Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)
Nr. 474 Bückeburg, Stadtkirche 1613
Beschreibung
Fassade. Stein. Die Jahreszahl A auf vier Bogensteinen am Portal des Westeingangs. In der Portalbekrönung ein von zwei Putten und zwei geflügelten Frauengestalten gehaltener, bekrönter Wappenschild. Inschrift B befindet sich an der Westfassade auf dem Fries unterhalb des Gesimses am Übergang zum Giebel. Das verkröpfte Gesims ist entsprechend der Fassadengliederung in drei Teile geteilt. Das zweite Wort links und rechts neben dem in den Fries hineinragenden Schmuckrahmen des mittleren Fensters. Die Trennung des Worts wird durch doppelte Schrägstriche angedeutet. Beide Inschriften sind mit sehr flacher, breiter Kerbe eingehauen und in Schwarz gefasst; in Inschrift B sind die jeweils ersten Buchstaben der ersten drei Wörter und die beiden ersten Buchstaben des letzten Wortes golden gefasst.
Am Giebel in einer von Renaissanceornamentik gerahmten Ädikula ein Uhrzifferblatt. In einem quadratischen, in Schwarz gefassten Feld, das in den vier Ecken Muscheln zeigt, ein Außenkreis und ein Innenkreis, die außen und innen von je einem in Gold gefassten Ring begrenzt werden. Die Inschriften sind erhaben ausgehauen und in Gold auf schwarzem Grund gefasst. Im Außenkreis die Ziffern C1, im Innenkreis die Ziffern C2. Paragraphzeichenförmige Worttrenner.
Maße: Bu.: ca. 25 cm (A), 41 cm (B), 56 cm (C1), 37,5 cm (C2).
Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien (B), Fraktur (C).
- A
. 1613 .
- B
EXEMPLUM // RELI= GIONIS // NON STRUCTURAE
- C1
i · ii · iii · iiii · v · vi · vii · viii · ix · x · xi · xii ·
- C2
i · ii · iii · iiii ·
Übersetzung:
Ein Musterbeispiel der Frömmigkeit, nicht der Baukunst. (B)
Grafen von Holstein-Schaumburg und Sternberg, Herren zu Gemen1) |
Anmerkungen
- Wappen Grafen von Holstein-Schaumburg und Sternberg, Herren zu Gemen (Herzschild Nesselblatt mit drei in der Mitte zusammentreffenden Nägeln belegt, diese in der Mitte mit einem Schildchen belegt (Holstein-Schaumburg); quadriert: 1. u. 4. Stern (Sternberg), 2. u. 3. Balken mit drei Pfählen belegt (Gemen)); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 2, S. 35 u. Tafel 39.
- Weiterführende Literatur zur Stadtkirche bei Albrecht, Bückeburger Stadtkirche, S. 9–14.
- Albrecht, Bückeburger Stadtkirche, S. 17, 20, 22; vgl. Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 128–130. Die These von Masuch, der aufgrund von Steinmetzzeichen an und in der Kirche einen Baubeginn bereits unter Otto IV. im Jahr 1563 angenommen hatte (Horst Masuch, Die Grafen Otto IV. und Ernst von Schaumburg als Bauherren der Stadtkirche zu Bückeburg, in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen 18 (1967), S. 43–46, dort S. 45), wurde von Brosius auf der Grundlage des überlieferten Aktenmaterials widerlegt (Brosius, Bauzeit der Stadtkirche). Beispielsweise wurde das für den Kirchenbau bestimmte Grundstück erst 1610 erworben (Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 128). Dennoch hält Masuch auch in einem Aufsatz von 1990 an einem Baubeginn vor 1611 fest (Masuch, Exemplum religionis, S. 70, 72).
- Zu dem Portal Albrecht, Bückeburger Stadtkirche, S. 34f. und Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 162–164.
- Kreft/Soenke, Weserrenaissance, S. 269; Albrecht, Bückeburger Stadtkirche, S. 23. Zur Fassade ebd., S. 34–43.
- Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 130–136. Borggrefe verweist auf Ähnlichkeiten mit der Fassade des Augsburger Zeughauses (1606).
- Diemer, Nosseni, S. 117–120.
- Albrecht, Bückeburger Stadtkirche, S. 36.
