Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)

Nr. 65 Babenhausen, Evangelische Kirche 1475

Beschreibung

Epitaph der Gräfin Anna von Hanau, geborene von Lichtenberg mit der Darstellung einer „Ewigen Anbetung“. Das Epitaph aus rotem Sandstein ist innen in der Südwand des Chors rechts neben dem Epitaph ihres Mannes Philipp I. von Hanau-Lichtenberg eingemauert. Der offenbar noch in situ befindliche Stein gleicht einer Grabplatte. Oben links in der Ecke ist der Wappenschild angebracht, oben rechts befindet sich der zugehörige Helm mit der Helmzier. Die Grabinschrift (A) läuft auf dem Rand zwischen Zeilen um. Als Worttrenner dienen Quadrangeln mit paragraphzeichenförmig ausgezogenen Zierstrichen. Im Feld kniet in einem Betstuhl nach links gewendet Anna, deren Oberkörper jedoch leicht nach rechts gedreht ist. Ihr Blick ist dadurch auf das ehemalige Sakramentshäuschen und auf den Altar gerichtet. Sie ist in zeitübliche Tracht gekleidet und trägt eine Kinnbinde. Mit der linken Hand hält sie ein Gebetbuch vor sich und weist mit der Rechten auf die in die Seiten eingehauene Inschrift (B) hin. Die Inschrift ist auf Anna ausgerichtet und steht für den Betrachter auf dem Kopf.

Maße: H. 215, B. 111, Bu. 6,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/1]

  1. A

    In · dem · Iar · nach · der · geport / cristi · vnsers · hern · da man · zalt · mo · cccco · lxxiiii · starp · ich · anna · von · / lechtemberg · geborn · graffin · zv · / hanawe · got · myn · scheppera) · bis · gnedig · mir ·

  2. B

    ave m/aria / gr(ati)a1)

Wappen:
Lichtenberg.

Kommentar

Die Inschrift ist in einer voll entwickelten Minuskel ausgeführt, die mit jener auf dem Epitaph Philipps im wesentlichen übereinstimmt. Bei Iar ist in beiden Inschriften ein auf Minuskelgröße reduziertes Majuskel-I verwendet worden. Die Datierungsformel in deutscher Sprache ist ebenso ungewöhnlich wie die Verwendung der ersten Person starp ich statt der sonst üblichen dritten Person. Beide Besonderheiten sind auch auf dem Epitaph Philipps vorhanden.2) Eine weitere Parallele zwischen den beiden Denkmälern besteht darin, daß Anna ebenso wie ihr Mann recht einfach gekleidet ist. Wie schlicht ihre Gewandung ist, wird deutlich, wenn man das Epitaph der 1477 verstorbenen Adriane von Nassau, der Frau Philipps d. J. von Hanau-Münzenberg,3) aus der Marienkirche in Hanau zum Vergleich heranzieht. Adriane ist ebenfalls im Typus der „Ewigen Anbetung“ kniend mit der aufgeschlagenen Bibel in den Händen dargestellt, doch ist die Kostbarkeit ihrer modischen Kleider bewußt betont worden.4) Die Figuren der Epitaphien Annas und Adrianes zeigen also denselben Typ, doch ist das Denkmal Adrianes in künstlerisch aufwendigerer Form ohne die in Babenhausen so auffällige bescheidene Zurückhaltung gestaltet worden. Daß man in Hanau für die Verewigung der verstorbenen Gräfin auf dieselbe Grundidee zurückgriff, die zwei Jahre zuvor in Babenhausen realisiert worden war, könnte ähnlich wie die Verwendung der Grabplatten mit Metallauflagen5) in beiden Grablegen ein Hinweis auf ein Konkurrenzdenken sein, das auch in der künstlerischen Gestaltung der Grabdenkmäler seinen Ausdruck fand.

Das Epitaph Annas wurde ein Jahr nach ihrem Tod6) zusammen mit dem ihres Mannes Philipp und den Epitaphien ihrer beiden Kinder Johannes und Diether am 5. März 1475 aufgestellt.7)

Textkritischer Apparat

  1. So für Schöpfer.

Anmerkungen

  1. Beginn des Ave Maria, vgl. Lk 1,28.
  2. Vgl. die vorangehende Nr.
  3. Europ. Stammtafeln NF 16, Taf. 160.
  4. Vgl. die Abbildung bei Lübbecke, Hanau 91, Abb. 50; zu dem Denkmal für Adriane vgl. auch Schaum-Benedum 110 f., 180 mit Abb. 23 und Arens, Gotische Grabmäler 336 f.
  5. Vgl. dazu bei Nr. 59.
  6. Vgl. die Angaben zu ihrer Grabplatte bei Nr. 61.
  7. Vgl. die vorangehende Nr.; vgl. dort auch zu den Hintergründen für die Aufstellung und zu der Funktion der Epitaphien.

Nachweise

  1. Blum, Stadtkirche 359.
  2. Steiner, Bachgau III 135.
  3. Lehmann, Hanau-Lichtenberg II 419, Anm. 13.
  4. Müller, Stadtkirche I 15.
  5. Herchenröder, Kdm. 26.
  6. Herchenröder/Rock, Führer 51 mit Abb. 21.
  7. Schaum-Benedum, Figürliche Grabsteine 146 mit Abb. 22.

Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 65 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0006501.