Inschriftenkatalog: Die textilen Inschriften der Stadt Bamberg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 6: Stadt Bamberg (Textilien) (2015)

Nr. 3 Bamberg, Diözesanmuseum Ende 12. Jh.

Beschreibung

Gestickter Titulus auf einem goldgestickten Circulus (tassellus, fibula, munile, paratura) eines Pontifikalhandschuhs mit Agnus Dei in der Dauerausstellung des Diözesanmuseums Bamberg (Inv. Nr. 2728/3-27), gefunden und entnommen bei der Öffnung des Grabes von Papst Clemens II. am 3. Juni 19421).

Ursprünglich war das Medaillon auf der Oberseite des linken Handschuhs appliziert. Das im Zentrum stehende, nimbierte Lamm mit Auferstehungsfahne ist von der Inschrift kreisförmig gerahmt.

Maße: Dm. 4,8 cm, Bu. 0,4 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/2]

  1. + AGNVS DEI

Übersetzung:

Lamm Gottes.

Kommentar

Der Stickereiträger aus Seidenstoff, dessen Ränder beschnitten und unversäubert sind, ist vollständig mit flächenfüllender Goldstickerei in Anlegetechnik bedeckt.

Die Romanische Majuskel nutzt hier fast ausschließlich kapitale Buchstaben. Das A ist flachgedeckt mit einer leichten Schwellung am linken Schaft. Der folgende Buchstabe ist ein eingerolltes, fast geschlossenes G mit sehr langem, die äußere Kreislinie berührendem Sporn. Das sehr breite N weist einen Nodus in der Mitte des Schrägbalkens auf. Das S hat einen kleineren, nach links ausgreifenden unteren Bogen. Alle Buchstaben, bis auf das V, haben (kleine) Sporen.

Die wohl in Nadelarbeit ausgeführten Leinen- oder Seidenhandschuhe sind vergangen, ebenso der zweite Circulus, der – wie Vergleichsbeispiele2) nahe legen – die Dextera Dei zeigte. Erhalten blieben nur noch die beiden angesetzten Stulpen (pugnalia, manicalia) aus brettchengewebten Goldborten mit Seidenfutter3).

Spätestens seit dem 10. Jahrhundert gehören Pontifikalhandschuhe, über denen rechts der Bischofsring getragen wird, zu den verbürgten Bischofsinsignien4). Nach einer Anweisung von Papst Innozenz III. (1198-1216) sollten die Handschuhrücken innerhalb des Pontifikalornats mit vergoldeten Plättchen geschmückt sein5). Bildliche Quellen zum Aussehen der Pontifikalhandschuhe liegen erst aus dem 12. Jahrhundert z.B. durch das Armreliquiar aus dem Kirchenschatz Essen vor6). Die nah verwandten, erhaltenen Vergleichsbeispiele datieren allesamt aus dem 12. und beginnenden 13. Jahrhundert7). Ein vergleichbares Medaillon mit Agnus Dei-Darstellung umgeben von einer Bildbeischrift in Romanischer Majuskel, dessen G trotz technischer Unterschiede große Parallelen aufweist, auf dem rückseitigen Bucheinband eines Epistolars wird als schwäbische Stickerei aus der 1. Hälfte 12. Jh. angesehen8).

All diese Beobachtungen sprechen dagegen, dass der Bamberger Circulus aus der Zeit Papst Clemens II. stammt, in dessen Grab er zusammen mit einem umfangreichen Ornat gefunden wurde. Papst Clemens II. starb am 9. Oktober 1047 im Kloster S. Tommaso in Foglia (Com. Montelabbate, Prov. Pesaro et Urbino/Italien), wurde wohl zunächst für kurze Zeit vor Ort bestattet, um dann vermutlich vor 1052 im Bamberger Dom seine Ruhestätte zu finden9). Für die Transferierung nach Bamberg ist eine mumifizierende Behandlung des Leichnams Voraussetzung, die durch einen nachgewiesen, hohen Anteil Benzoe in den Textilien tatsächlich naheliegt10). Insgesamt ist der Erhaltungszustand der aus dem Papstgrab entnommenen Paramente, die nur in geringem Umfang verwesungsbedingte Schäden zeigen, im Vergleich mit anderen textilen Grabfunden außergewöhnlich gut, so dass Zweifel an der ursprünglichen Funktion als Grabkleidung und damit an der Datierung des Papstornats in die Mitte des 11. Jahrhunderts berechtigt sind11). Vielmehr ist anzunehmen, dass vor allem die hervorragend erhaltenen Ornatteile, wie z.B. die Dalamtik und die Pontifikalstrümpfe, erst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bei der Umbettung der sterblichen Überreste Papst Clemens II. in den neuen Sarkophag als Grabbeigaben über den Leichnam gebreitet worden sind12). Dies gilt wohl auch, wie die vorausgehenden Beobachtungen des erhaltenen Circulus verdeutlichen, für die vergangenen Pontifikalhandschuhe. Inwieweit bei dieser Umbettung zeitgenössische oder bereits ältere Textilien Verwendung fanden, muss derzeit offen bleiben.

