Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)
Nr. 635 Hattendorf, St. Eligius 1649
Beschreibung
Glocke. Bronze. Inschrift A läuft in sieben Zeilen unterhalb der Schulter um die Glocke um und wird durch einen Ornamentfries nach unten hin abgeschlossen. Der Zeilenanfang wird jeweils durch eine Rosette markiert; auch sonst finden sich vereinzelt Rosetten als Worttrenner. Den Zeilenwechsel zeigt jeweils ein linksschräger Strich an, der das Ende der vorangehenden mit dem Beginn der neuen Zeile verbindet. Unterhalb des Ornamentfrieses eine weitere, kurze Zeile mit der Angabe der Jahreszahl B. An der Schärfe die Inschrift C. Alle Inschriften sind erhaben gegossen. An der Unterplatte und an der Schärfe eine Reihe von Blattabdrücken.
Maße: H.: 88 cm; Dm.: 116 cm; Bu.: 2,6 cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
· LOBET DEN HERRN MIT HELLEN CIMBELN LOBET IHN MIT WOLKLINGENDEN CIMBELN PSALM 1501)· ANNO 1642 DIE GALLI2) / · IN TRANSCENSU HASSIAE GALLIAEQUE COPIARUM CUM FORTE HIC PAGUS INCENDERETUR ET UNA CUM TURRI DEFLAGRAREM / · AC COLLIQUESCEREM CUM ALIA CAMPANA ANNO 1638 FUSA EX MATERIA RVDERIBUS ERV.TA HANNOVERAE PER LUDOLPHVM / · SIEGFRIEDVM CAMPANARVM FVSOREM SVM REFVSA ATQUE NVNC PENDENS SACRA PRECES POMPAS INCENDIA FUNERA / · TURBAS INDICO CVM POPULOS AERE SONANTE VOCO PROCVRANTE · M(AGISTRO) OTHRABIO VORDEMANNOa) AETATIS 75 VT ET PA/·TRIAE PASTOR VLTRA 49 ANNOSIM NAHMEN AVF BEGEHREN UNDT KOSTEN DIESER GEMEINE AVCH ALLEN NACHKOM/·MEN ZVM BESTEN ALTERLEUTE HARMEN HOMEIER HARMEN BREIDEMEIER HINRICH BREIDEMEIER HARMEN LUCKE ·
- B
ANNO 1649
- C
ICH HEIS EIN GLOCKE UND / · HENGE IM TORNE UND RUFFE MIT MEINER STIMME IN EWRE OHREN WEN IHR HORET MEINEN KLANG SO SCHICKET EVCH ZVM KIRCHGANG VND HORT MIT FLEIS GOTTES WORT DAS IHR SEHLIG WERDET HIR VND DORT
Übersetzung:
Als im Jahr 1642 am Tag des Gallus diese Gegend durch den Durchzug hessischer und französischer Truppen in Brand gesetzt wurde und ich zusammen mit dem Turm niederbrannte und mit einer anderen im Jahr 1638 gegossenen Glocke verschmolz, wurde ich aus dem Material, das man aus den Trümmern geborgen hatte, durch den Glockengießer Ludolf Siegfried in Hannover neu gegossen und kündige nun hängend Gottesdienste, Gebete, Prozessionen, Brände, Begräbnisse und Tumulte an, indem ich mit klingendem Erz das Volk rufe. Unter der Aufsicht des Magisters Othrabius Vordemann in seinem 75. Lebensjahr, der seit mehr als 49 Jahren auch Pastor seiner Heimat war. (A)
Versmaß: Ein elegisches Distichon (A, Z. 9f.), deutsche Reimverse (C).
Textkritischer Apparat
- VORDEMANNO] VORDENNO Kdm.
Anmerkungen
- Ps 150,5.
- 16. Oktober.
- Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 422 (Glocke in Sarstedt von 1648); DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 317 (Glocke in Katlenburg von 1650); Glocke in Bakede (Lkr. Hameln-Pyrmont; vgl. Deutsches Glockenarchiv im GNM, Glocke Nr. 5/20/35); Glocke in Krückeberg (Lkr. Hameln-Pyrmont; vgl. Deutsches Glockenarchiv im GNM, Glocke Nr. 5/19/14).
- Vgl. DI 88 (Lkr Hildesheim), Nr. 422; DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 317.
- Vgl. Eichler/Poettgen, Handbuch der Stück- und Glockengießer, S. 252. Walter, Glockenkunde, S. 877.
- 1641: Glocke für Gnadau (Sachsen-Anhalt; Eichler/Pöttgen, Handbuch der Stück- und Glockengießer, S. 252); 1642: Glocken für St. Ägidien und St. Petri in Braunschweig (DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 908 u. 917); 1643: Glocke für St. Magni in Braunschweig (DI 56, Nr. 924). 1643: Geschütz für Hannover (DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 337).
- Eine Auflistung der bis 1650 geschaffenen Werke in DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 422, Anm. 3; vgl. DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 317. Ergänzend sind zwei Glocken aus dem Jahr 1650 in Bäntorf (Kdm. Lkr. Hameln-Pyrmont, S. 96) und Bakede (Lkr. Hameln-Pyrmont; Kdm. Kreis Springe, S. 16) zu nennen.
- Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 31, 33, 66 u. 68.
- Kdm. Kreise Hannover und Linden, S. 6, 49f. u. 76f.
- Deutsches Glockenarchiv im GNM, Glocke Nr. 5/30/29.
- DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 1052; weitere Belege unter DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 422, Anm. 4.
- Vgl. eine Glocke Jankes in Behrensen (Lkr. Hameln-Pyrmont) aus dem Jahr 1640 (Kdm. Lkr. Hameln-Pyrmont, S. 99).
- Vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 1047 u. 1126, ferner die Glocke in Hohnhorst (Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 66) und die Glocke in Hohenbostel aus dem Jahr 1663 (Region Hannover; Kdm. Kreise Hannover und Linden, S. 84).
- Deutsches Glockenarchiv im GNM, Glocke Nr. 5/19/38.
- Piderit, Geschichte der Grafschaft Schaumburg, S. 142, Anm. 5.
- Meyer, Pastoren, Bd. 1, S. 471; er gehörte zu den ersten Kirchenvisitatoren in der Grafschaft nach der Einführung der Reformation (Paulus, Nachrichten, S. 196).
- Matrikel Jena, Bd. 1, S. 347 (Eintrag aus dem Jahr 1598).
- Vgl. das Epitaph Othrabius Vordemanns in der Kirche in Hattendorf sowie Paulus, Nachrichten, S. 197f.
Nachweise
- Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 61.
- Bentrup, Kirchen in Schaumburg, S. 60 (C).
Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 635 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0063502.
Kommentar
Rechteckige Umrisse um die Buchstaben zeigen, dass sie mithilfe von Matrizen hergestellt wurden. Dieses Phänomen ist bei Glocken des Gießers Ludolf Siegfried häufiger zu beobachten.3) Für ihn ist eine gleichmäßig ausgeführte Kapitalis mit Bogen- und Linksschrägenverstärkung sowie sorgfältig gestalteten Sporen, die sich Serifen annähern, charakteristisch. Typisch für Siegfried sind ferner das konische M, der geschwungene untere Schrägbalken des K analog zur Cauda des R sowie das U, das aus einem ausgeprägten Bogen und davon deutlich abgesetztem Schaft besteht, der unten nach rechts umgebogen ist.4) In der vorliegenden Inschrift setzen beim R Bogen und Cauda getrennt untereinander am Schaft an.
Der aus Nienburg/Weser stammende Gießer Ludolf Siegfried übernahm 1643 eine Werkstatt in Hannover; er starb 1675.5) Seine frühesten nachgewiesenen Werke, die er noch zusammen mit Joachim Janke herstellte, datieren aus den Jahren 1641 bis 1643.6) Er schuf zahlreiche Glocken in der Umgebung Hannovers.7) Für Kirchen in der hessischen Grafschaft Schaumburg goss Ludolf Siegfried nach 1650 vier weitere Glocken: 1652 jeweils eine Glocke für Kathrinhagen und für Beckedorf, 1653 eine Glocke für Hohnhorst und 1657 eine Glocke für Krückeberg (Lkr. Hameln-Pyrmont).8) Bereits 1644 soll eine im 19. Jahrhundert umgegossene Glocke in Lindhorst entstanden sein (Nr. 617).
Viele Glocken Siegfrieds tragen ausführliche Inschriften, die die Namen der Funktionsträger in der jeweiligen Kirchengemeinde nennen; auch der Gussort wird in der Regel angegeben. Eingeleitet werden die Inschriften meist mit einem Psalmzitat. Zitate aus dem 150. Psalm, insbesondere so wie auf der Hattendorfer Glocke der fünfte Vers, sind dabei häufiger zu finden, z. B. auf der Glocke in Arnum von 1643, der Glocke in Wülferode von 1644, der Glocke in Großgoltern (alle Region Hannover) von 16539), der Glocke in Holdenstedt (Lkr. Uelzen) von 165010) oder der Glocke in der Braunschweiger Katharinenkirche von 1656.11) Offenbar hat Siegfried diesen Vers von dem Gießer Joachim Janke, mit dem er anfangs zusammenarbeitete, übernommen.12) Ein Phänomen, das ebenfalls auf weiteren Glocken Siegfrieds festzustellen ist, ist die Mischung aus lateinischen und deutschen Inschriften.13) Mit der Hohnhorster Glocke hat die Hattendorfer Glocke Abgüsse natürlicher Blätter gemeinsam.14)
Der Neuguss der Hattendorfer Glocke erfolgte nach Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs. Er war infolge der Kriegsereignisse des Oktobers 1642 nötig geworden, als der französische General Jean Baptiste Budes de Guébriant, der ein hessisch-französisches Heer befehligte, mit 20 000 Mann bei Rinteln die Weser überschritt und in mehreren Dörfern, darunter Hattendorf, Feuer legte.15) Hierbei brannte nach Auskunft der Inschrift auch der Kirchturm nieder, wodurch zwei Glocken zerstört wurden, deren eine erst 1638 gegossen worden war.
Der in Inschrift A genannte Pastor Othrabius Vordemann wurde am 6. Mai 1575 als Sohn des Johannes Vordemann, seines Amtsvorgängers als Pastor in Hattendorf,16) und der Elisabeth Held geboren. Othrabius Vordemann studierte in Jena17) und erhielt 1601 die Predigerstelle in Hattendorf. 1603 heiratete er Margareta Dammann, die Tochter des Superintendenten und Stadthäger Pastors Jakob Dammann (vgl. Nr. 229 und Nr. 341) und dessen Ehefrau Christina Suthagen (Nr. 298). Aus der Ehe zwischen Othrabius Vordemann und seiner Frau Margarethe gingen sechs Söhne und vier Töchter hervor. Die Tochter Engel heiratete den Pastor von Apelern Anton Mensching (Nr. 606), Maria heiratete Adam Stammer, Vordemanns Nachfolger als Pastor in Hattendorf, der bereits 1651 zum Pastor adiunctus ernannt worden war. Vordemann starb am 5. Februar 1661 in Hattendorf; seine Ehefrau war bereits 18 Jahre zuvor verstorben.18)