Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)
Nr. 452 Bückeburg, ref. Schlosskapelle 1603–1608
Beschreibung
Wandvertäfelung. Holz. Die dreistöckige reich vergoldete Verkleidung der Westwand, hinter der sich die Fürstenloge befindet, zeigt auf der untersten Ebene in der Mitte ein Gemälde (Öl auf Leinwand) des Jüngsten Gerichts. Links und rechts davon jeweils eine von Roll- und Beschlagwerk sowie Putten gerahmte querrechteckige Schrifttafel, auf der die Inschriften in Gold auf rotem Grund aufgemalt sind. Auf der linken Schrifttafel die Inschrift A1, auf der rechten Schrifttafel die Inschrift A2. Am Ende der Inschrift jeweils ein Rankenornament, in Inschrift A1 auch hinter der Bibelstellenangabe, in Inschrift A2 auch am Beginn der letzten Zeile.
Darüber eine in fünf Felder unterteilte Brüstungszone. In der Mitte ein vollplastischer Engel mit Posaune. Links davon eine Reliefdarstellung der Vision des Ezechiel von einem durch Gottes Odem wieder lebendig werdenden Knochenfeld, wiederum links davon eine querovale, von Rollwerk und Engeln gerahmte Kartusche, auf der die Inschrift B1 in Gold auf dunkelgrünem Grund aufgemalt ist. Rechts des Posaunenengels eine Reliefdarstellung der Auferweckung des Lazarus, wiederum rechts davon eine querovale, von Rollwerk und Engeln gerahmte Kartusche, auf der die Inschrift B2 in Gold auf dunkelgrünem Grund aufgemalt ist. Alle Inschriften sind stark restauriert.
Im obersten Geschoss links und rechts der eigentlichen Logenfenster jeweils ein vollplastisches Vollwappen, das von einem Engel gehalten wird.
Maße: Bu.: 2–3 cm (Kapitalis), 3–4 cm (Fraktur).
Schriftart(en): Fraktur mit Kapitalis.
- A1
MATTH: 25 CAP: · / Komet her Ihr Gesegneten mei=/nes Vatters ererbet das Reich das / Euch bereitet ist Von anbegin / Derr Weldtt ·1)
- A2
MATTH: 25 CAP: / Gehet hin von Mir Ihr Ver=/fluchten in das Eiwige Fewr / das bereitet ist dem Teuffell / · und seinen Engeln! ·2)
- B1
EZECHIELIS 37 CAP: / Du menschen Kindt meinestu / auch, das diese Beine wieder / Lebendig werden? vnd Ich sprach / Herr Herr das weistu woll ·3)
- B2
JOANNIS 11 CAP: / Christus sprach. Lazarus / vnser Freundt Schleffett: / Aber Ich gehe hin das Ich / Ihn Auffwecke. ·4)
Grafen von Holstein-Schaumburg und Sternberg, Herren zu Gemen,5) Hessen-Kassel6) |
Anmerkungen
- Mt 25,34.
- Mt 25,41.
- Hes 37,3.
- Jh 11,11.
- Wappen Grafen von Holstein-Schaumburg und Sternberg, Herren zu Gemen (Herzschild Nesselblatt mit drei in der Mitte zusammentreffenden Nägeln belegt, diese in der Mitte mit einem Schildchen belegt (Holstein-Schaumburg); quadriert: 1. u. 4. Stern (Sternberg), 2. u. 3. Balken mit drei Pfählen belegt (Gemen)); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 2, S. 35 u. Tafel 39.
- Wappen Hessen-Kassel (quadriert: 1. bekrönter, neunmal mit Streifen geteilter Löwe (Hessen), 2. geteilt, 1. Stern (Ziegenhain), 3. geteilt, 1. zwei Sterne nebeneinander (Nidda), 4. zwei Löwen übereinander (Dietz)); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, S. 30–32 u. Tafel 58 (das Wappen ist in dieser Zusammenstellung nicht bei Siebmacher nachgewiesen); hier abweichend: 1. Streifen nicht erkennbar.
- Dazu Borggrefe, Schloss Bückeburg, S. 18f.
- Habich, Residenz Bückeburg, S. 130.
- Bereits der Kirchenvater Hieronymus erwähnt in seiner Deutung der Vision des Ezechiel auch Lazarus (Hieronymus, In Ezechielem, Buch 11 zu 37,1–14 (Corpus Christianorum, Series Latina, Bd. 75, S. 516)); vgl. Wilhelm Neuß, Die Entwicklung der theologischen Auffassung des Buches Ezechiel bis zur Zeit der Frühscholastik, Münster 1911, S. 71; ders., Das Buch Ezechiel in Theologie und Kunst bis zum Ende des XII. Jahrhunderts, Münster 1912, S. 148–151.
