Inschriften: Santa Maria dell’Anima

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012)

Nr. 74 Santa Maria dell’Anima kurz nach 1523

Beschreibung

Fragmentarisches Epitaph des Abbreviators Saturnus Gerona aus Barcelona, innen neben dem nördlichen Seitenportal in die Wand eingelassen (Plan Nr. 7). Querrechteckige profilierte Tafel aus weißem Marmor mit sechszeiliger schwarz gefasster Inschrift, seitlich geschmückt mit Muschelvoluten. Die Tafel wurde im Jahr 1550 – um für ein transloziertes Epitaph Platz zu machen1) – vom originalen an ihren heutigen Standort nach unten versetzt und dabei vermutlich leicht verändert2).

Erg. nach Adinolfi.

Maße: H. 30, B. 77, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Dr. Eberhard J. Nikitsch [1/2]

  1. SCIS REMEARE DATVM NVLLI POST BVSTA DARENT(VR)a) SI MICHIb) SIM NVLLVS SI REMEARE VELIM AETATES OMNES DEFVNCTVM SERA VOCAVIT MORS RELIQVV(M) VITE QVID NISI PENA FVIT SANCTE SI MVSAS COLVI FORTASSE SEPVITVSc) VITA INTER VIVOS NVNC MELIORE FRVOR[SATVRNVS GERONA SIBI IPSI VIVENS]d)

Übersetzung:

Du weißt, dass es niemandem gegeben ist, nach dem Tod zurückzukommen. Falls mir die Möglichkeit dazu gegeben würde, wäre ich ganz und gar verloren, wenn ich zurückkommen wollte. Nachdem ich alle Lebensstufen überstanden hatte, rief mich ein später Tod. Was war der Rest meines Lebens – außer einer einzigen Qual? Wenn ich den Musen in der rechten heiligen Weise gedient habe, genieße ich vielleicht jetzt, als Begrabener, unter den Lebenden ein besseres Leben3). – (Saturnus Gerona hat dies sich selbst als Lebender geschrieben).

Versmaß: Drei elegische Distichen.

Kommentar

Die Inschrift ist in einer feinstrichigen Kapitalis ausgeführt. Worttrenner fehlen.

Der aus Barcelona stammende, erstmals 1473 in Rom nachweisbare Saturnus Gerona4) war unter anderem als päpstlicher Schreiber und Abbreviator „litterarum apostolicarum minoris presidentiae“ tätig, zudem versuchte er sich offensichtlich auch als Schriftsteller und Dichter. Als „spagnolo Saturnus“ erhielt er am 18. Juni 1522 unter dem Pontifikat Hadrians VI. das römische Bürgerrecht5). In welchem Verhältnis Saturnus zu Hadrian und seinem engsten Vertrauten Kardinal Wilhelm Enckenvoirt stand, ist nicht ganz klar, jedenfalls muss er zu deren Klientel gehört haben, da er den Papst in seinem am 13. Mai 1523 abgefassten Testament, also noch zu dessen Lebzeiten, als „divum Hadrianum, principem optimum“ bezeichnet, und den Kardinal immerhin als „vir optimus et ornatissimus“6). Saturnus hinterließ der Anima insgesamt 40 Golddukaten und ordnete unter anderem an, dass zwei mit Inschriften versehene „tabellas marmoreas“ angefertigt werden sollten. Die eine war zur Anbringung am Eingang seines in der via dei Pontifici gelegenen Hauses vorgesehen7), die andere an einer Wand, einer Säule oder einem Pilaster ganz in der Nähe seines Grabes in der „ecclesia hospitalis beate Marie de Anima Theotonicorum“, wie er die Anima-Kirche korrekt bezeichnet. Offensichtlich führte Kardinal Enckenvoirt, den Saturnus als damaligen Anima-Provisor als Testamentsvollstrecker eingesetzt hatte, zumindest diese Anweisung aus, da sich seine Grabinschrift – wenn auch transloziert und vermutlich leicht beschädigt – bis heute in der Kirche erhalten hat. Deutet man die von Saturnus verfassten, ganz dem Gedankengut der Renaissance verpflichteten Schlusszeilen seines Epitaphs richtig, so sah er sich gegen Ende seines Lebens als ein verbitterter, vom Leben enttäuschter Mann, der als Dichter wohl nicht sehr erfolgreich war8). Es scheint nicht ausgeschlossen, dass das in der Inschrift anklingende Thema „(Nicht-)Rückkehr nach dem Tod/von den Toten“ auch eine subtile Anspielung auf den Vornamen Saturnus (Gott der Unterwelt) impliziert.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! für DARET(VR), so auch in seinem Testament.
  2. Nachklassische, aber zeitgenössisch übliche Schreibweise für MIHI, so auch in seinem Testament.
  3. Sic! für SEPVLTVS, so auch in seinem Testament.
  4. Erg. nach dem Wortlaut der Inschrift in seinem von Adinolfi 119-126 edierten Testament. Allerdings lässt sich nicht mehr sicher entscheiden, ob die letzte Zeile tatsächlich ausgeführt war, oder ob es sich um einen erklärenden Testamentszusatz gehandelt hat.

