Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)

Nr. 263(†) Darmstadt, Evangelische Stadtkirche 1589, 1597

Beschreibung

Epitaph der Gräfin Magdalena zur Lippe und ihres Mannes Landgraf Georgs I. von Hessen-Darmstadt. Das Denkmal wurde 1589 errichtet, doch kamen die Inschriften mit Ausnahme der Jahreszahl erst 1597 zur Ausführung. Das dreigeschossige, in der Art eines Altarretabels aufgebaute Epitaph aus Alabaster steht an der Stirnwand des Chores. In der Mitte seines Sockels befindet sich zwischen zwei reliefierten Putten mit Stundengläsern eine Rollwerkkartusche mit der Grabinschrift (G). Beiderseits davon folgen leicht vorspringende Tafeln mit den in Doppelspalten ausgeführten Inschriften (C) und (F). Die Außenfelder des Sockels enthalten Darstellungen von Genien mit Girlanden und Fruchtgehängen. Die Mitte des ebenfalls fünfachsigen Hauptgeschosses nimmt ein Kreuzigungsrelief ein. Über dem Querbalken des Kreuzes ist eine Tafel mit dem erhaben ausgeführten Kreuztitulus (I) angebracht. Zu Füßen des Gekreuzigten knien Magdalena und Georg mit ihren zehn Kindern. Die den Hintergrund bildende Stadtansicht gibt rechterhand die alte Vorstadt Darmstadts wieder. Auf dem Architrav und den rahmenden Pilastern sind 16 hölzerne Wappen befestigt. Daneben stehen in den zurückgesetzten Nischen die vollplastischen Figuren Georgs und Magdalenas, die nach spanischer Mode gekleidet sind. Georg trägt in der rechten Hand einen Hut, mit der Linken greift er in den Umhang. Magdalena hält mit der angewinkelten Linken ein Gebetbuch vor sich, und in ihrer Rechten liegt ein Handschuh. An den Seiten begrenzen Felder mit den Inschriften (B) und (E) das Hauptgeschoß. Nach oben wird es durch ein verkröpftes Gebälk abgeschlossen, dessen reliefierter Girlandenfries in der Mitte eine Kartusche mit dem Herstellungsjahr (H) des Denkmals enthält. Das von einem Korbbogen gerahmte Mittelfeld des darauffolgenden dreiachsigen Geschosses besteht aus einem Relief, das die Aufnahme der Landgräfin in den Himmel zeigt: Vom Glauben geführt und von den anderen Tugenden geleitet zieht Magdalena mit ihren vier bereits verstorbenen Kindern zu Christus. Umgeben von musizierenden Engeln erscheint dieser mit der Auferstehungsfahne in der Gloriole oberhalb der Gruppe. Wie im Hauptgeschoß sind die Frieszone des abschließenden Gebälks und die flankierenden Pilaster mit insgesamt 16, diesmal aus Stein gehauenen Wappen besetzt. Die seitlichen Schriftfelder mit den Inschriften (A) und (D) nehmen nun nur noch die halbe Geschoßhöhe ein. Über ihnen stellen Zwickelreliefs schlafender Putten mit Stundengläsern und Totenschädeln die Verbindung zum Mittelteil her, während seitliche von Obelisken bekrönte Pilaster und wappenhaltende Löwenfiguren den Einzug gegenüber dem Hauptgeschoß ausgleichen. Die beiden Felder des letzten Geschosses enthalten jeweils zwei reliefierte Vollwappen, die von den vollplastischen Figuren Davids und Salomons flankiert werden. Ein stehender Putto mit Stundenglas bekrönt das Denkmal. Alle Inschriften sind auf Kupfertafeln ausgeführt, wobei die Buchstaben aus dem Kupfer getrieben und dann mit Goldfarbe bemalt worden sind. Die Texte jeweils einer Seite gehören zusammen und sind von oben nach unten zu lesen. Die Verse sind zeilenweise abgesetzt. Die Inschriften auf der linken Seite beziehen sich auf Landgraf Georg, alle Inschriften der rechten Seite auf Magdalena. Nach Buchner befand sich im Z-Versal der Inschrift (C) in winzigen Buchstaben eine Meisterinschrift (J), die aber 1896 schon nicht mehr sichtbar war.1)

Maße: H. ca. 900, B. 553, Bu. 1,8 (C, F), 3,5 (G), 4 (A, B, D, E) cm.

