Inschriften: Santa Maria dell’Anima

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012)

Nr. 69 Santa Maria dell’Anima 1518

Beschreibung

Gemeinsames Epitaph für den Anima-Provisor Dr. Bernhard Sculteti und den Propst Johannes Knibe, vermutlich aus der Werkstatt des Bartolomeo Lante1). Ursprünglich in der Apsis der Anna-Kapelle2), wurde es 1550 erstmals versetzt und (vom Chor aus gesehen) innen links neben dem nördlichen Seitenportal in die Wand eingelassen3), von dort 1559 wieder in die Kapelle zurückgebracht, um hundert Jahre später erneut an dem heutigen Platz neben dem Seitenportal platziert zu werden (Plan Nr. 6). Zweiachsige, leicht konkav gewölbte Ädikula aus hellem, bzw. gelblichem Marmor. Im Sockel von einem Engelskopf gestützte querrechteckige Tafel mit zehnzeiliger Inschrift, die mit einem Distichon endet. Darüber drei mit Fruchtgebinden und Grotesken verzierte Pilaster auf hohen Sockeln, wobei der mittlere mit einer Sphinx und die äußeren mit je einem Wappen der Verstorbenen versehen sind. Zwischen den Pilastern über zwei großformatigen Blumenreliefs zwei muschelgefüllte Nischen mit den lebensgroßen Porträtbüsten der Verstorbenen. Im Dreiecks-Giebel Totenkopf über gekreuzten Knochen. Gut erhalten.

Maße: H. ca. 215, B. 103, Bu. 2,5-3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Santa Maria dell’Anima, Rom (Dr. Ingo Seufert) [1/5]

  1. BERNARDO • SCVLTETI • S(ANCTE) • M(ARIE) • STETTINEN(SIS) CAMINEN(SIS) • ET • IOHANNI • / KNIBE • S(ANCTE) • CRVCIS • ET • S(ANCTI) • STEPHANI • IN • HVNFELD • HERBIPOLEN(SIS) • / DIOC(ESIS)a) • ECCLESIAR(VM) • PREPOSITIS • VIRIS • PROBITATE • ET RELIGIONE • PRES/TANTISS(IMIS) • QVIA • ILLE • VIVENS • HIC • MORIENS • CVNCTA • SVA • HOSPITA/LI • DONAVIT • ILLIVS • DONVM • PLENVM • HVIVS • SEMIPLENV(M) • HA/BVIT • EFFECTV(M) • SOCIETAS • HOSPITALIS • BENEFICIOR(VM) • MEMOR • PIE • / POSVIT • ET • HIS • ANNIVERSARIA • ET • PERPETVAM • MISSAM • / INSTITVIT • ILLE • XXX • IVLII • HIC • VII • MARCII • M • DXVIII • DECESSIT • DISCITE • AB • EXEMPLO • PRESENTI • DISCITE • FRATRESVT • BENE • PRO • VOTIS • IRISTEb) • LOCENTVR • OPESc)

Übersetzung:

Für Bernhard Sculteti, Propst der Marienkirche in Stettin (in der Diözese) Cammin, und für Johann Knibe, Propst der Kirche Heilig-Kreuz und St. Stephan in Hünfeld in der Diözese Würzburg, die durch Rechtschaffenheit und Pflichterfüllung höchst ausgezeichneten Männer, die, jener lebend, dieser sterbend, ihre gesamte Habe dem Hospital vermacht haben; das Geschenk von jenem hatte die volle, das von diesem die halbe Wirkung. Dieser Wohltaten wegen und zum frommen Gedächtnis hat die Gemeinschaft des Hospitals dieses (Denkmal gesetzt) und für beide ein Jahrgedächtnis und eine ewige Messe eingerichtet. Jener starb am 30. Juli und dieser am 7. März des Jahres 1518. – Lernt durch dieses gegenwärtige Beispiel, lernt o Brüder, wie gut Güter durch ein Gelübde nach rechtem Brauch angelegt werden.

Versmaß: Ein Distichon.

Wappen:
Bernhard Sculteti4); Johannes Knibe5).

Kommentar

Die Inschrift ist in einer feinstrichigen Kapitalis mit breiten Proportionen und dezenter Linksschrägenverstärkung ausgeführt. Schaft-, Balken- und Bogenenden sind keilförmig verbreitert. Auffällig ist E mit deutlich kurzem Mittelbalken sowie R mit raumgreifender, leicht nach innen gebogener, weit außen am Bogen ansetzender Cauda. Als Worttrenner dienen kleine Dreiecke, deren untere Spitze leicht nach links verlängert ist.

