus der Ädikulaform abgeleitete Epitaph aus rotem Sandstein ist außen an der Südwand des Langhauses angebracht. Eine von Architekturelementen gerahmte Mitteltafel trägt die Grabinschrift (A), während sich das Grabgedicht mit dem Stiftervermerk (B) im Unterhang befindet. Der Aufsatz ist als Wappenkartusche mit einem Vollwappen gestaltet. Die Helmzier wird von einem Tetragramm in hebräischer Schrift (C) gerahmt. In den Inschriften (A) und (B) dienen als Worttrenner einfache oder zwei übereinandergesetzte Quadrangeln.

Maße: H. 276, B. 128, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis. Humanistische Minuskel.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/6]

  1. A

    D(EO) · O(PTIMO) · M(AXIMO) · S(ACRUM) · / CHRISTOPHORO COMENZIO · / Kelbra Thuringo. / Verbi Coelestis Praeconi orthodoxo · / Eiusq(ue) Coniugi dilectissimae, / ANNAE SCHAVBIAE · / Stolberga1) oriundae · / Parentib(us) suis desideratissimis, / HOC QVALECUNQ(UE) MONUMENTUM, / Humanae sortis ac gloriosae Resurrectio(n)is memores, / In extremae pietatis sÿmbolum, / Non sine lacrÿmis erigi curarunt · / LIBERI SUPERSTITES · / Quorum ILLE pie in Christo obdormivit, / Anno a Christo nato, / M D CXI,a) / Ipsis Nonis Martiis hora 4 pomeridiana / AEtatis LXII, / HAEC praecessit, / ANNO · / M D CIXa) · / XII · Kal(endas) · sextil(is) · hora VIII mat(utina), / AEtatis Circiter L ·

  2. B

    Heic sita CHRISTOPHORI, prope Co(n)iugis ossa CO=/MENTZIb)Qui lustris septem rexit ovile Dei2) · /Qvanta Fides illi fuerit, Constantia qvanta, /Edocuit geminum, qvod tulit exilium /Socero suo desideratissimo, tetrasti=/chon hoc gemebundus addebat / M(agister) IOANNES Schwartz · S(enatus) P(opulus) Q(ue) / Francf(ordensis) a Cantio(n)ib(us)3) ·

  3. C

    4)יַהוֶה

Übersetzung:

Dem besten und größten Gott geweiht. Dem rechtgläubigen Prediger des himmlischen Wortes Christoph Comenzius aus Kelbra in Thüringen und seiner überaus geliebten Frau Anna Schaub, die aus Stolberg stammte, ihren Eltern, die sie sehr vermissen, haben die überlebenden Kinder dieses wie auch immer beschaffene Denkmal, eingedenk des menschlichen Schicksals und der ruhmreichen Wiederauferstehung, als Zeichen äußerster liebevoller Kinderpflicht nicht ohne Tränen errichten lassen. Von ihnen starb jener fromm in Christus im Jahr nach Christi Geburt 1611, eben an den Nonen des März (7. März) um vier Uhr nachmittags, im Alter von 62 Jahren. Jene ging ihm aber voraus im Jahre 1609, am 12. Tag vor den Kalenden des August (21. Juli) um 8 Uhr morgens, im Alter von ungefähr 50 Jahren.

Hierhin sind die Gebeine des Christoph Comenzius gelegt worden, nahe den Gebeinen seiner Frau. Er hat sieben Lustren lang (35 Jahre) die Herde Gottes gelenkt. Wie groß sein Glaube und wie groß seine Standhaftigkeit waren, lehrte er, weil er das zweifache Exil ertrug.

Für seinen Schwiegervater, den er sehr vermißt, hat dieses vierzeilige Gedicht seufzend Magister Johannes Schwarz, Kantor des Rates und der Stadt Frankfurt, beigegeben.

Versmaß: Zwei Distichen (B).

Wappen:
Comenzius.5)

Kommentar

Die Inschrift zeigt eine humanistische Minuskel, in die Wörter in Kapitalis eingeschoben sind. Bei den Versalien handelt es sich immer um Kapitalisbuchstaben, die auch mehrfach als überhöhte Buchstaben ausgeführt wurden. Großes und kleines u tragen als diakritisches Zeichen stets zwei Punkte wie ein ü.

Christoph Comenzius war der Sohn des gleichnamigen Vaters, der als Pfarrer im thüringischen Kelbra (Lkr. Sangerhausen) wirkte. Er immatrikulierte sich 1574 in Wittenberg und war von 1576 bis 1585 zunächst Pfarrer in Königstein (Hochtaunuskreis) und dann von 1585 bis 1601 Pfarrer in Büdingen (Wetteraukreis). Dort wurde er bei der Einführung des reformierten Bekenntnisses abgesetzt, da er streng lutherisch gesinnt blieb.6) Die Absetzung empfahl ihn später für die Einsetzung in Mörfelden. Dort hatte 1583 Graf Wolfgang von Isenburg-Ronneburg im Zuge seiner Hinwendung zum Calvinismus einen reformierten Pfarrer eingesetzt. Sein lutherisch gesinnter Nachfolger Graf Heinrich von Isenburg-Ronneburg machte diese Maßnahme nicht rückgängig. Im Jahr 1604 fiel die Kollatur für Mörfelden jedoch an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, der den reformierten Pfarrer Georg Creuter absetzte und Comenzius mit der Pfarrei Mörfelden betraute, in der er bis zu seinem Tode 1611 blieb.7) Die streng lutherische Haltung von Comenzius betont die Grabinschrift (A), indem sie ihn als praeco orthodoxus bezeichnet. Wenn das zweite Distichon des Grabgedichts (B) von einem geminum exilium spricht, so kann damit nur die Aufgabe der Pfarrstelle in Königstein und die Absetzung in Büdingen gemeint sein. Ob Comenzius auch in Königstein sein Amt gegen seinen Willen niederlegen mußte, ist nicht bekannt. Der Stifter dieses Grabgedichts, Magister Johannes Schwarz, hatte 1610 Comenzius‘ Tochter Barbara geheiratet. Er war Lehrer am Frankfurter Gymnasium und Kantor an der Frankfurter Barfüßerkirche.8)

Textkritischer Apparat

  1. M und D sind als neulateinische Zahlzeichen geschrieben.
  2. MENTZI ist aus Platzmangel in die zweite Zeile unter CO= gesetzt und durch eine Klammer in Form eines C vom übrigen Text der Zeile abgetrennt worden.

Anmerkungen

  1. Stolberg, Lkr. Sangerhausen.
  2. ovile dei ist ein häufig verwendeter Pentameterschluß, der sich bereits bei Venantius Fortunatus nachweisen läßt, vgl. Schumann, Hexameter-Lexikon IV 97 und DI 41 (Lkr. Göppingen) Nrr. 196, 434.
  3. Die ungewöhnliche Formulierung a Cantionibus ist offenbar wie die Wendung a consiliis konstruiert, vgl. zu deren Verwendung DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 580; DI 48 (Niederösterreich 2, Wiener Neustadt) Nrr. 183, 276.
  4. Dasselbe Tetragramm befindet sich auf dem Grabdenkmal des Johannes Christoph Binnecker, vgl. DI 29 (Worms) Nr. 685.
  5. Ein schreitendes nacktes Kind, das einen Schild mit einem Löwen trägt; Helmzier: ein sitzendes nacktes Kind.
  6. Hassia sacra I 176 und Hassia sacra II 300.
  7. Vgl. ebd. und Hoferichter 213.
  8. Hoferichter 395.

Nachweise

  1. Hoferichter, Mörfelden 394 f.

Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 320 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0032005.