Schriftart(en): Fraktur.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/9]

  1. A

    Disz Bild mein lieber Leser gut,Ein loeblichna) Fürste(n) deüte(n) thut.Ist Landgraf Goerga) zu Hesse(n) gnant,Im Römsche(n) Reich gar wol bekant.Aus keÿserlichm, v(nd), Könglichm stam,Von Carlo Magno ein Vrsprung nam:Die Köngin Sanct Elisabeth,Von Vngar(n) in de(m) gschlecht auch steht.Philips der Elter zu Hessen gutSein Herr Vatter mit Löwen muth,Vnd glantz d(er) Tuge(n)d durch Gots gnadEin Ewigs Lob erlanget hat.Auch auff die Vier Herr(n) söhne sein,Als ein schatz fortgepflantzet fein.Sein Mutter ein Hertzogin Clar,Von Sachse(n) Christin gnen(n)et war.

  2. B

    Ver(n)erb) als in eim spiegel klarWil ich dir mache(n) offe(n)barDie Tugend dieses Fürsten gut,Des lob ahn Himel reiche(n) thutFürtrefftichc) grosz war sei(n) verstand,In Geÿstlichn sache(n)d) allerhand.In Heÿlger schrifft zu allerfristGeübt vnd glert er gwesen ist.Daher sein glaub zu Gott behend,Sich hat vermehret bisz ans end.Beÿ seinem hohe(n) Fürste(n)thumb,Ist Gott gewest sei(n) schatz v(nd) rhumAuff den er auch gehoffet hatIn glük vnd vnglük frü und spat.Vnd hat sei(n) Creütz d(er) Schwacheit schwerd)Mit gdult ertragen Gott zu EhrEin Kirchenvatter gwesen istSo lang ihm Gott das lebe(n) gfristGots wort hat er erhalten rein,In allen seinen Kirchen fein.Die Vnuerfelschten SacramentHat er geschutztd) bis an sein endt.Gut Kirche(n) zucht hat er mit fleiszGehalte(n) Gott zu Lob vnd PreiszEin schutzher Pfleger vnd Seüga(n)Der Kirchendiener allesamMit trewem hertzen gwesen istZu ehrn seim herre(n) Iesu ChristWelchs er gantz Fürstlich in d(er) thatGenugsamlich erwiesen hatDa er mit grosse(m) lob vnd rhumGestifft hat in seim Fürste(n)thumbDen Predgers widwe(n) vnderhaltAuch Christlich schule(n) ma(n)igfaltDamit der Kirche(n) wolfart feinVnd Gottes ehr hat gsucht allein