Der vermutlich um 1450 geborene Johann Knibe6) war Propst der Stiftskirche St. Stephan im osthessischen Hünfeld (Lkrs. Fulda) und dürfte zudem seit den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts einige Pfründen in Stadt und Erzbistum Mainz innegehabt haben. Seit 1499 bis zu seinem Amtsverzicht 1516 war er als Notar an der Rota tätig. Wie viele andere seiner Kollegen, steuerte auch er im November 1509 eine beträchtliche Summe (50 Dukaten) zum Neubau der Anima-Kirche bei7). Wie die Inschrift mitteilt, verfasste Knibe noch am Tage vor seinem Tode ein ausführliches Testament8), das in seinem Haus im Borgo San Pietro ausgefertigt wurde. Hierin bestimmte er zunächst, dass über sein Grab in der Anima ein marmorner Stein gesetzt werden solle, versehen mit seinem Bildnis, seinem Wappen, seinen Vor- und Nachnamen sowie seinen Würden. Abgesehen von 50 Kammergulden für den Bau der Peterskirche und kleineren Legaten an römische geistliche Einrichtungen, an seine Familiaren sowie an Bruder und Schwester, vermachte er – obwohl er offenbar nicht der Anima-Bruderschaft angehörte – sein Haus im Borgo samt einem Weinberg am Monte Mario dem Hospital, das er zudem als Universalerben einsetzte.

Wenige Monate nach ihm verstarb nach 35jähriger Mitgliedschaft in der Anima-Bruderschaft einer seiner Testamentsvollstrecker, der ungleich bedeutendere Bernhard Sculteti (Schulz, Schulte, Schultheiß)9). Geboren um 1455 in Lauenburg in Pommern (heute Lebork, Polen), trat er 1478 in die römische Heilig-Geist-Bruderschaft ein und lässt sich seit 1482 als Kurialer dauerhaft in Rom nachweisen. Sculteti ist am 28. März in Florenz inhaftiert, gemeinsam mit einem angeblichen Lübecker Pilger/Handelsherrn. 1478 wird er von Papst Sixtus IV. in einer Bulle in dieser Angelegenheit namentlich genannt10). Ab 1490 wird er als Doktor des Kirchenrechts bezeichnet, fungierte von 1493 bis 1514 als Notar an der Rota, war 1514/15 apostolischer Skriptor des 5. Laterankonzils und hatte als Hauskaplan und Kämmerer Papst Leos X. weitere Ehrenämter inne. Zudem diente er 20 Jahre lang als Prokurator Herzog Georgs von Sachsen an der Kurie, in dessen Auftrag er als Koordinator erfolgreich die Heiligsprechung Bennos von Meißen11) betrieb. Reich bepfründet stand Sculteti in den Jahren 1503 bis 1507 und 1516 bis 1518 der Anima-Bruderschaft als Provisor vor, setzte sie ebenfalls als Universalerben12) ein und hinterließ ihr nach seinem Tod am 30. Juli 1518 ein Vermögen von mehr als 2000 Dukaten13). Er starb während eines schweren Gewitters zur Abendstunde14). Zu seiner letzten Ruhestätte bestimmte Sculteti die Anima-Kirche, wo er in dem von ihm zu Lebzeiten eingerichteten Grab beigesetzt werden wollte. Auch wenn die Bruderschaft – laut Inschrift – nur in den Genuss der Hälfte der Knibe'schen Erbschaft kam15), dürften die Zuwendungen beider Erblasser so reichlich gewesen sein, dass sie den beiden kurz nach einander Verstorbenen zwar nicht die testamentarisch verfügten Einzelgräber, dafür aber dieses ungewöhnliche Doppel-Grabdenkmal errichten ließ. Ob die signifikante Schlussbemerkung, mit der der Leser unverblümt dazu aufgefordert wird, mit großzügigen Stiftungen dem Beispiel der Verstorbenen zu folgen, auch in deren Sinne war, bleibt offen.

