Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 477 Gotha, Herzogliches Museum 1614

Beschreibung

Skulptur „Der Farnesische Stier“ (Strafgericht der Dirke).1) Bronze. Die vollplastische Skulptur ist vermutlich mit der Plastik identisch, die sich einem Inventar von 1635 zufolge im Bückeburger Schloss befand.2) Die Inschrift ist an der Rückseite des Sockels auf einer eigens dafür frei gelassenen Fläche in zwei Zeilen eingraviert.3) Sie war ursprünglich mit einer Masse verfüllt, die teilweise ausgebrochen ist.

Maße: H.: 103,5 cm; B.: 67 cm; T.: 71 cm;4) Bu.: ca. 1,2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. ADRIANVS FRIES / HAGIENSISa) BATAVVS . FE(CIT) 1614 .

Übersetzung:

Der Niederländer Adriaen de Vries aus Den Haag hat (dieses Werk) geschaffen 1614.

Kommentar

Die formvollendet ausgeführten Kapitalisbuchstaben orientieren sich an der klassischen Norm. Die Sporen sind zum Teil als Strichsporen, meist aber als Serifen gestaltet.

Die Plastik nimmt Bezug auf den Mythos von der Rache der Zwillinge Amphion und Zethos an Dirke, der Ehefrau des Königs Lykos von Theben, die zur Strafe an einen rasenden Stier gefesselt wurde.5) Die Figurengruppe ist nach dem Vorbild einer antiken Marmorskulptur gestaltet, die im Palazzo Farnese in Rom aufgestellt war.6) Der Guss der de Vriesschen Gruppe erfolgte vermutlich in Prag.7)

Wer der ursprüngliche Auftraggeber der Figur war, ist unklar. Erst 1620 bot de Vries sie Fürst Ernst von Holstein-Schaumburg zum Kauf an. Aus dem Schriftverkehr zwischen dem Künstler und Fürst Ernst geht hervor, welch hohen künstlerischen und materiellen Wert de Vries dem Stück beimaß: Er empfahl eine Aufstellung auf einem drehbaren Untersatz in einem Raum ohne Tapisserien. Dem Inventar von 1635 zufolge stand sie jedoch in Furst Ernsts s: Stube.8)

Zu weiteren Werken, die Adriaen de Vries für Graf Ernst anfertigte, vgl. Nr. 482.

Textkritischer Apparat

  1. HAGIENSIS] HAGENSIS Larsson.

Anmerkungen

  1. Stiftung Schloss Friedenstein Gotha: Schlossmuseum, Inv.-Nr. P 50. Zum Zeitpunkt der Aufnahme im Frühjahr 2017 war die Skulptur im Herzoglichen Museum Gotha in der Skulpturenhalle ausgestellt.
  2. Dort ist von einem gegoßne[n] ochse[n] die Rede (Kastler, Acta Allodia, S. 308). Die vorliegende Plastik ist erstmals 1721 in einem Inventar der Residenz Gotha nachgewiesen. Wie sie dorthin gelangte, ist nicht geklärt. Volker Krahn spricht von einem Ankauf im 18. Jahrhundert, allerdings ohne Quellenangabe (Krahn, Erwerbung der ‚Venus-Adonis-Gruppe‘, S. 145). Bei der Wieden konnte anhand archivalischer Quellen nachweisen, dass die Plastik wohl in den 1640er-Jahren durch Elisabeth zur Lippe, eine Nichte des Fürsten Ernst, an Maria Elisabeth zur Lippe († 1667) verschenkt wurde. Diese versuchte, das Objekt in Amsterdam zu versteigern, was aber bis 1668 nicht gelang; dann verliert sich die Spur (Bei der Wieden, Zur Besitzgeschichte des „Farnesischen Stiers“, S. 86–89). In Erwägung gezogen wurde in der Forschung auch die Existenz zweier Exemplare (vgl. Kastler, Acta Allodia, S. 308). Die Hypothese von Allmuth Schuttwolf, wonach die jetzt in Gotha aufbewahrte Plastik als Kriegsbeute 1620 von Prag nach München und anschließend 1632 nach Weimar gelangt und dann an Ernst I. von Sachsen-Gotha vererbt worden sein könnte (Allmuth Schuttwolf, Sammlung der Plastik Schlossmuseum Gotha, Gotha 1995, S. 105), ist überaus spekulativ (vgl. Scholten, Der Farnesische Stier, S. 274, Anm. 15).
  3. Die Annahme von Bassett (The Craftsman Revealed, S. 166, Bildunterschrift zu Fig. 2016), dass die Inschrift bereits beim Guss hergestellt worden sei, ist nicht wahrscheinlich.
  4. Maßangaben nach Schuttwolf, Sammlung der Plastik Schlossmuseum Gotha (wie oben Anm. 2), S. 103.
  5. Scholten, Der Farnesische Stier, S. 272.
  6. Schuttwolf, Sammlung der Plastik Schlossmuseum Gotha (wie oben Anm. 2), S. 104.
  7. Kastler, Der Farnesische Stier, S. 306.
  8. Acta Allodia, NLA BU, K 1 A Nr. 39, fol. 10v, zit. n. Kastler, Acta Allodia, S. 308; vgl. ders., Der Farnesische Stier, S. 304. Bei der Wieden vermutet hinter dieser „Stube“ einen Raum oberhalb der Toreinfahrt (Bei der Wieden, Zur Besitzgeschichte des „Farnesischen Stiers“, S. 87).

Nachweise

  1. Larsson, Adrian de Vries in Schaumburg, S. 121, Kat. Nr. 25.
  2. Allmuth Schuttwolf, Sammlung der Plastik Schlossmuseum Gotha, Gotha 1995, S. 103.
  3. Kastler, Der Farnesische Stier, S. 304.
  4. Scholten, Der Farnesische Stier, S. 272.
  5. Bassett, The Craftsman Revealed, S. 159 u. Abb. S. 166.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 477 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0047700.