  3. C

    Zu(m) bschlusz: in hohm v(nd) nidrig(m) standtSein Fürstlich weiszheit war bekantHat guten fried behalten fein,Beÿ sein lieben landschäffeleinGerechtigkeit vnd gricht im landt,Erhalten sind durch seine handIn Thewrung vnnd in aller noth,Als ein Landsvatter gholffen hat.Die Landschafft vnd sein Vornembst StadMit nutzlichn Bäwen gzieret hatWeil dann der tewre Fürst mit fleisz,Alles zu Gottes Lob vnnd PreiszZu nutz der Kirchen, dem Land zu gut,Aus recht Christlichem Fürsten muth.Zum besten in seim Regiment,Hat ahngestelt bisz ahn sein Endt:So hat ihn Gott auch widerumb,Gesegnet inn seim Fürstenthumb.Die Tugentreichen Gmahlin fein,Des Hauszes Hessen gwesen sein.Fruchtbar Weinstöck vnd Ölbäum gutDern frucht das Landt erfrewen thut.Die Erst mit höchsten ehrn bekan(n)t,Fraw Magdlen von der Lipp genant.Beÿ ihm Ehelich hat Vierzehen Ihar,Sechs Monat glebt, glaub mir furwar.Hat mit Zehn Olepflentzelein,Sein Fürstlich Ehebeth Zieret fein. //Aus diesn Frewlin Christin erwarbFritz Grafns zu Erbach Ehe vnnd starb.2)Ihr Fraw Mutter vnnd Gschwisterlein,Vier waren Lengst hingfaren fein.Eleonora Hertzogin,Zu Wirtemberg, kam ihm in sinn.Zur Andern Ehe Löblich vnnd wol,Als Aller Ehr vnnd Tugent vol.Die noch mit einem Iungen Herrn,Das Fürstlich hausz Hessen that mehrn.Dieselbig Ehe gewehret hat,Beÿ Sechs Iar vnnd Zehn Monat.Mit Beÿdn lebt er in Einigkeit,Sah ahn sein Vbrign kindern freud,Bisz ihn Gott aus dem Iammerthal,Zu sich nam in sein Freudensahl,Am Siebenden des Hornungs Zwar,Im Neu(n)tzigsten vnnd sechsten IarZwantzig neun Iar war er Regent,Viertzig acht Iar, Funf Mont sein Endt.Doch hat er seinen Fürstenthron,Numehr durch seinen Eltesten Sohn.Landgraf Ludwign Herrlich ersetzt,Ders gantze Land des Leids ergetzt.Dem woll der grosse Konig der Ehrn,Ein glücklich Regiment beschern.Auch das er sampt sein Brüdern zgleichWerden Himmelsfürsten Ewiglich.

  4. D

    Sih lieber Leser, wer die sein,Mit de(n) die Fürstin geht so fei(n):Glaub, Hoffnung Lieb, GerechtigkeitVorsichtigkeit auch MessigkeitVnd Tapferkeit: Was bdeüten die?Merck vff, es wird gemeldet hie.Der glaub der Fürstin gleüchtet hatBisz ahn die Pfort in Gottes stat.All Christlich Tugend manigfaltSind bey ihr funden gleichergstaltNu hat ihr Christus Zubereit,Die Krone der GerechtigkeitDas End des Glaubens alles heilAus Lauter Gnad zu ihrem theilDas sie mit Gott in seinem reichMit freud sol leben Ewiglich

  5. E

    Dis Creütz bedeüt kein Götze(n)die(n)stFürwar sonst brecht es kein gewi(n)st,Der Babst vnd sein geschorner hauffDie richten stumme Götzen auff.Sondern es soll ein Zeichen sein,Eins rechten Christe(n) glaubens fein.Die selig Fürstin gsehen hat,Im glaube(n) Christum frü vnd spät.Wie er am stamm des Creützes hochAll gläubig hertzen zu sich zoch.Sie hat gesehn sein wunden rothSein thewres blut vnd bittern todt.Hiermit labt sie ihr trawrigs hertz,Wan(n) sie betrübt der seelen schmertz.Dan(n) Christus war ihr freud v(nd) muth,Ihr Köng vnd Hoher Priester gut.Sein blut ihr einig Hoffnung warDamit sie tilgt des Tods gefahrIn Ihm allein sie lebt vnnd starbIn Ihm all himmlisch sctz erwarb.Ihr liebster Herr vnd kinder wehrtSo leben noch vff dieser ErdtSind dieses glaube(n)s Zeugen ClarVnnd mitgenoszen glaub furwarDie stellen gleichfals Ihre(n) trostVff Christum der sie hat erlostSie beten ahn kein steinern BildSondern de(n) kern des Creutzes mildDen Ehren sie von hertzen grund,Mit Glauben Leben vnd de(m) mund.Das vnbefleckte Laembleine) schonDes Allerhoechstena) Gottes Sohn.Sie Hoffen auch Bestendigkeit,Durch Ihn zur Seelen seligkeit.Also wird dir hie Vorgebild,Ein Fürstlich reines glaube(n)s schild

