Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)

Nr. 75 Jugenheim, Klosterruine Heiligenberg 1480

Beschreibung

Stiftungsinschrift der Elisabeth Pfot für ein ewiges Licht und zwei Jahrgedächtnisse. Die hochrechteckige Tafel aus rotem Sandstein wurde in Jugenheim als Türschwelle des Gasthofes „Zur Krone“ aufgefunden und ist heute innen in die Nordwand des Langhauses der ehemaligen Klosterkirche eingemauert. Sie trägt eine 14zeilige Inschrift. Als Worttrenner dienen Quadrangeln mit paragraphzeichenförmig ausgezogenen Zierstrichen.

Maße: H. 117, B. 66, Bu. 6 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Dr. Anneliese Seeliger-Zeiss, Heidelberg [1/1]

  1. Anno · d(omi)ni · M · cccc · lxxx · / erectu(m) · fundatu(m)q(ue) · est · / p(raese)ns · lumen · p(er) · deuota(m) · / elisabet · pfottin · i(n) · hono=/re · su(m)me · et · indiuidue · / trinitatis · necno(n) · i(n) · salu=/tem · om(n)i(um) · ch[r(ist)i]a) · fidelium · / Atq(ue) · duo · a(n)niuersaria / p(er) · eande(m) · su(n)t · hic · fu(n)data · / annuati(m)b) · p(er)age(n)da · q(uo)dlibe(t)c) / cu(m) · q(ua)tuor · p(re)sb(yte)ris · primu(m) · / in · vi(gilia) · s(an)c(t)i · Iacobi · apostoli / secu(n)du(m) · i(n) · die · exaltacio(n)is / s(an)c(t)e · crucis · i(n) euu(m)d) · du(r)atu(r)a ·

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1480 ist die gegenwärtige Lampe durch die demütige Elisabeth Pfot zu Ehren der höchsten und unteilbaren Dreieinigkeit und zum Heil aller, die an Christus glauben, errichtet und gestiftet worden. Und zwei Jahresgedächtnisse sind durch dieselbe hier gestiftet worden, die jährlich beide ohne Unterschied mit vier Priestern zu halten sind: das erste am Tag vor dem Fest des heiligen Apostels Jakobus (24. Juli), das zweite am Tag der Erhöhung des heiligen Kreuzes (14. September), und sie werden in Ewigkeit fortdauern.

Kommentar

In Anno wird ein vollrundes pseudounziales A mit schräggestelltem Mittelbalken verwendet, das der gotischen Majuskel entstammt. In Atque ist das A trapezförmig mit einem auf beiden Seiten überstehenden Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken und zeigt somit die Form eines A der frühhumanistischen Kapitalis. Seine Hasten weisen aber in der Mitte dreieckig aufgesetzte Schwellungen auf. Das M für Millesimo ist als geschlossenes, gerundetes unziales M der gotischen Majuskel mit etwas schwächerer Kerbe als die übrigen Buchstaben ausgeführt. Sowohl die Buchstabenformen der Versalien als auch der Minuskeln zeigen deutliche Übereinstimmungen mit jenen der Grabplatte der Elisabeth Pfot.1) Besonders auffällig sind sie bei dem vollrunden pseudounzialen A, dem M, den Hastenspaltungen bei b, h, l und p sowie den stark ausgeprägten Quadrangeln. Auch das t ohne Balken in annuatim findet auf der Grabplatte der Elisabeth Pfot seine Entsprechung. Vergleichbare Buchstabenformen kommen auch noch auf der Grabplatte des Sohnes der Elisabeth, Johannes von Oberkeim, und auf der Platte seiner Frau Margareta vor.2) Das in der Stiftungsinschrift verwendete Kürzungszeichen für que, drei kurze, leicht gebogene Schrägstriche, erscheint ebenso in der Inschrift für Johannes.

Die Stiftung der Elisabeth Pfot ist auch urkundlich für das Jahr 1480 gesichert. Die Originalurkunde ist allerdings verloren, und ihr Inhalt wird nur durch ein im 16. Jahrhundert angefertigtes Regest überliefert. Aus ihm geht jedoch eindeutig hervor, daß die Stiftung an das Kloster auf dem Heiligenberg ging.3) Die Lampe sollte an dem Grab der Elisabeth brennen. Die Stiftungsinschrift entstand aber offensichtlich nicht zusammen mit der Urkunde, sondern erst nach dem Tode der Elisabeth zusammen mit ihrer Grabplatte. Diese Vermutung legen der paläographische Befund und der auffällige Umstand nahe, daß das Datum für das zweite Jahresgedächtnis und der Todestag der Elisabeth auf das Fest der Kreuzerhöhung fallen. Dabei dürfte es sich kaum um einen Zufall handeln, sondern Elisabeth hatte das zweite Anniversar offenbar für ihren Todestag gestiftet. Bei der nach ihrem Tod erfolgten inschriftlichen Ausführung der Stiftungsurkunde wurde dann das entsprechende Datum eingesetzt.

Die inschriftliche Fixierung der Stiftung sollte verhindern, daß die durch sie eingesetzten Anniversarfeiern unterblieben. Das Erlöschen der Stiftungen war ein im Mittelalter weitverbreitetes Problem.4) Die Inschrift sollte deshalb permanent an die Stiftung und die damit verknüpften Verpflichtungen erinnern, was vor allem in der Schlußformel in euum duratura zum Ausdruck kommt. Wurden die Anniversarfeiern nicht ausgeführt und somit nicht für die Seelen der Verstorbenen gebetet, befürchtete man, daß die Seele deutlich länger im Fegefeuer verweilen mußte. Denn für eine möglichst schnelle Erlösung der Seele aus dem Fegefeuer war die ständige Gebetshilfe der Lebenden für die Toten eine unabdingbare Voraussetzung.5)

Textkritischer Apparat

  1. Buchstabenbestand x[pi].
  2. Das t ist ohne Balken ausgeführt worden.
  3. lic Wolf.
  4. So für aevum.

Anmerkungen

  1. Vgl. die vorangehende Nr.
  2. Vgl. die beiden folgenden Nrr.
  3. Dahl, Urkundenbuch 120, Nr. 61: „Frau Else Pfotin von Kirchbrumbach ... kauft für das Kloster auf dem Heiligenberg von dem Kloster Lorsch 4 Malter Korn ...“; vgl. auch Scheins 8 f., laut dem das Regest als Ausstellungsdatum der Stiftungsurkunde „vf Thomae abent, anno 1480“ (21. Dezember) angibt. Da Elisabeth aber bereits am 14. September 1480 starb, kann das in dem Urkundenregest überlieferte Datum so nicht stimmen.
  4. Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts 124 ff., bes. 128 f.
  5. Zu diesem Problem vgl. DI 38 (Lkr. Bergstraße) XXIV – XXIX, bes. XXVIII.

Nachweise

  1. Wolf, Kirche 139 f.
  2. Wagner, Stifte I 169.
  3. Scheins, Bauwerke 7 f.
  4. Zeller, Ausgrabungen 60 f. mit Abb. 4.
  5. Dammann, Kdm. 155 mit Abb. 142.
  6. Kunz, Jugenheim 45 mit Abb. 15.

Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 75 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0007509.