Inschriften: Santa Maria dell’Anima

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012)

Nr. 98 Santa Maria dell’Anima (1534) 1538/40

Beschreibung

Epitaph des Kardinals Wilhelm (Willem van) Enckenvoirt (Wilhelmus Enckenvoirtius), aus der Werkstatt des Giovanni Mangone (Plan Nr. 62). Ursprünglich als Gegenstück zum Grabdenkmal Papst Hadrians VI.1) in der Südwand des Chors2) angebracht, wurde es im Jahr 1579 zunächst nach rechts Richtung Apsis versetzt, dann Mitte des 18. Jahrhunderts endgültig transloziert3) und an seinem heutigen Standort innen links neben dem Hauptportal in die Wand eingelassen. Monumentale, leicht konkav gewölbte Ädikula aus hellem Marmor. Im Sockel querrechteckige Tafel mit 13zeiliger, schwarz gefasster Inschrift, darüber zwischen zwei Säulen ein von zwei Adlern gestützter Wannensarkophag mit dem Wappen des Verstorbenen in der Mitte. Auf dem Sarkophagdeckel liegt der wie schlafend bzw. träumend dargestellte Kardinal in prachtvoller Pontifikalkleidung, den Kopf mit der Mitra in die rechte Hand gestützt, über ihm ein nachträglich eingesetztes Relief4) mit dem segnenden Gottvater. Über dem Architrav ein gesprengter Giebel, darin ein ovaler Schild mit einem weiteren Kardinalswappen.

Maße: H. ca. 450, B. 275, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Santa Maria dell’Anima, Rom (Dr. Ingo Seufert) [1/3]

  1. WILHELMO ENCKENVOIRTIO BRABANTINO S(ANCTAE) R(OMANAE) E(CCLESIAE) PRESB(ITERO) CARD(INALI) QVI PLVRI/MIS RO(MANAE) REIP(VBLICAE) MAGISTRATIB(VS) ET GERMANIAE PROCVRATIONE INTEGERR(IME) FVNCTVS / AB HADRIANO VI. PONT(IFICE) MAX(IMO) CVIVS ITEM RES ADMINISTRAVERAT LIBELLIS DAN/DIS ET ECC(LESIAE) DERTVSEN(SI) PRAEFECTVS ET IN CARD(INALIVM)a) COLLEG(IVM) CLARO BENIVOLENTIAE / INDICIO TRA[NS]LATIS IN EVM PRISTINAE SVAE DIGNITAT(IS) INSIGNIB(VS) SOLVS COOPTATVS / DEINDE ETIAM A CLEMEN(TE) VII. ECC(LESIA) TRAIECTEN(SI) HONESTATVS EST CAROLO V. IMP(ERATORI) / LIBENTISS(IMO) QVEM AB ILLO CORONAM IMP(ERII) ACCIPIENTEM INVNXIT QVIQ(VE) BENEFITIORVM MEMOR HADRIANI CADAVER E PETRI BASILICA IN HANC AEDEM CVIVS CONSTRVE(N)D(AE) / ET ORNAND(AE) ADIVTOR FVIT SEPVLCRO POSITO TRANSFERRI CVRAVIT IN EGENOS ET IN OMNES HOMINES BENEFICENTISS(IMO) IO(ANNES) DOMINICVS TRANEN(SIS) ANTONIVS / SANSEVERINVS CARD(INALES)a) ET P(ETRVS) VORSTIVS EPISC(OPVS) AQVEN(SIS) AND(REAS) CASTILLO / SCRIPT(OR) AP(OSTOLICVS) EX TESTAMEN(TO) POS(VERUNT)b) / VIXIT ANN(OS) LXX • MORTEM OBIIT M • D • XXXIIIIc)

Übersetzung:

Für Kardinal Wilhelm Enckenvoirt aus Brabant, Kardinalpriester der heiligen römischen Kirche, der nach tadelloser Führung sehr vieler Ämter in der Stadt Rom und der Prokuratur Deutschlands von Papst Hadrian VI., dessen Datarie er ebenfalls verwaltet hatte, sowohl der Kirche zu Tortosa vorgesetzt, als auch als einziger in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde, indem er zum glänzenden Zeichen des Wohlwollens die Insignien seiner früheren Würde erhielt. Darauf ist er von Clemens VII. mit der Kirche zu Utrecht beehrt worden. Er war Kaiser Karl V. überaus teuer, den er salbte, als er von jenem die Kaiserkrone erhielt und der – eingedenk der Wohltaten Hadrians – dessen Leichnam aus der Petersbasilika in diese Kirche, die zu erbauen und auszuschmücken er geholfen hatte, überführen ließ, nachdem das Grabdenkmal errichtet worden war, und der höchst wohltätig gegen die Bedürftigen und gegen alle Menschen war. Ihm haben die Kardinäle Johannes Dominicus von Trani und Antonius Sanseverino, sowie Petrus Vorstius, Bischof von Acqui, und Andreas Castillo, apostolischer Schreiber, (dieses Grabdenkmal) gemäß des Testamentes errichten lassen. Er lebte 70 Jahre und starb im Jahr 1534.