  6. F

    MEin lieber Leser schaw warumbDisz Fürstlich EpitaphiumSey hergestelt ahn diesen Ort, Das hat gethan glaub mein wort.Der Durchleüchtig vnndt Hochgeborn,Vnsr Fürst vnndt Herr, Herr Georg beuorn.Landtgraff zu Hessen das es werEin Zeichen, Trewer Lieb vnnd Ehr.Vnnd ein Hochlöblich Gdechtnis feinSeiner Gemahlin möchte sein.Wiewol Ihr Leiblich Bild allein,Durch Künstlers handt hie gibt ein schein.Aber denn Innerlichen schmuck,Des Frommen Hertzens ohn betrug.Die Tugend grosz vnnd Kleinoder,Damit sie bgabt hat Gott der Herr.Kan Nimmermehr keins Meisters handt,Abbilden Irgent inn eim Landt.Darumb Ihr Fürstlich Ehr vnnd Rhum,Im Gantzen Hessen Fürstenthumb.Billich in Vollem schwang geht,So lang als diese Graffschafft steht,Sie war ein freüd vnnd kron ihrs Herrn,Das Fürstlich Ehbeth that Sie MehrnInn Einigkeit vnnd Liebe reinMit Zehen Fürsten KinderleinIhrs Gschlechts ein Ehren Spiegel klar,Der Schuln vnnd Kirchen Mutter war. //Der Armen schatz war Ihre handt,Hielt wie ein Seül, das Vatterlandt.Da sie des Zehnden kinds genasz,Fuhr sie ihm nach, vffs Todes strasz.Die Fürstlich Seel im Himmel ist,Beÿ Ihrm Erlöser Iesu Christ.Der Leib ruht hier, wirdt bald mit freüdVffstehn, Zur Ewign Herrlichkeit.Seht lieben Leuth So raffet GottHinweg die Menschen durch den TodtPlötzlich ohn ahnsehn der Person,Einr nach dem andern Zeücht darvon.Drumb schickt euch all vnnd seht eüch für,Der Todt klopft ahn eins Ieden thür.Es heist hie: Gestern wars ahn mir,Heut wirds die Reig auch bringen dir.Herr, knecht, Iung, Alter Weib vnnd Man,Niemand die Reisz abschlagen kan.Folgt diszer Frommen Fürstin nachSo habt ihr schon gewonnen sach.So ist Gott beÿ eüch in der not,Vnnd Reist eüch mitten aus dem Todt.Bringt eüch zu Ehrn denn Engeln gleich,Zum Langen Leben in sein Reich.Da ist euch Heÿl vnnd volle freud,Vnnd Ewig lieblichs weszn bereit.Dann wer da gleübt ahn Gottes sohn,Dringt durch den Todt ins Leben schon.d)

  7. G

    Anno Domini 1587 de(n) 26 Februarÿ Ist die Durchleuch/tige hochgeborne Fürstin vnd Fraw Frawe Magdalena / Landtgraeui(n)e) zu Hesse(n) Graeui(n)e) zu Catzenelle(n)boge(n) Dietz Ziege(n)hai(n) vnd Nidda / geborne Graeui(n)e) zur Lippe seliglich in Gott entschlaffen vnd de(n) 8. Martÿ / alhier Fürstlich zur erde(n) bestattet worde(n) Ihrer F(ürstlichen) G(naden) alters 35 Ihar.

  8. H

    1589

  9. I

    I(ESVS) · N(AZARENVS) · R(EX) · I(VDEORVM)3)

  10. J†

    Anno 1597 ist dieses fürstliche Epitaphium von mir Iohann Löschen geschrieben wordenf)

Versmaß: Deutsche Reimverse (A – F).

Kommentar

 
Wappen
Hessen; Lippe.4)

 
Wappen
Hessen; Lippe.

 
Wappen5)
Hessen, Mecklenburg, Württemberg, Pommern, Sachsen, Hohenlohe, Braunschweig-Lüneburg, Kaiser Albrecht II. (?);6) Lippe, Schaumburg, Braunschweig, Hohenstein, Mansfeld, Gleichen, Mansfeld, Beichlingen.