Textkritischer Apparat

  1. C klein hochgestellt.
  2. Sic! vermutlich für RITE, freundlicher Hinweis meines Mainzer Kollegen Dr. Rüdiger Fuchs, Schreiben vom 21. September 2012. – Befund IRISTE mit nachträglich eingefügtem zweitem I und einem vergrößertem, mit überlangem Deckbalken versehenem T. – IRNE (mit überschriebenem durchgehendem Kürzungsstrich) Chacon; SAEPE Schrader; NN. Inschriften.
  3. Bei Forcella folgen sozusagen als Schluss der Inschrift drei Distichen, die jedoch nicht zu dem vorliegenden Epitaph (so noch Schmidlin, Anima 346 und Richter), vielmehr zum fragmentarischen Epitaph des in der Anima bestatteten Saturno Gerona gehören; vgl. unten Anm. 3.

Anmerkungen

  1. So aufgrund einer Rechnung von 1526 Weil-Garris Posner, Notes 127 Anm. 36. – Lohninger 110 und Hudal, Anima 54 nahmen noch Lorenzetti, den Vertrauten Raffaels, als Bildhauer an.
  2. Vgl. dazu und zum Folgenden Lohninger 110. – Dadurch erklärt sich auch die leicht gewölbte Ausführung des Epitaphs.
  3. Bei der Gelegenheit wurde das bereits an dieser Stelle hängende Epitaph des nach 1523 verstorbenen spanischen Humanisten Saturno Gerona tiefer gesetzt und dabei verstümmelt, vgl. dazu Lohninger 110 und ausführlich Nr. 74.
  4. Zwei Sparren.
  5. Balken mit Stern, begleitet von oben 3:2, unten 3:2:1 gestellten Steinen.
  6. Vgl. zum Folgenden Noack, Deutschtum 2, 321, Richter 112 sowie ausführlich Schuchard, Rotanotare 816-18 und 822-24 mit der Transkription seines am 6. März 1518 abgefassten Testamentes (ASMA, Instr. litt. B, tom. 2 fol. 66r-67r).
  7. Vgl. Schmidlin, Anima 214f. und Nagl, Urkundliches 72.
  8. Vgl. zum Folgenden die erhaltene Abschrift des Testamentes vom 6. März 1518 (ASMA, Instr. litt. B, tom. 2 fol. 66v-67r); vgl. auch dessen Transkription bei Schuchard, Rotanotare 822-824.
  9. Vgl. zum Folgenden Schuchard, Rotanotare 817ff. , Volkmar, Mittelsmänner 255f. und künftig Meesenburg, Verwandtschaft.
  10. Vgl. dazu Daniels, La congiura 26f.
  11. Vgl. dazu Volkmar, Heiligenerhebung pass. – So gesehen erscheint der heutige Standort des Epitaphs direkt neben der Benno-Kapelle nicht unpassend.
  12. Vgl. zum Folgenden die erhaltene Abschrift des Testamentes vom 29. Juli 1518 (ASMA, Instr. litt. B, tom. 1 fol. 368v-370r); vgl. auch dessen Transkription bei Schuchard, Rotanotare 824-828.
  13. Es stammte nicht zuletzt aus seinen zahlreichen Pfründen in Nord- und Ostdeutschland; so fungierte er als Propst zu St. Marien in Stettin und zu Wahlbeck, Dekan zu Ermland, Domherr zu Naumburg, Domherr und Domthesaurar zu Lübeck, Offizial zu Roskilde, Pfarrer zu Danzig und Vikar zu Magdeburg; vgl. dazu Volkmar, Mittelsmänner 306.
  14. „... maximo surgente trono circa horam vesperorum expiravit“ vermerkte der Lübecker Kuriale Thomas Giese in seinem Notizbuch; zit. nach Schuchard/Schulz, Thomas Giese S. 123.
  15. Nach Lohninger 110 bestand der Grund darin, dass noch zahlreiche anderweitig testamentarisch verfügte Legate zu bedienen waren.

Nachweise

  1. Chacon, Inscriptiones fol. 182v.
  2. Schrader, Mon. Italiae 145v.
  3. Forster, Inschriften fol. 10v.
  4. Letarouilly, Édifices de Rome 3, Taf.278 und 279 (Umzeichnung).
  5. Forcella 3 Nr. 1075.
  6. NN., Inschriften fol. 294.
  7. Richter, Grabdenkmal 111 mit Abb. S. 110.
  8. Weil-Garris Posener, Notes mit Abb. 29.

Zitierhinweis:
DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Rom, Nr. 69 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001k0006901.