Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 168 Bückeburg, Schloss 1552

Beschreibung

Brunnen. Stein. Der sogenannte Tugendbrunnen war ursprünglich im Schlosshof in Stadthagen aufgestellt und wurde 1921 nach Bückeburg an seinen heutigen Standort gebracht.1) Sechspassförmiges Becken, ruhend auf einem runden, mit Rankenwerk verzierten Postament sowie auf sechs Säulen, die den Beckenrand stützen. Inschrift A läuft am Beckenrand um, zu Beginn der Inschrift eine Rosette; Vierpässe und Kreuzchen als Worttrenner. An dem sich aus der Schale erhebenden Schaft unter Rundbögen vier allegorische Darstellungen der Tugenden Caritas, Fortitudo, Fides und Spes. Auf den Rundbögen sind die jeweils zugehörigen Beischriften B angebracht; links und rechts neben FIDES und SPES jeweils ein Kleeblatt als Worttrenner. Oberhalb der Tugendfiguren ein sechseckiges Postament, das mit Rankenwerk und sechs Löwenköpfen verziert ist, die als Wasserspeier dienen. Auf dem Postament zwei Vollwappen mit jeweils einem Greifen und einem Löwen als Schildhalter. Zwischen den beiden Wappen zwei allegorische Darstellungen von Sonne und Mond: an der Südostseite eine weibliche Figur mit einer Mondscheibe in der linken Hand, an der Nordwestseite eine männliche Figur in geistlicher Kleidung mit einer Sonnenscheibe in den Händen. Auf dem runden Schaft darüber zunächst Rankenwerk, darüber zwischen zwei Wülsten die umlaufende Inschrift C. Der Brunnen wird von einer Darstellung der Justitia mit Schwert und Waage bekrönt. Auf dem Kapitell des Pilasters zwischen Spes und Caritas ein Wappenschild, links und rechts davon die Initialen D. Alle Inschriften sind erhaben in vertiefter Zeile gearbeitet, Inschrift A ist golden gefasst.

Maße: H.: ca. 450 cm; Dm.: ca. 250 cm (Brunnenschale); Bu.: 9 cm (A), ca. 4,5 cm (B, C), ca. 6 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Katharina Kagerer) [1/5]

  1. A

    VON ·a) GODES · GENADEN · OTTO · GRAVE · THO · HOLSTEN + VND · SCHOMBORCH · VND · STERENBARGE · HERE · THO + GEMEN · 1552 ·

  2. B

    · CHARITAS · / · FORTITVDO · / · FIDES · / · SPES ·

  3. C

    DILIGITE · IVSTICIA(M) · Q(VI)b) · IVDICATIS · TERRA(M) · SENTITE · DE · D(OMI)NO · I(N)c) · BO(NI)T(ATE) ·2)

  4. D

    I(ASPER) R(OBIN)

Übersetzung:

Liebe, Stärke, Glaube, Hoffnung. (B)

Liebt Gerechtigkeit, die ihr die Erde regiert. Denkt über den Herrn in Aufrichtigkeit. (C)

Wappen:
Grafen von Holstein-Schaumburg und Sternberg, Herren zu Gemen,3) Pommern4)
Jasper Robin5)

Kommentar

Anhand von Archivquellen gelang es Thorsten Albrecht, die Initialen IR (Inschrift D) dem Mindener Bildhauer Jasper Robin zuzuweisen, der für den Brunnen einen Lohn von 15 Talern erhielt.6) Die Inschriften, v. a. Inschrift A, zeigen die für Jasper Robin typischen Buchstabenformen (vgl. Einleitung Kap. 8.3.), insbesondere das L mit keilförmig verbreitertem Balken, der leicht rechtsschräg nach oben gestellt ist. Z-förmige 2 (A). Inschrift C ist sehr eng spationiert und weist hohe, schlanke Buchstaben auf, insbesondere ein extrem spitzovales O. Als Elemente der frühhumanistischen Kapitalis sind im Übrigen Ausbuchtungen am Schaft des I in Inschrift D, am Balken des H in HOLSTEN (Inschrift A) und an einigen der Kürzungsbalken in Inschrift C zu nennen.