Wappen:
Enckenvoirt5)Enckenvoirt.

Kommentar

Die feinstrichig mit dezenter Linksschrägenverstärkung ausgeführte Kapitalis erhält ihren raumgreifenden Duktus durch großzügig gesetzte Buchstaben- bzw. Wortabstände sowie durch die nahezu quadratischen Proportionen einzelner Buchstaben. Auffällig ist E und F mit leicht verlängertem unterem bzw. oberem Balken, rudimentäre obere Schaftverlängerung beim linken Schrägschaft des M und beim Schrägschaft des N, offenes P und R mit weit außen am Bogen angesetzter Cauda. Als Worttrenner dienen Dreiecke mit halbkreisförmig ausgezogener, bis zur Grundlinie verlängerter unterer Spitze.

Wilhelm6) wurde am 22. Januar 1464 zu Mierlo (heute Mierlo-Hout bei Helmond in Nord-Brabant, Niederlande) als Sohn des Niederadeligen Goyart von Enckenvoirt und seiner Frau Johanna Mijs geboren. Er studierte zunächst (ohne Abschluss) in Löwen beide Rechte, befreundete sich dort vielleicht mit seinem Mitstudenten Adrian Boeyens7), dem späteren Papst Hadrian VI., und ist spätestens ab 1489 als Prokurator in Rom nachzuweisen. Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit wurde er in die „familia“ Papst Alexanders VI. aufgenommen, fungierte ab 1500 an der Kurie als Rotanotar, Skriptor, Protonotar, Kubikular und wurde 1507 zum Kollektor für die Bistümer Cambrai, Utrecht und Lüttich ernannt. Erst im Jahr 1505 erwarb er sich nach längerem Studium an der römischen Sapienza das Lizentiat beider Rechte. Als Prokurator vertrat er erfolgreich die Interessen zahlreicher Fürsten, Kapitel und Städte, seit 1517 war er zudem der Vertraute Karls V. in Rom. Vor dessen Kaiserkrönung im Jahr 1530 krönte er ihn mit der lombardischen Krone, bei der Kaiserkrönung selbst assistierte er und zelebrierte die Messe. Durch seine Tätigkeit als Prokurator flossen ihm zahlreiche Pfründen zu, gegen Ende seines Lebens waren es etwa 20 größere und 80 kleinere Benefizien, die ihm jährlich um die 25000 Dukaten einbrachten. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Enckenvoirt unter Papst Hadrian VI., der ihn 1522 als seinen „amicus meus antiquus et praecipuus“8) zunächst zum Datar, dann am 11. März 1523 in seiner Nachfolge zum Bischof von Tortosa ernannte und ihn schließlich noch auf dem Sterbebett am 10. September 1523 zum Kardinalpriester mit der Titelkirche SS. Giovanni e Paolo erhob. Nach dem Tode Hadrians VI. sorgte Enckenvoirt aus eigenen Mitteln für die Errichtung des repräsentativen Grabdenkmals in der Anima. Wohl aus Dank für seine Vermittlungstätigkeit beim Abschluss des Vertrages von Dordrecht nominierte ihn Karl V. 1529 mit Zustimmung Papst Clemens' VII. zusätzlich als Bischof von Utrecht.

Im Jahr 1498 der Anima-Bruderschaft beigetreten, war Enckenvoirt von 1509 bis 1515 deren Provisor bzw. Regens, seit 1523 deren Kardinalprotektor und maßgeblich am Neubau der heutigen Kirche und deren Ausschmückung beteiligt; er finanzierte etwa die Ausstattung der Barbara-Kapelle9) und den Hochaltar. Er verstarb am 19. Juli 1534 in Rom und hinterließ der Anima zwei Häuser und die Hälfte seines Palastes. Am 29. August 1536 und am 26. Oktober 1538 schlossen die Testamentsvollstrecker Kardinal Johannes Dominicus und Bischof Petrus Vorstius10) Verträge mit dem „scarpellino ed architetto“ Johannes Mangonus über die Errichtung des Grabdenkmals11) ab; dafür und für den ebenfalls von ihm geschaffenen Hochaltar erhielt der Künstler im Jahr 1540 615 Scudi bzw. 100 Dukaten ausbezahlt12).

