Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 44(†) Möllenbeck, ref. Klosterkirche 1479

Beschreibung

Türsturz. Stein. Die eingehauene Inschrift verläuft in vier Zeilen auf dem Sturz über dem Eingang zur Kirchenvorhalle an der Westseite des Gebäudekomplexes. Die Zeilenenden sind mit eingehauenen Ornamenten und Fabelwesen verziert. Vermutlich wurde die Inschrift um 1900 nach altem Vorbild neu gehauen.1) Dass die acht Verse über dem Kircheneingang als Inschrift angebracht waren, bezeugt Dohm in seinen 1720 erschienenen Stricturae ad historiam coenobii Mollenbeccensis pertinentes.

Inschrift nach der erneuerten Fassung.

Maße: H.: 31,5 cm; B.: 179 cm; Bu.: 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/1]

  1. Fu(n)dauit hylburch dotauita) nobil(is) vffoFlamen tvnc folcart ditat cum presule drago / Annis sexce(n)tis ferme fuit hic mo(n)ialis Gloria hijsb) celebris sed si(n)gula preterierunt / Sepcies ducc) dece(m) c(entum) quater milleq(ue) noue(m)d)Prior tu(n)c fratru(m) herma(n)nus gloria patru(m) / De strale(n) natus lapide(m) demersit in imu(m) Gertrudisq(ue) die2) co(n)cludat prospero fine

Übersetzung:

Hildburg hat es (= das Stift) gegründet, ausgestattet der edle Uffo. Dann machte der Priester Folkart es reich zusammen mit dem Bischof Drogo. Etwa 600 Jahre hat sich hier durch sie der Ruhm dieses Nonnenklosters glanzvoll erhalten, aber einzelnes ist vergangen. Rechne sieben mal zehn, vier mal hundert, tausend und neun (1479): In diesem Jahr hat Hermann, damals Prior der Brüder, der Ruhm seiner Väter, aus dem Geschlecht derer von Stralen stammend, den Grundstein gelegt, und zwar am Gertrudentag; möge er es glücklich vollenden.3)

Versmaß: Hexameter.

Kommentar

Die Inschrift, die aus Anlass der Grundsteinlegung für den Kirchenneubau am 17. März 1479 angebracht wurde, schlägt den Bogen zwischen zwei Meilensteinen in der Geschichte des Stifts Möllenbeck: der Gründung und Ausstattung des Stifts am Ende des 9. Jahrhunderts und den Reformbestrebungen, die Ende des 15. Jahrhunderts auch zu einem weitgehenden Neubau des Gebäudekomplexes führten.

Sowohl in der Gründungslegende als auch in der aus dem Jahr 896 stammenden einzigen überlieferten Urkunde, die mit der Gründung des Stifts in Verbindung steht, wird die Adlige Hildburg (vgl. Nr. 1) zusammen mit dem Priester Folkart als Stifterin genannt.4) Nicolaus Heutger nimmt an, dass Hildburg dem Reichsadel angehörte; aus welcher Familie sie stammte, ist jedoch nicht überliefert. Heutger äußert die Vermutung, dass Hildburg, ihre Nichte Wentilburg, die als ihre Nachfolgerin im Amt der Äbtissin vorgesehen war, und Folkart von den Billungern abstammten.5)

In der Gründungslegende heißt es, Hildburg sei die Frau des Grafen Uffo gewesen. Eine Person namens Uffo taucht jedoch in der Urkunde ebensowenig auf wie ein Ehemann der Hildburg. Die Inschrift auf dem Türsturz kann zur Frage einer ehelichen Verbindung zwischen Hildburg und Uffo nichts beitragen, hier wird Uffo allein als adliger Geldgeber angeführt. Es ist denkbar, dass es sich bei ihm um einen zweiten bedeutenden Stifter handelte, der ohne nähere Verbindung zu Hildburg zu sehen ist.6)