Der Brunnen wurde 1552 im Auftrag Graf Ottos IV. von Holstein-Schaumburg (s. Nr. 159) zunächst für die damalige Residenzstadt Stadthagen geschaffen. Er zeigt mit Glaube, Liebe und Hoffnung die christlichen Haupttugenden (vgl. 1 Cor 13,13), während Tapferkeit und Gerechtigkeit zu den antiken Kardinaltugenden gehören. Die Figur der Justitia, die den Brunnen bekrönt und die durch eine eigene Beischrift herausgehoben wird, soll sicherlich die Gerechtigkeit des Landesherrn, damit aber auch seinen Herrschaftsanspruch demonstrieren. Grundgelegt ist die Herrschaft in den christlichen Wertvorstellungen, die hier unabhängig von einer bestimmten konfessionellen Ausrichtung bemüht werden.7) Auf den Herrscher nimmt vermutlich auch die Personifikation der Sonne Bezug; zugleich ist ein Bezug zu Christus als Sol iustitiae möglich (vgl. Mal 4,2). Ob die Personifikation des Mondes notwendig als Sinnbild der Vergänglichkeit zu sehen ist,8) mag dahingestellt bleiben. Sie bildet auf jeden Fall das weibliche Gegenstück zur Sonnendarstellung, so wie auf dieser Ebene des Brunnenschafts sowohl Graf Otto IV. als auch seine Ehefrau Maria von Pommern durch ihre Wappen repräsentiert sind.

Textkritischer Apparat

  1. Worttrenner nicht farbig gefasst.
  2. Als Kürzungszeichen ein darübergesetztes Quadrangel.
  3. I(N)] fehlt Soenke, Triumph des Manierismus.

Anmerkungen

  1. Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 64.
  2. Sap 1,1.
  3. Wappen Grafen von Holstein-Schaumburg und Sternberg, Herren zu Gemen (Herzschild Nesselblatt mit drei in der Mitte zusammentreffenden Nägeln belegt, diese in der Mitte mit einem Schildchen belegt (Holstein-Schaumburg); quadriert: 1. u. 4. Stern (Sternberg), 2. u. 3. Balken mit drei Pfählen belegt (Gemen)); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 2, S. 35 u. Tafel 39; hier abweichend: Schildchen fehlt.
  4. Wappen Herzöge von Pommern (zweimal gespalten und zweimal geteilt: 1. bekrönter Greif (Herzogtum Stettin), 2. Greif (Herzogtum Pommern), 3. Greif (Herzogtum Cassuben), 4. Greif (Herzogtum Wenden), 5. geteilt: 1. wachsender Löwe, 2. Mauergiebel (Fürstentum Rügen), 6. Fischgreif (Herrschaft Usedom), 7. Greif (Land Barth), 8. zwei schräggekreuzte Äste, von vier Rosen begleitet (Grafschaft Gützkow), 9. geteilt: 1. wachsender Greif, 2. geschacht (Herrschaft Wolgast)); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, Teil 2, S. 78 u. Tafel 79.
  5. Wappen Jasper Robin (drei Schildchen, 2:1; Initialen IR).
  6. Albrecht, Landesherrliche Baumaßnahmen, S. 177. An dem Brunnen war auch Jakob Kölling beteiligt, mit dem Jasper Robin bereits bei der Herstellung einer Wappentafel am Schloss Stadthagen zusammengearbeitet hatte (Nr. 159). – Die These Georg Speitels (Bückeburger Tugendbrunnen, S. 70, 81f.), wonach der Brunnen nicht einer einheitlichen Grundkonzeption entsprungen sei, sondern über den Zeitraum von 1552 bis 1610 hinweg von verschiedenen Bildhauern geschaffen worden sei, wurde bereits von Albrecht widerlegt (Albrecht, Landesherrliche Baumaßnahmen, Anm. 189 auf S. 187).
  7. Die Interpretation Borggrefes (Residenz Bückeburg, S. 68f.), der in der Darstellung der drei christlichen Tugenden auf dem Brunnen einen Ausdruck des sola fide-Prinzips sieht, erscheint zu spekulativ, zumal er hier einen Begriff aus der lutherischen Rechtfertigungslehre unreflektiert auf das Gebiet der politischen Philosophie überträgt, indem er annimmt, das Prinzip sola fide könne zur Herrschaftslegitimation im frühneuzeitlichen Fürstenstaat dienen.
  8. Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 69.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 50f. (A–C).
  2. [Wehling], Stadthagens alte Bauten, 1926, H. 7, ohne Seitenzählung (A).
  3. Soenke, Niedersächsische Renaissancekünstler, ohne Seitenzählung.
  4. Rausch, Das Spruchband am Tugendbrunnen vor dem Schloß zu Bückeburg, in: Schaumburg-Lippische Heimat-Blätter 9 (1958), Nr. 11, ohne Seitenzählung (C).
  5. Der Bückeburger Tugendbrunnen, in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen 17 (1965), S. 81 (A, C).
  6. Soenke, Triumph des Manierismus, S. 40 (A, C, D).
  7. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, Abb. 43.
  8. Speitel, Bückeburger Tugendbrunnen, S. 67.
  9. Borggrefe, Residenz Bückeburg, S. 66f. (A, C).
  10. B. Bei der Wieden, Bischof Hermann von Minden, S. 54, Anm. 83 (C).

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 168 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0016806.