- Herwig Guratzsch, Die Auferweckung des Lazarus in der niederländischen Kunst von 1400 bis 1700. Ikonographie und Ikonologie, Bd. 1 (Ars Neerlandica 2,1), S. 49. Die von ihm zitierte Bibel liegt in der Österreichischen Nationalbibliothek, Codex Vindobonensis Palatinus 1198, fol. 4v (vgl. http://data.onb.ac.at/rec/AC13953572, zuletzt benutzt am 22.11.2021). Dort wird die bildliche Darstellung der Auferweckung des Lazarus flankiert von David, Hosea, Jesaja und Ezechiel. Der Figur des Ezechiel ist in einem Schriftband das Zitat Ecce ego aperiam tumulos vestros (Ez 37,12) zugeordnet.
- Ingrid Schulze, Lucas Cranach d. J. und die protestantische Bildkunst in Sachsen und Thüringen. Frömmigkeit, Theologie, Fürstenreformation, Bucha bei Jena 2004, S. 237 mit Anm. 21.
- Dazu Christoph Stiegemann, Heinrich Gröninger. Um 1578–1631. Ein Beitrag zur Skulptur zwischen Spätgotik und Barock im Fürstbistum Paderborn, Paderborn 1989 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 26), S. 133, 203–206, Abb. 126 u. 153.
- Vgl. den Katalog Wittelsbach und Bayern II,2: Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I., München Zürich 1980, Nr. 127, S. 90f. Die insgesamt vier Bronzetafeln, die außerdem die Auferstehung Christi und die Erweckung der Tochter des Jairus zeigen, sind jetzt am Hochaltar und am Volksaltar der Münchner Michaelskirche angebracht.
- Habich, Residenz Bückeburg, S. 130 mit Anm. 209.
- Findel, Bildhauerfamilie Wulff, S. 39–43; Habich, Residenz Bückeburg, S. 133; vgl. Albrecht, Bückeburger Schloßkapelle, S. 147. – Zu weiteren Werken der Wolfs für Graf Ernst vgl. Findel, Bildhauerfamilie Wulff, S. 43–49.
Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 452 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0045203.
Kommentar
Die Frakturbuchstaben, die für die deutschen Textteile verwendet werden, sind reich mit verschlungenen Zierelementen verziert. Brezelförmiges Schluss-s. Es wird durchgängig Bogen-r verwendet.
Die Inschriften A1 und A2 bilden die Beischriften zur Darstellung des Jüngsten Gerichts, das Graf Ernst von Holstein-Schaumburg bei Christoph Gertner in Auftrag gegeben hatte.7) Als druckgraphische Vorlagen für das Gemälde weist Johannes Habich Stiche von Johann Sadeler (nach Christoph Schwarz) und Hendrik Goltzius (nach Johannes Stradanus) nach, ferner sind einige Details nach Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle gestaltet.8)
Der typologische Bezug zwischen der Vision des Ezechiel von einem wieder lebendig werdenden Knochenfeld (Hes 37,1–14) und der Auferweckung des Lazarus (Inschriften B1 und B2) lässt sich bis in die Spätantike zurückverfolgen9) und wirkt im Mittelalter weiter. Herwig Guratzsch verweist auf eine Biblia pauperum aus dem 14. Jahrhundert.10) Auch in der protestantischen Kunst der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde das Thema aufgegriffen, wie eine Reihe von Epitaphien etwa aus Wittenberg oder Dresden zeigt.11) Die Vision des Ezechiel fand aber auch im katholischen Bereich Verbreitung: Sie nimmt beispielsweise bei dem um 1620 entstandenen Grabmal für den Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg im Paderborner Dom den zentralen Mittelteil ein; oberhalb davon ist die Auferweckung des Lazarus dargestellt.12) Auch für das nie verwirklichte Grabmal Herzog Wilhelms V. von Bayern († 1626) wurden zwei Bronzetafeln mit dieser Thematik gegossen.13) Das prominenteste Beispiel im Landkreis Schaumburg sind zwei Gemälde im Mausoleum des Fürsten Ernst in Stadthagen, die Antonius Boten 1626 und 1627 schuf (Nr. 567).
Das vorliegende Relief der Vision des Ezechiel folgt einem Stich von Johann Sadeler nach Marten de Vos; die Auferweckung des Lazarus beruht auf einem Stich des Servaes Raven nach einer Vorlage des Abraham Bloemaert.14)
Die Wandvertäfelung ist, wie auch die übrige Schnitzwerkausstattung der Kapelle, ein Werk der Hildesheimer Bildhauer Ebbert Wolf d. J. und Jonas Wolf; sie wurden damit im Jahr 1603 beauftragt und erhielten ihre abschließende Zahlung am 23. November 1608. Für die Westwand war Jonas Wolf zuständig.15)