 
Wappen (im Hauptgeschoß)
Hessen, Sachsen, Kurpfalz, Polen (?), Pommern, Sternberg, Brandenburg (?), Ungarn; Lippe, Solms, Wertheim, Wild- und Rheingrafen,7) unbekannt,8) Waldeck, Kleve, unbekannt.9)

Nach dem Tode Magdalenas10) wollte ihr Mann Landgraf Georg I.11) für sie zunächst ein Messingepitaph gießen lassen, entschied sich dann aber für ein Steindenkmal. Nach Verhandlungen mit den Bildhauern Nikolaus Bergner, Georg Robin und Peter Osten vergab der Landgraf am 17. Juli 1587 den Auftrag an Hans Kremer, der aber schon vor dem 4. März 1588 starb. Daraufhin erhielt nun doch Peter Osten den Auftrag, der Georg I. am 21. Juli 1589 mitteilte, das Werk sei so weit fertig, daß nun die 16 Wappen und die Schrifttafeln geliefert werden könnten.12) Die 16 Wappen des Obergeschosses wurden aber erst nach 1589 angebracht und von dem Maler Elias aus Frankfurt bemalt.13) Da Osten ausdrücklich von Schrifttafeln spricht, ist die Annahme von Nick unhaltbar, auf der rechten Seite seien die Inschriften zunächst in den Alabaster eingehauen, dann wieder abgeschlagen und durch die Kupfertafeln ersetzt worden.14) Gesichert ist dagegen, daß alle Inschriftentafeln erst im Jahr 1597 durch Johannes Lösch aus Saalfeld gefertigt wurden.15) Auch der einheitliche Duktus der Buchstaben erweist die Fertigung aller Inschriften von einer Hand. Charakteristisch sind die stark, manchmal bis zur Unkenntlichkeit verzierten Versalien, das völlig geschlossene kursive s sowie das Bogen-r, das aus zwei gegenläufig übereinandergesetzten Bögen gebildet ist, die sich nicht berühren.

Auf die Anbringung der Inschriftentafeln ist auch die Anweisung Georgs I. an seine Söhne im Testament von 1593 zu beziehen, das Epitaph fertigstellen zu lassen.16) Die Entstehungsgeschichte der Texte ist noch nicht völlig geklärt. Im Februar 1590 legte der Marburger Professor Rudolf Goclenius Georg I. den Entwurf zu lateinischen Inschriften vor, die jedoch nicht angenommen wurden. Nach dem Tod Georgs am 17. Februar 1596 verfaßte der Reinheimer Pfarrer Hack im Auftrag Landgraf Ludwigs V. die Inschriften (A), (B) und (C).17) Von wem die übrigen Texte stammen, ist unbekannt. Von diesen vermutlich noch unter Georg I. verfaßten Inschriften für Magdalena beziehen sich (D) und (E) auf die Bildfelder, an deren Seiten sie angebracht sind. Inschrift (D) erklärt die Tugenden, die Magdalena das Geleit geben, und Inschrift (E) zeigt die große Bedeutung, die Christus und die Kreuzesverehrung in ihrem Leben besaßen. Inschrift (E) enthält aber auch eine Rechtfertigung der für das Epitaph gewählten Form in den Versen: Dis Creütz bedeüt kein Götze(n)die(n)st / ... Der Babst vnd sein geschorner hauff / Die richten stumme Götzen auff / ... Sie beten ahn kein steinern Bild / Sondern de(n) kern des Creutzes mild. Die Kreuzverehrung war für Lutheraner grundsätzlich kein Problem und wurde sehr häufig dargestellt.18) Gerechtfertigt werden mußte also nicht die Kreuzverehrung als solche, sondern ihre Einbindung in die Form eines monumentalen Altarretabels, das sich zudem an der Stelle des ehemaligen Hochaltars befand. Der dadurch entstandene deutliche Bezug auf Formen der katholischen Tradition wird durch die Inschrift zurückgewiesen.

