Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 533 Stadthagen, Altes Rathaus 1623

Beschreibung

Gemälde. Öl auf Leinwand. Das als Triptychon gestaltete querrechteckige Gerechtigkeitsbild hing zum Zeitpunkt der Aufnahme im Sommer 2010 im Trauungszimmer des Alten Rathauses. Es zeigt auf dem linken Feld das Jüngste Gericht, auf dem rechten das Urteil Salomos, in der Mitte zwischen Säulen eine unbekleidete menschliche Figur, die die Augen verklärt nach oben gerichtet hat. Sie hält vor sich eine Tafel, auf die sie mit dem rechten Zeigefinger deutet. Auf der Tafel unmittelbar untereinander die Inschriften A1, A2 und A3. Die erste Zeile von Inschrift A1 sowie Inschrift A2 sind in Rot auf hellem Grund aufgemalt, die übrigen Inschriften in Schwarz auf hellem Grund. Die letzten drei Wörter von Inschrift A1 kleiner am Ende der Zeile. Im oberen Bereich der Säulen jeweils ein Wappenschild, darunter ein gefaltetes Schriftband mit den in Schwarz auf hellem Grund aufgemalten Beischriften B1 (linke Säule) und B2 (rechte Säule). Am unteren Rand der Tafel zwischen Rollwerk ein roter Wappenschild mit der Künstlersignatur M35. Unterhalb der Tafel die Inschrift C in Gold auf schwarzem Grund, die von den Rollwerkelementen und dem Wappenschild unterbrochen wird.

Maße: H.: 140 cm; B.: 331 cm (mit Rahmen); Bu.: 0,5 u. 1,7 cm (A), ca. 0,8 cm (B), 0,8 cm (C).

Schriftart(en): Fraktur (A1, C), schrägliegende lateinische Schreibschrift (A2), Fraktur und Kapitalis (A3), Kapitalis (B).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/2]

  1. A1

    Jm V Buch Mosis am 1 cap. / Verhöret ewre Bruder vnd richtet recht zwisschen iederman / vnd seinem Bruder vnd dem Frembdlinge keine Person solt ihr / im Gericht ansehen, sonder solt den kleinen horen wie den grosse(n) / vnd fur niemands person euch schewen den das Gericht ampt / ist gottes.a)1)

  2. A2

    Jm Buch der weissheitb) am 6 cap. / So höret nu Jhr konige, vnd mercket lernet Jhr Richter auff / Erden, den euch ist die Oberkeitt gegeben vom Herrn, vnd die / gewalt vom Höhesten, welcher wird fragen, wie ihr ha(n)=/delt vnd forschen was ihr ordent, den Er wird gar grw=/lichc) vnd kurtz uber euch kommen, vnd es wird gar ein / scharff Gericht gehen vber die Oberherrn, denn den geringe(n) / wiederfehret gnade, aber die Gewaltigen werden gewal/tiglich gestrafftd) werden.2)

  3. A3

    ANNO 1623 haben diese gemald Tafell die Ehrnveste vnd / achtbare Philip Mercklin, Herman Moller, Michaell / Bomers, Burger vnd Rathsverwanten zum Stadhagen, aus / liebe gegen diese Gemeine vnd Stad wollmeinentlich in diese Rathstube / Zum gedechtniß verehren wollen.

  4. B1

    PHILIPPVS MERCKLIN

  5. B2

    MICHAEL BOMERSEN

  6. C

    16 // Herman // Moller // 23

Wappen:
Merklin,3) Boemers4)
Hermann Moller5)

Kommentar

Die Fraktur in den Inschriften A1 und A3 weist die für den in Inschrift C genannten Maler Hermann Moller typischen Merkmale auf: Auffällig ist vor allem die Gestaltung der Bögen der Frakturminuskeln, die als Schwellzüge ausgeführt, jedoch in einzelne Abschnitte aufgelöst sind (insbesondere bei a, o, g und h, die gewissermaßen aus einem unteren und einem oberen Teil bestehen). Inschrift A2 ist in einer schrägliegenden lateinischen Schreibschrift gestaltet, die zum Teil von der Fraktur beeinflusst ist: g, k, r, v und w zeigen Brechungen, auch die Versalien entstammen der Fraktur. Eine Auflösung der Bögen wie in den Inschriften A1 und A3 ist hier fast nicht zu beobachten.