Textkritischer Apparat

  1. Befund CARDD.
  2. Befund POSS. - Die Zeile ist nicht ausgefüllt.
  3. Letzte Zeile zentriert.

Anmerkungen

  1. Vgl. Nr. 89.
  2. Lib. Mort. fol. 13v.
  3. Grund war das nach 1575 an dieser Stelle errichtete Jülich-Kleve-Bergsche Grabdenkmal, vgl. dazu Diedenhofen, Tod in Rom pass. und zum Vorgang Lohninger, Anima 138ff.
  4. Da das Grabdenkmal gegenüber dem Hadrians VI. an der Stelle im Chor errichtet werden sollte, an der sich bereits das Sakramentshäuschen befand, wurde es entfernt und ein neuer, mit zwei Engeln geschmückter Tabernakel aus Marmor angefertigt, der in das neue Grabdenkmal integriert und über der Figur des Kardinals in die Wand eingelassen wurde. Dort befand er sich bis 1546 und wurde in diesem Jahr gegen das heutige Relief ausgetauscht; vgl. dazu Lohninger, Anima 82f.
  5. Drei 2:1 gestellte Adler, darüber Bischofs- bzw. Kardinalshut mit beiderseits je 6 Quasten.
  6. Vgl. zum Folgenden Berbée, Enckenvoirt pass.
  7. So Munier, Nederlandse Curialen 202.
  8. So in einem Breve vom 18. Febr. 1522, zit. nach Pastor, Päpste 57 Anm. 1.
  9. Zur Grundausstattung gehört neben dem 1531 von Michiel Coxcie aus Mecheln geschaffenen Altarbild, das den knienden Kardinal mit der hl. Barbara zeigt, auch eine (heute noch erhaltene und in der Sakristei aufbewahrte) Armreliquie der Heiligen, die Enckenvoirt von Papst Hadrian erhalten hatte, vgl. dazu Lohninger, Anima 95ff. und Knopp/Hansmann 50f. mit Abb. 24.
  10. Enckenvoirt hatte in seinem am 19. Juli 1534 errichteten Testament nicht nur den genauen Standort in der Südwand des Chors festgelegt, sondern auch verfügt, dass es „mit zwei Säulen aus Buntmarmor“ auszuführen sei, „die in den Maßen und in den Proportionen mit jenen des oben erwähnten Grabmals übereinstimmen, das zum Gedenken an Papst Adrian errichtet wurde“ (ASMA, A II, 3 fol. 147r-v; zit. nach der Übersetzung von Götzmann, Ehrung 115 Anm. 16).
  11. Vgl. zu ihm Nr. 93 Anm. 5, wo Vorstius ebenfalls als Testamentsvollstrecker tätig war.
  12. Vgl. dazu Schmidlin 292 und Lohninger, Anima 82f.

Nachweise

  1. Chacon, Romanas Epitafios fol. 107v.
  2. Schrader, Mon. Italiae 146.
  3. Chacon, Vitae 3, 442.
  4. Sweertius, Selectae 29f.
  5. Gualdi (B) fol. 357r-v.
  6. Forster, Inschriften fol. 18.
  7. Gaillard, Épitaphes 67.
  8. Kerschbaumer, Geschichte 27.
  9. Forcella 3, 1091.
  10. Schmidlin, Anima mit Abb. 12.
  11. Höfler, Papst Adrian VI., 547 (B).
  12. Pasolini, Adriano mit Abb. Taf. 20.
  13. Knopp/Hansmann, Anima mit Abb. 29.
  14. Götzmann, Ehrung mit Abb. 2.
  15. Bredekamp, Grabmäler mit Abb. 7.
  16. Altringer, Hadrian VI. 54 (B).
  17. Götzmann, Sepulchra 291 (B) mit Abb. 1-5.
  18. Verweij, Anima 80 mit Abb. 9.
  19. Verweij, Grafschrift 299 (E).
  20. Nikitsch, Hadrian VI. 30 mit Abb. 7.
  21. Nikitsch, Netzwerke 299f. mit Abb. 8.

Zitierhinweis:
DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Rom, Nr. 98 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001k0009800.