Anmerkungen

  1. Vgl. Nr. 69.
  2. Wie groß der Schaden war, ist unklar, zumindest fehlt die letzte Zeile der im Testament des Verstorbenen überlieferten Inschrift; vgl. dazu Adinolfi 123.
  3. Für die Übersetzung dieses ungewöhnlichen Textes danke ich herzlich Prof. Dr. Fidel Rädle, Göttingen, Schreiben vom 3. Oktober 2010.
  4. Die aus Barcelona stammende Familie der Gerona kam vermutlich – wie viele ihrer Landsleute – bereits unter dem Pontifikat des spanischen Papstes Calixt III. (1455-1458) nach Rom und bekleidete an der Kurie verschiedene Ämter; vgl. dazu und zum Folgenden Gnoli, Messer Saturno 237ff.
  5. Vgl. Rehberg, Liber Decretorum Nr. 151 S. 221.
  6. Vgl. Adinolfi 119.
  7. Mit der Inschrift SATVRNVS GERONA BARCHIONENSIS PRESCRIPTIONE QVINQVAGINTA ANNORVM ET SENATVS CONSVLTO CIVIS ROMANVS AD ORNATVM VRBIS ET HOSPITALIS SANCTI SALVATORIS LATERANENSIS VTILITATEM A FVNDAMENTIS EREXIT LOCVMQVE EX AGRESTI CELEBREM FECIT; zit. nach Adinolfi 122f. – Zu einer frühen (allerdings verderbten) Überlieferung dieser Inschrift aus dem Ende des 16. Jh. vgl. Lanciani, Il codice barberiniano 473.
  8. Anscheinend werden seine noch unveröffentlichten Werke in einer Bibliothek zu Perugia verwahrt, so Croce, La Spagna 76f. (freundlicher Hinweis von Klara Julia Stadler vom 8. Oktober 2010). Laut Auskunft der Handschriften-Abteilung der Bibliothek liegen dort allerdings keine Manuskripte vor, sondern lediglich ein Brief des Andrea Jacobazzi an Saturnus Gerona (Perugia, Biblioteca Communale Augusta, Ms. I. 123; freundlicher Hinweis von Benjamin Kram vom 12. Juli 2011).

Nachweise

  1. Chacon, Romanas Epitafios fol. 224.
  2. Schrader, Mon. Italiae fol. 145v.
  3. Forster, Inschriften fol. 10v.
  4. Forcella 3 Nr. 1075.
  5. Adinolfi, La torre 123.
  6. Gnoli, Saturno 233 (mit italienischer Übersetzung).
  7. Lohninger, Anima 111.
  8. Richter, Grabdenkmal 111 mit Abb. S. 110.
  9. Nikitsch, Papst Hadrian VI. 22 mit Abb. 4.
  10. Nikitsch, Netzwerke 290 mit Abb. 4.

Zitierhinweis:
DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Rom, Nr. 74 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001k0007407.