- Vgl. Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 158. Mit etwas anderer Akzentuierung deutet Hipp die Inschrift dahingehend, dass die Bückeburger Stadtkirche damit als „Inbegriff einer mustergültigen Struktur“ hingestellt werde, „nicht eine isolierte Individualleistung, sondern eine Realdefinition für die verbindliche Konvention des Bauens in dieser Zeit um 1600“ (Hipp, Bückeburger „structura“, S. 162). Masuch hingegen erwägt, dass die Inschrift das resignierende Eingeständnis sein könnte, dass Ernst damit gescheitert sei, „durch nachträgliche Planänderungen einem in spätgotischen Formen errichteten Kirchenbau eine nicht nur seiner Zeit, sondern auch seinem Kunstempfinden entsprechende Ausformung zu geben“ (Masuch, Exemplum religionis, S. 72); die Inschrift sei zwar ein Musterbeispiel für Frömmigkeit, aber nicht für Architektur. Allerdings ist fraglich, ob ein Landesherr als Auftraggeber ein solches Eingeständnis prominent an der Fassade hätte anbringen lassen.
- Borggrefe, Schloss Bückeburg, S. 11.
Nachweise
- Winkelmann, Beschreibung der Fürstenthümer Hessen und Hersfeld, S. 338 (B).
- Hauber, Primitiae Schauenburgicae, S. 59 (B).
- Dolle, Bibliotheca Historiae Schauenburgicae, S. 308 (B).
- Dolle, Kurtzgefaßte Geschichte der Grafschaft Schaumburg, S. 587 (B).
- Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 24f., 26f. u. Tafel 2.
- Hesse, Heimatkundliche Wahrzeichen, S. 111f., Nr. 110 u. 111 (A, B).
- Larsson, Adrianvs Fries Hagiensis Batavus, S. 76 (B).
- Habich, Residenz Bückeburg, S. 75 (B).
- Hipp, Bückeburger „structura“, S. 159 (Abb. S. 160) (B).
- Bentrup, Kirchen in Schaumburg, S. 29 (B).
- Masuch, Exemplum Religionis, S. 58 (A).
- Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 130, 131, 133 (Abb.), 158.
- Albrecht, Bückeburger Stadtkirche, S. 36 u. ö. (B), S. 136 u. Abb. 171 (C).
Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 474 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0047409.
Kommentar
Die Kapitalis orientiert sich am klassischen Ideal. Die Sporen sind als Serifen gestaltet. Rundes U. Die Grundformen der Ziffern des Uhrzifferblatts entsprechen der Fraktur; die Brechungen sind gerundet.
Der Bau der Kirche2) steht im Zusammenhang mit dem Ausbau Bückeburgs zur Residenzstadt durch Graf Ernst von Holstein-Schaumburg. Erste Planungen gab es im Jahr 1608, begonnen wurde mit dem Bau wohl 1611. Die Kirche wurde im Mai 1615 geweiht,3) doch ist die Westfassade durch die Inschrift oberhalb des Hauptportals bereits auf das Jahr 1613 datiert.4) Der Name des oder der Baumeister ist nicht bekannt. Möglicherweise war für die Fassadengestaltung Hans Wolf verantwortlich, ein Sohn Ebbert Wolfs d. Ä., der seit 1609 verschiedene Aufträge von Graf Ernst erhalten hatte.5) Denkbar ist auch das Mitwirken eines nicht namentlich bekannten Maurermeisters aus Augsburg sowie eine Beteiligung des gräflichen Kammerrats Johannes Becker.6) Jüngst hat Dorothea Diemer dafür plädiert, den Bau dem kursächsischen Hofarchitekten Giovanni Maria Nosseni zuzuschreiben. Nosseni hatte 1608 ein Modell für die Kirche an Graf Ernst geschickt; danach ist allerdings in den Akten nicht mehr von einer Mitwirkung Nossenis an dem Kirchenbau die Rede.7)
Die in Gold gefassten Anfangsbuchstaben der Wörter der Inschrift B (ERNST) ergeben den Vornamen des Auftraggebers.8) Die Inschrift sollte vermutlich betonen, dass trotz aller architektonischen Pracht die äußerlich sichtbare Schönheit des Baus nicht im Vordergrund steht, sondern dass sie lediglich äußerer Ausdruck der Frömmigkeit des Erbauers ist.9) Die Anbringung einer monumentalen Inschrift an der Fassade dürfte italienischen Vorbildern folgen; vermutlich hatte Ernst auf seiner Romreise 158910) entsprechende Kirchenfassaden kennengelernt.