Zum Neubau kam es, nachdem Bischof Albert von Minden 1441 das Kanonissenstift aufgelöst und Gebäude und Grundbesitz an die Windesheimer Reformkongregation übergeben hatte. Anschließend wurde das Stift mit Augustinerchorherren aus dem Stift Böddeken im Hochstift Paderborn besetzt. Das Stift gelangte zu einer erneuten Blüte.7) Für den Wiederaufbau der Stiftsgebäude konnte der Prior Hermann von Stralen (1458–1486) die Grafen Erich und Anton von Holstein-Schaumburg als Förderer gewinnen. 1485 räumten sie dem Stift das Recht ein, für dessen Eigenbedarf unses Berghes ghenant de Buckesberch Hauwesteyn […] to brekende.8)

In der Inschrift wird versucht, eine Traditionslinie von der Gründung zu den Erneuerungsbestrebungen unter dem Prior Hermann von Stralen 600 Jahre später herzustellen. Dieser wird mit den Gründern Hildburg, Uffo und Drogo in eine Reihe gestellt; die seit der Gründung verstrichene Zeit erhält das Prädikat einer gloria monialis. Der Niedergang des Stifts, der zur Übertragung an die Windesheimer Kongregation geführt hatte, wird in der Inschrift nicht erwähnt, vielmehr wird der Eindruck erweckt, man wolle nahtlos an eine positiv besetzte Tradition anknüpfen.9) Häufiger wurden derartige Inschriften im Zuge der Klosterreform angefertigt, etwa im Kloster St. Magdalenen in Hildesheim oder im Kloster Medingen (Lkr. Uelzen).10)

Textkritischer Apparat

  1. dotauit] ditauit Kdm., Heutger.
  2. hijs] bis Winkelmann.
  3. duc] due Kdm., Heutger; diu Dohm.
  4. noue(m)] fehlt Dohm.

Anmerkungen

  1. Der für eine Westseite außergewöhnlich gute Erhaltungszustand der Inschrift schließt eine Entstehung im Spätmittelalter aus. Auch die Form der Versalien spricht für eine Anfertigung im ausgehenden 19. Jahrhundert, möglicherweise anlässlich der 1000-Jahr-Feier im Jahr 1896 (vgl. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 183). Dass die originale Inschrift bereits Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr zu sehen war, könnte man vorsichtig aus folgender Angabe bei Winkelmann schließen: „Im Eingang der Kirchen dieses Closters sind diese Verse zu lesen gewesen“ (Dolle, Bibliotheca Historiae Schauenburgicae, S. 283).
  2. 17. März.
  3. Übersetzung nach Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 78.
  4. UB Möllenbeck, Bd. 1, Nr. 71 vom 13. August 896.
  5. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 3f.
  6. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 78.
  7. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 72–77.
  8. UB Möllenbeck, Bd. 1, Nr. 385 vom 20. Januar 1485; vgl. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 79. Zur Baugeschichte des Klosters Kleßmann, Baugeschichte der Stiftskirche zu Möllenbeck, bes. S. 58–73.
  9. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 78.
  10. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 153; DI 76 (Lüneburger Klöster), Nr. 58, bes. S. 136.

Nachweise

  1. Dohm, Stricturae ad historiam coenobii Mollenbeccensis pertinentes, S. 24 (V. 1–4), 32 (V. 4–8).
  2. Dolle, Bibliotheca Historiae Schauenburgicae, S. 283 (V. 1–4).
  3. Paulus, Geschichte des Möllenbecker Klosters, S. 94 (V. 5–8).
  4. Wippermann, Noten über das Alter der Kirchen, S. 67 (teilweise).
  5. Kdm. Kreis Grafschaft Schaumburg, S. 73.
  6. Heutger, Stift Möllenbeck, 21987, S. 222.
  7. Finck, Gemalte Gelehrsamkeit, S. 77f.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 44(†) (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0004401.