Aus dem Grab wurde auch ein Schleier, der das Gesicht des Verstorbenen bedeckte, geborgen (DMB, Inv. Nr. 2728/3-8)13). Es handelt sich um ein hellbraunes, sehr feines, gazeartiges Seidengewebe mit zwei unterschiedlich breiten Streifen in Köperbindung als einziger Verzierung, auf denen sich fortlaufend, horizontal gespiegelt eine klar lesbare, unpunktierte arabische Schrift بركة لله in hellen kufischen Zeichen14) auf blauschwarzem Grund wiederholt. Auf der Rückseite erscheint die Inschrift invers. Bislang wurde die Inschrift als „baraka lillâh“ mit der Übersetzung „Segen für Allah“ interpretiert15). Wohl steht dort „barakat [A]llāh“ bei ausgelassenem alif, was mit „Segen Gottes“ zu übersetzen wäre16). Das liegt daran, dass es zwei Theorien gibt, den Schriftzug zu interpretieren. Das erste Wort lautet بركة baraka(tun) „Segen“, das zweite الله allāh(u) „Gott“. Die eine Variante ist, dass der erste Buchstabe von allāh nicht geschrieben wurde, also zu ergänzen ist: بركة [ا]لله barakatu llāh(i) (= der Segen Gottes). Bei der anderen Möglichkeit ist das zweite Wort لله als li-llāh(i) „[ist] bei Gott“, also بركة لله baraka(tun) li-llāh(i) (= Segen liegt bei Gott). Für eine Herkunft aus dem Orient spricht, dass einmalig im Rapport ein Schreibfehler bei „llāh“ eingearbeitet wurde, denn nichts sei vollkommen außer Gott17).

Anmerkungen

  1. AEB Rep. 2, Nr. 2312/25 Niederschrift über die Öffnung von Kaisergrab und Papstgrab 1942 und 1947.
  2. Vgl. DI 70 (Trier I) Nr. 150: ein Circulus mit einer Dextera Dei-Darstellung. Der zweite mit dem Agnus Dei ist allerdings nicht auffindbar; Päffgen, Speyerer Bischofsgräber 470: Fragment eines goldgestickten Circulus mit Agnus Dei, der ebenfalls nicht auffindbar ist; Päffgen, Speyerer Bischofsgräber 484-485: zwei Handschuhrückenmedaillons mit Darstellung der Hand sowie des Lamm Gottes (Diözesanmuseum Speyer, Inv. Nr. D 16-17). Weitere Vergleichsbeispiele s. Braun, Gewandung 377.
  3. Kdm NF OF IV, II, 1 (Teil 2) 1854.
  4. Päffgen, Speyerer Bischofsgräber 298-304.
  5. Innocentii III de sacro altaris mysterio: chirotheca circulum aureum desuper habet; Braun, Gewandung 374.
  6. DI 81 (Essen) Nr. 27.
  7. Vgl. DI 70 (Trier I) Nr. 150 sowie Päffgen, Speyerer Bischofsgräber 470, 484-485.
  8. Vgl. Staufer I 802: Württembergische Landesbibliothek, Cod. Brev. 121 (Epistolar aus der Benediktiner Abtei Zwiefalten).
  9. Zimmermann, Bischof Suidger 25, nimmt die Bestattung der Eingeweide und ihren Verbleib am Sterbeort an.
  10. AEB Rep. 2, Nr. 2711/17 p. 28 und 37.
  11. Es ist nahezu unwahrscheinlich, dass die 1947 geborgenen Paramente einen mumifizierten Körper bekleideten, von dem sie nicht ohne erhebliche Beschädigung hätten abgenommen werden können. Auch vermitteln die beiden direkt nach der Öffnung des Grabes aufgenommenen Fotos vielmehr den Eindruck von flächig aufliegenden Gewebeschichten, denn von einem damit bekleideten Körper. Vgl. AEB Rep. 2, Nr. 2312/25. Eine der Aufnahmen bei Baumgärtel, Papstgrab 39. An dieser Stelle ist Frau Sibylle Ruß (Bamberg) für die kollegiale Zusammenarbeit zu danken.
  12. Bereits Heinrich Mayer hielt dies in seinem Bericht über die entnommenen Textilien für denkbar: vgl. AEB Rep. 2, Nr. 2312/26. Vgl. zu den anderen Textilien aus dem Grab Papst Clemens II. sowie Kdm NF OF IV, II, 1 (Teil 2) 1850-1855.
  13. Seidengewebe in Leinwandbindung, 149 cm × 100 cm, Bagdad oder Ägypten (?), 11. Jahrhundert (?).
  14. Für den kollegialen Austausch und die umfangreiche Unterstützung ist an dieser Stelle Frau Kathrin Müller (Kommission für Semitische Philologie, München) zu danken.
  15. So mehrfach publiziert, z.B. Müller-Christensen, Grab des Papstes Clemens II. 54; zuletzt Gresser, Clemens II. 142.
  16. Für den freundlichen Hinweis ist an dieser Stelle Herrn Markus Ritter (Universität Wien) und Frau Reingard Neumann (Greven) zu danken.
  17. Für den freundlichen Hinweis ist an dieser Stelle Frau Isabelle Dolezalek (Freie Universität Berlin) zu danken.

Nachweise

  1. Kdm NF OF IV, II, 1 (Teil 2) 1854.

Zitierhinweis:
DIO 6, Stadt Bamberg (Textilien), Nr. 3 (Tanja Kohwagner-Nikolai), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio006m002k0000308.