Gleichzeitig dienen die Inschriften dazu, Magdalenas Leben als vorbildlich darzustellen. Dieser Gedanke wird im zweiten Teil von Inschrift (F) wieder aufgenommen und mit der Mahnung an die Vergänglichkeit des Menschen verbunden. Wer so gelebt hat wie Magdalena, braucht den Tod nicht zu fürchten und kann auf die Auferstehung hoffen. Der erste Teil der Inschrift (F) betont Georgs Sorge um die Memoria seiner Frau und verdeutlicht gleichzeitig den Sinn der Inschriften: Die figürliche Darstellung allein ist nicht in der Lage, die hohen Tugenden der Verstorbenen zu bezeugen. Tatsächlich hat Georg aber in dem Denkmal auch ein Monument der Selbstdarstellung der durch die Landesteilung seines Vaters Philipp des Großmütigen neu begründeten Linie Hessen-Darmstadt geschaffen.19) Die Gesamtkonzeption des Denkmals mit der Figur Georgs auf der linken Seite, auf der sich auch seine Wappen befinden, zeigt, daß er das Grabmal von Anfang an auch als sein eigenes Epitaph konzipiert hat. Mit der Einrichtung einer eigenen Grablege in der neuen Residenz Darmstadt untermauerte Georg, der jüngste der vier legitimen Söhne Philipps, seinen Herrschaftsanspruch und stellte sich bewußt in die Nachfolge seines Vaters, der in der Martinskirche in Kassel eine neue Grablege für die Landgrafen geschaffen hatte. Auch zwischen dem im Auftrag Wilhelms IV. geschaffenen Epitaph Philipps und dem Epitaph Magdalenas gibt es Ähnlichkeiten. Das zweigeschossige, von einem sehr großen Aufsatz bekrönte Denkmal für Philipp befand sich ursprünglich ebenfalls im Chor der Martinskirche. Links und rechts vom Hauptfeld sind wie in Darmstadt die lebensgroßen Figuren des Landgrafen und seiner Frau angebracht.20) Zwischen den ikonographischen Programmen gibt es keinen Bezug, und in Darmstadt spielen die Inschriften eine wesentlich größere Rolle. Aber mit dem monumentalen, den Chor beherrschenden Denkmal wurde in beiden Fällen herrscherliches Selbstbewußtsein und die neue Aufgabe demonstriert, die der Landesherr gegenüber der Kirche einnahm. Der Ersatz des Hochaltars durch das Grabmal des Landesherrn zeigte in aller Deutlichkeit, wer jetzt für die Kirche verantwortlich war. Es wurde damit gleichsam ein Patrozinienwechsel symbolisiert: nicht mehr die Heiligen, deren Reliquien in den Altar eingeschlossen waren, schützten die Kirche, sondern der Landesherr. Dies wurde in Darmstadt noch besonders dadurch betont, daß man das Denkmal in der Form eines Altars gestaltete.

Die Schutzfunktion des Fürsten für die Kirche wird auch in den Inschriften der linken Seite des Epitaphs thematisiert, die im Auftrag Ludwigs V. entstanden. In Inschrift (B) heißt es von Georg ausdrücklich, er sei ein Kirchenvatter gewesen und habe Gottes Wort in seinen Kirchen rein erhalten sowie das unverfälschte Sakrament geschützt. Auch herrscherliches Selbstbewußtsein und Selbstdarstellung werden in den Inschriften deutlich zum Ausdruck gebracht. Inschrift (A) führt das Geschlecht Georgs auf Karl den Großen zurück und nennt als weitere Exponenten die Heilige Elisabeth und Philipp den Großmütigen, um damit die Bedeutung der Familie zu unterstreichen. Inschrift (B) rühmt die Tugenden und die Regierung Georgs. Das Lob wird in Inschrift (C) fortgesetzt, in der auch die beiden Ehen Georgs mit Magdalena und mit seiner zweiten Frau Eleonora von Württemberg erwähnt werden. Eleonora sollte nach den Anweisungen Georgs eine eigene Tafel in dem Epitaph erhalten, was jedoch nicht realisiert wurde. Sie erhielt dafür ein eigenes Epitaph in der Stadtkirche, in dem auch Georg noch einmal verewigt wurde.21) Die große Bedeutung der Inschriften für die Gesamtkonzeption des Denkmals dürfte für Georg ein wichtiger Grund gewesen sein, seine Söhne zur Fertigstellung des Epitaphs zu verpflichten.

Textkritischer Apparat

  1. o mit klein übergeschriebenem e.
  2. Freier Diehl; Fein Haupt.
  3. Sic!
  4. Die fehlerhafte Goldbemalung zeigt statt des im Metall vorhandenen c ein e.
  5. a mit klein übergeschriebenem e.
  6. Text nach Buchner XIII 7; vgl. dazu Anm. 1.

