Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 664 Stadthagen, Am Markt 23 17. Jh.

Beschreibung

Haus. Fachwerk. Das dreigeschossige Eckhaus („Schwarzer Adler“) ist giebelständig zum Markt und acht bis zehn Gefache breit. Das Fachwerk des seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verputzten Hauses wurde 1964 wieder freigelegt, wobei auch der Aufbau der Fassade verändert wurde.1) Als Fachwerkzier Zahnschnitt an den Rähmhölzern, Schnitzereien an den Knaggen sowie Rankenornamente an den dreieckigen Ständerstützen. Inschrift A ist am Schwellbalken des vorkragenden zweiten Obergeschosses angebracht. Sie ist erhaben in vertiefter Zeile ausgeführt. Inschrift B befindet sich links der Tür auf dem Brustriegel unterhalb der Fenster des ersten Obergeschosses. Die Inschrift verläuft erhaben in zwei vertieften Zeilen. Beide Inschriften sind in Gold auf rotem Grund gefasst.2) Auf dem Torsturz der Hofeinfahrt an der Obernstraße eine Jahreszahl aus neuerer Zeit.3)

Maße: Bu.: ca. 10 cm (A), ca. 8–10 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/2]

  1. A

    DOMINE CONSERVA NOS IN PACE ET IN VERBO TUO

  2. B

    TE MIHI SI TENEO SOLUM TER MAXIME JEHOWIa) / NON MIHI CURA POLI NEC MIHI CURA SOLI

Übersetzung:

Herr, erhalte uns im Frieden und in Deinem Wort. (A)

Wenn ich allein an Dir, dreieiniger höchster Jehova, festhalte, sorge ich mich nicht um Himmel und Erde. (B)

Versmaß: Elegisches Distichon, der Pentameter zweisilbig leoninisch gereimt (B).

Kommentar

Uneinheitlich gestaltete Kapitalis mit dreieckigen Sporen. U als rundes U mit rechtem Schaft, dessen unteres Ende gebogen ist. Teilweise konisches, teilweise gerades M. In Inschrift B in der ersten Zeile teilweise epsilonförmiges E. Einige Schäfte sind durchgebogen, insbesondere der jeweils linke Schaft von M und N, der teilweise unten hakenförmig ausläuft. In Inschrift A sind die unteren Schaftenden teilweise gegabelt. Die Schrägschäfte des N reichen zum Teil unter die Grundlinie. Bei P und R steht teilweise der Bogen nach links über den Schaft über. Dies gilt ebenso für manche der Deckbalken des kapitalen E.

Inschrift A ist weit spationiert. In Inschrift B weist die zweite Zeile eine größere Buchstabenhöhe auf als die erste.

Das Haus wurde erbaut, nachdem der Vorgängerbau während des Dreißigjährigen Kriegs zerstört worden war.4) Das genaue Erbauungsjahr ließ sich nicht ermitteln. Steinicke plädiert aufgrund der Fachwerkzier für eine Entstehung bereits in den 1620er-Jahren.5)

Inschrift A ist eine Kontamination aus dem vor allem auf Münzen verbreiteten Spruch Domine, conserva nos in pace 6) und einer lateinischen Version der ersten Zeile des Kirchenliedes Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort von Martin Luther.7) Von diesem Kirchenlied, das in seiner Originalfassung eine deutlich antikatholische und türkenfeindliche Stoßrichtung hatte, gab es auch lateinische Übertragungen. Die Fassung des Georg Fabricius von 1553 lautet: Deus, pater mitissime, / nos in tuo verbo tene.8) Die Bitte um Erhalt des Friedens ist insbesondere während des Dreißigjährigen Kriegs auf Münzen geprägt worden. Es ist gut vorstellbar, dass sie an einem kurz nach Ende des Kriegs entstandenen Gebäude als Hausinschrift auftritt.9)

Damit Vers 1 von Inschrift B metrisch korrekt ist, ist in JEHOWI eine Synizese von EHO anzunehmen.10) Die Vokativform JEHOWI, die allerdings auch Ergebnis einer Fehlrestaurierung sein könnte,11) findet in der lateinischen Ausgabe des Alten Testaments von Immanuel Tremellius und Franciscus Iunius Verwendung, die eine direkte Übersetzung aus dem Hebräischen bieten.12)

Inhaltlich beruht das Distichon auf Psalm 73,25 in der Übersetzung Luthers: Wenn ich nur dich habe / so frage ich nichts nach Himel vnd Erden (die Vulgata und die soeben zitierte Übersetzung von Tremellius und Iunius bieten einen anderen Text).

Textkritischer Apparat

  1. JEHOWI] JEHOWA Steinicke. Lesung unsicher; das I berührt den rechten Schrägschaft des W; vermutlich fehlrestauriert statt JEHOVA.

Anmerkungen

  1. Steinicke, Hausinschriften, S. 38.
  2. Vor der Freilegung von 1964 war nur die obere Zeile von Inschrift B sichtbar (Steinicke, Hausinschriften, S. 39).
  3. 1793.
  4. Weiland, Die Häuser und deren Eigentümer, Teil 1, S. 44: „1650 ist vermerkt: ‚Diese 3 Häuser sind bei der Einquartierung – während des 30 j. Krieges – niedergerissen.‘“
  5. Steinicke, Hausinschriften, S. 38. Auf einer Informationstafel, die zum Zeitpunkt der Aufnahme im Sommer 2009 an dem Haus angebracht war, wird es auf 1650 datiert.
  6. Art. Friedensmünzen, in: Friedrich von Schrötter u. a. (Hg.), Wörterbuch der Münzkunde, Berlin 21970 (zuerst 1930), S. 206.
  7. Luther, WA 35 (1923), S. 235–248 = Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge, ed. Jenny, Nr. 38; vgl. Steinicke, Hausinschriften, S. 39.
  8. Wackernagel, Kirchenlied, Bd. 1, Nr. 523, S. 301.
  9. Als Inschrift ist Domine conserva nos in pace 1667 auf einem Torbogen auf dem Grapendorfschen Rittergut in Sehlde nachgewiesen (Kdm. Kreis Alfeld II, S. 209). Weitere Belege aus der Zeit vor 1650 ließen sich nicht eruieren, abgesehen von einer ähnlichen Inschrift aus Minden von der Grabplatte eines Pastors aus dem Jahr 1567: CONSERVA DOMINE ECCLESIAM IN PACE (DI 46 (Stadt Minden), Nr. 90).
  10. Steinickes Überlegungen (Hausinschriften, S. 40), der von einer Synaloephe des auslautenden E in MAXIME mit dem J ausgeht, lassen immer noch eine Silbe zu viel übrig.
  11. Vgl. Anm. a.
  12. Z. B. Gen 15,2 oder Ier 4,10 in der Biblia sacra, sive Testamentum vetus, Ab Im. Tremellio et Fr. Iunio ex Hebraeo Latinè redditum, et Testamentum novum, à Theod. Beza è Graeco in Latinum versum, Amsterdam 1628 (Erstausgabe 1575ff.). In der Vulgata des Hieronymus steht an diesen Stellen Domine Deus.

Nachweise

  1. Steinicke, Hausinschriften, Nr. 15, S. 39 u. Bildtafel 15.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 664 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0066403.