Der Stadthäger Maler Hermann Moller erlangte dort 15816) das Bürgerrecht, er dürfte also um 1555–1560 geboren worden sein. Verheiratet war er mit Lucke Nortzehl, der Tochter des Hermen Nortzehl.7) Vermutlich war der ebenfalls in Stadthagen tätige Maler Jobst Moller (Nr. 511) Hermann Mollers Sohn; Max Burchard führt in einer Stammtafel im Anhang seiner bevölkerungsgeschichtlichen Arbeit einen weiteren Sohn namens Hermann auf.8) Hermann Moller d. Ä. schuf bereits 1584 und 1590 zwei Epitaphien für die Familie von Landsberg (Nr. 309 u. 334). Ferner gestaltete er den Hauptaltar der Martini-Kirche um (Nr. 310).

Die Motivauswahl auf dem vorliegenden Gerechtigkeitsbild,9) die das Urteil Salomos und das Jüngste Gericht, also biblische Themen, zeigt, folgt noch mittelalterlicher Tradition. Die beiden Bildmotive gehören zu den verbreitetsten Themen auf Gerechtigkeitsbildern.10) Mithilfe der Bibelzitate (Inschriften A1 und A2) wird eine gerechte Rechtsprechung ohne Ansehung der Person angemahnt und der Richter daran erinnert, dass er sich selbst einst vor Gott wird verantworten müssen. Für die Auswahl der Bibelzitate gibt es anscheinend innerhalb der Gattung der Gerechtigkeitsbilder keinen festgelegten Kanon.11) Gerechtigkeitsbilder wurden häufig in Rathäusern aufgehängt, die in Spätmittelalter und Früher Neuzeit auch Ort der Rechtsprechung waren.12) Auf dem vorliegenden Gemälde trägt König Salomo die Gesichtszüge des kurz vorher verstorbenen Fürsten Ernst von Holstein-Schaumburg.13)

Zu Philipp Merklin vgl. Nr. 473, zu Michael Boemers vgl. Nr. 472.

Textkritischer Apparat

  1. ampt / ist gottes] kleiner. ist gottes unterhalb der Zeile.
  2. Das zweite s als Schleifen-s.
  3. grw=/lich] u-Haken über dem w.
  4. a kleiner zwischen r und f gesetzt.

Anmerkungen

  1. 5 Mo 1,16f.
  2. Wsh 6,2,4,6f.
  3. Wappen Merklin (vier Pfeilspitzen pfahlweise gestellt).
  4. Wappen Boemers (an einem Baum befestigte Waage).
  5. Wappen Hermann Moller (Künstlersignatur M35 (Mühleneisen mit eingestellter Initiale H), begleitet von drei Schildchen 2:1).
  6. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 52,18f.
  7. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 254,8 u. Anm. 1.
  8. Fritz, Künstlerfamilie Moller, S. 150; vgl. Burchard, Stadtarchiv Stadthagen, S. 62, Anm. 5.
  9. Allgemein zu Gerechtigkeitsbildern Gernot Kocher, Gerechtigkeits- und Gerichtsbilder, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 2 (2011), Sp. 127–131; vgl. Ursula Lederle, Gerechtigkeitsdarstellungen in deutschen und niederländischen Rathäusern, Diss. Heidelberg 1937; Karl Simon, Abendländische Gerechtigkeitsbilder, Frankfurt a. M. 1948; Wolfgang Sellert, Recht und Gerechtigkeit in der Kunst, Göttingen 1993, S. 69–76.
  10. Fritz, Künstlerfamilie Moller, S. 155; vgl. Lederle (wie Anm. 9), S. 7 u. 14–31 mit zahlreichen Beispielen; Simon (wie Anm. 9), S. 40–85.
  11. Vgl. die bei Lederle (wie oben Anm. 9) erwähnten Beispiele. Mahnende Inschriften mit ähnlichem Tenor bespricht Andreas Wacke, Rechtsprechen im Angesicht des Jüngsten Gerichts nach Gemälden und Inschriften in Ratsstuben und Gerichtssälen, in: Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde 24 (2007), S. 43–56, dort S. 48–53.
  12. Lederle (wie oben Anm. 9), S. 7–9; Simon (wie oben Anm. 9), S. 40; vgl. auch DI 85 (Stadt Halle an der Saale), Nr. 291; DI 100 (Stadt Lüneburg), Nr. 177 u. 447; DI 45 (Stadt Goslar), Nr. 51.
  13. Fritz, Künstlerfamilie Moller, S. 155; Jürgens, Malerei und Plastik, S. 86.

Nachweise

  1. Fritz, Künstlerfamilie Moller, S. 153–155 (mit Abb.).
  2. Großmann (Hg.), Renaissance im Weserraum, Bd. 1: Katalog, Farbtafel 3 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 533 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0053303.