Anmerkungen

  1. Buchner XIII 7: „In dem Zug des Anfangsbuchstaben Z vorstehender Reimen stehet geschrieben“, dann folgt Inschrift (J); vgl. auch Nick, Georg der Fromme 67.
  2. Christine war die älteste Tochter von Georg und Magdalena. Sie starb am 26. März 1596. Ihr Mann war Graf Friedrich Magnus von Erbach, vgl. Europ. Stammtafeln NF I, Taf. 104.
  3. Nach Joh 19,19.
  4. Die Wappen werden von der Bekrönung zum Sockel fortschreitend wiedergegeben.
  5. Von den Ahnenproben ist lediglich die obere (väterliche) Hälfte der heraldisch linken Seite (Lippe) vollständig und korrekt. Die übrigen Wappenfolgen weisen zahlreiche, zum Teil nicht erklärbare Ungenauigkeiten auf. Zu den Wappen vgl. auch Praetorius, Ahnenwappen 192 f., doch ist bezüglich seiner Angabe der Farben zu beachten, daß die Wappen in jüngerer Zeit erneut bemalt worden sind, wobei die Farben wiederum geändert wurden.
  6. So Praetorius, Ahnenwappen 192 f.; das Wappen zeigt zwar den doppelköpfigen Reichsadler, doch ist der Brustschild nicht der des Hauses Österreich; er zeigt eine spatenähnliche Schildfigur.
  7. Im Herzschild 3 schreitende Löwen übereinander, statt 3 (2:1) Löwen.
  8. In Blau drei goldene Rosen auf einem goldenen Stiel. Das Wappen wurde in abweichenden Tinkturen von den Familien von Hohenstein (Hessen), von Annenberg (Tirol) und von Brederlo (Sachsen) geführt, von denen aber keine im Stemma der Magdalena zur Lippe vorkommt.
  9. Ein weißer Balken in Rot. Das Wappen (Österreich?) paßt nicht in die mütterliche (waldecksche) Hälfte der Ahnenprobe Magdalenas zur Lippe.
  10. Zu ihr vgl. Nr. 258.
  11. Zu ihm vgl. Nr. 283.
  12. Vgl. Nick, Georg der Fromme 63 – 66; Schrohe, Neue Aufsätze 66 f.
  13. Nick, Georg der Fromme 66 f.; Diehl, Alt-Darmstadt 16; da in den Quellen stets nur von 16 Wappen die Rede ist, geht Praetorius 193 wohl zu Recht davon aus, daß die übrigen Wappen des Hauptfeldes erst später angebracht wurden, vgl. auch Haupt 141.
  14. Nick, Georg der Fromme 67; ihm folgt Diehl, Alt-Darmstadt 21.
  15. Diehl, Alt-Darmstadt 16.
  16. Diehl, Alt-Darmstadt 21 bezieht diese Anweisung nur auf die Tafeln der linken Seite.
  17. Diehl, Alt-Darmstadt 17 – 20.
  18. Christensen, Impact 300; vgl. z. B. DI 29 (Worms) Nr. 534, Abb. 132; DI 34 (Lkr. Bad Kreuznach) Nr. 340, Abb. 155, Nr. 367, Abb. 157, Nr. 410, Abb. 160; DI 38 (Lkr. Bergstraße) Nr. 186, Abb. 82; DI 41 (Lkr. Göppingen) Nrr. 331, 411.
  19. Press, Hessen 267 – 274.
  20. Drach/Könnecke, Bildnisse Taf. XXIVf.; Wustrack, Mechelner-Alabaster-Relief 13 – 17.
  21. Diehl, Alt-Darmstadt 21; zum Epitaph Eleonoras vgl. Nr. 296.

Nachweise

  1. Buchner, Sammlung XIII 4 – 11.
  2. Bruhns, Würzburger Bildhauer, Abb. 34.
  3. Diehl, Stadtkirche 38 – 42.
  4. Haupt, Kdm. 141 – 143 mit Abb. 217, 219 – 221.

Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 263(†) (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0026307.