Inschriften: Santa Maria dell’Anima

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012)

Nr. 93 Santa Maria dell’Anima 1534

Beschreibung

Grabplatte für Paulus van Middelburg, Bischof von Fossombrone, ehemals im Chor „iuxta pulpitum“1), heute vorne im Boden des Mittelschiffs (Plan Nr. 49). Von barocker Rahmung umgebene hochrechteckige Platte aus Marmor, im Feld oben die 16zeilige Grabinschrift (A), gefolgt von seinem in Ritzzeichnung ausgeführten Vollwappen, darunter auf einer eingeritzten Tafel die zweizeilige Sterbeinschrift (B). Gut erhalten, die rechte untere Ecke wird von zwei eingesetzten Steckdosen verunstaltet.

Maße: H. 230, B. 100, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Santa Maria dell’Anima, Rom (Dr. Ingo Seufert) [1/1]

  1. A

    DEO • AETER(NO) • SACR(VM) / PAVLO • ANTISTITI FOROSEMPRONIEN(SI) • A / MIDDELBVRGO • INSIGNI • INFERIORIS / GERMANIAE • OPPIDO • VIRO • LIBERALIVM • / ARTIVM • DISCIPLINIS • PIETATE • ANIMIQ(VE) / MODERATIONE • LONGE • OMNIBVS • ANTE / FERENDO • AB • IVLIO • ET • LEONE • PONTIFICIBVS / AD • PRAESIDENDVM • LATERANEN(SI) • CONCILIO / ELECTO • ET • EVOCATO • VIIAEa) • SVAE • CVRRICVLO / ANNORVM • LXXXVIII • IN • GLORIA • EXACTO / RESTITVTAQ(VE) • DEO • ROMAE • INTER • CERE/MONIAS • ECCLESIASTICAS • DIVINA • SVI / PARTE • PETRVS • VORSTIVS • EP(ISCOP)VS • AQVEN(SIS) • REFE/REN(DARIVS) • ET • SACRAE • ROTAE • LOCVM TENENS • ET / FEDERICVS • CLAVRIVS • VTR(IVSQVE) • CEN(SVRAE)b) • DOCT(OR) • ET / EQVES • EXECVTORES POS(VERVNT) //

  2. B

    OBIIT • XIX • K(A)L(ENDAS) • IANVARII • ANNO / • A • PARTV • VIRGINIS • M • D • XXXIIII

Übersetzung:

(A) Dem ewigen Gott geweiht. – Für Paulus, Bischof von Fossombrone, (stammend) aus Middelburg, einer ausgezeichneten Stadt in Niederdeutschland, ein Mann, der, an wissenschaftlichen Kenntnissen, an Frömmigkeit und seelischem Gleichmaß bei weitem allen vorzuziehen, von den Päpsten Julius und Leo zum Vorsitz im Laterankonzil erwählt und berufen wurde. Nach 88 Jahren wurde er aus dem ruhmreichen Lauf seines Lebens herausgerissen und sein göttlicher Teil an Gott zurückgegeben in Rom bei den gottesdienstlichen Handlungen. Petrus Vorstius, Bischof von Acqui, Referendar und stellvertretender (Auditor) der heiligen Rota sowie Friedrich Claver, Doktor beider Rechte und Ritter haben als Testamentsvollstrecker (dieses Denkmal) machen lassen. – (B) Er starb am 19. Tag vor den Kalenden des Januar (15. Dezember) im Jahr 1534 nach der Niederkunft der Jungfrau.

Wappen:
Paulus van Middelburg2).

Kommentar

Die Linksschrägenverstärkung und gelegentlich erhöhte Versalien aufweisende, schlanke Kapitalis ist schwarz gefasst und zeigt signifikante Eigenarten: B ohne Mittelteil, G mit lediglich bogenverstärkter Cauda sowie offenes P und offenes R. Als Worttrenner dienen kleine Dreiecke.

Laut Inschrift um 1445 in Middelburg in Seeland (Middelburg, Prov. Zeeland, Niederlande) geboren, erwarb Paulus nach seinem Studium in Löwen3) zunächst ein Kanonikat am Prämonstratenser-Liebfrauenstift seiner Heimatstadt und nahm dann um 1480 einen Ruf als Professor der Mathematik und Astronomie an der Universität zu Padua an. Seine zusätzliche Stellung als Arzt von Francesco Maria della Rovere, Herzog von Urbino und Verwandter Papst Sixtus' IV., förderte offensichtlich sein weiteres Fortkommen. So erhielt er 1488 das Domdekanat von St. Cristoforo in Castel Durante (heute Urbania, Prov. Pesaro und Urbino) und wurde schließlich 1494 zum Bischof von Fossombrone (Prov. Pesaro und Urbino) ernannt. Paul war zudem Hofastrologe des berühmten Condottiere und Herzogs von Urbino Federico da Montefeltro. Er verfasste mehrere gedruckte mathematische und astrologische Werke, darunter einige über die aktuelle Frage der Reform des Julianischen Kalenders4), worauf er von den Päpsten Julius II. und Leo X. zur Teilnahme am Fünften Laterankonzil eingeladen wurde. Sein Patenkind Julius C. Scaliger, italienischer Humanist und bedeutender Naturforscher, bezeichnete ihn gar als “Fürst der Mathematiker seines Jahrhunderts“. Obwohl er sich weder im Totenbuch noch im Bruderschaftsbuch der Anima nachweisen lässt, bestimmte er diese Kirche zu seiner Begräbnisstätte und wurde „unter den größten Ehren, sogar dem Geleite der päpstlichen Familie“5) dorthin getragen. Peter Vorstius (van der Vorst), Bischof von Acqui (Acqui Terme, Prov. Alessandria, Reg. Piemont und Ligurien)6) war wenig später ebenfalls als Testamentsvollstrecker des Kardinals Wilhelm van Enckenvoirt7) tätig.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! für VITAE.
  2. Sic! Auflösungsvorschlag nach freundlichem Hinweis von Dr. Michiel Verweij, Schreiben vom 24. April 2012; zu erwarten wäre hier eigentlich VTR(IVS)Q(VE) IVRIS.

Anmerkungen

  1. Lib. Mort. fol. 13v.
  2. Bischofshut über einem ovalen Schild, darin eine strahlende Mittagssonne, darunter zwei Sterne und ein Halbmond. Das offensichtlich selbstgewählte Wappen spielt auf seine berufliche Tätigkeit an.
  3. Paulus van Middelburg ist höchstwahrscheinlich zu identifizieren mit „Paulus Adriani de Middelburch“, der am 6. April 1467 in Löwen immatrikulierte; freundliche Auskunft von Michiel Verweij vom 24. April 2012 mit Hinweis auf Schillings, Matricules II S. 184 Nr. 16. – Vgl. zum Folgenden Günther, Middelburg 248.
  4. Etwa „Paulina, sive de recta paschae celebratione et de die passionis domini nostri Jesu Christi“, erschienen 1513 in Fossombrone sowie „De recta Paschae celebratione“, vgl. dazu .Verweij, Pasen 38f.
  5. So Schmidlin, Anima 349 mit Hinweis auf einen Eintrag im Zeremonienbuch des Franziskus Firman.
  6. Der Sohn des brabantischen Kanzlers, 1525 der Anima-Bruderschaft beigetreten, fungierte in der Folgezeit sowohl als Anima-Provisor als auch als Auditor, Referendar und päpstlicher Hauskaplan und wurde ab 1536 in bedeutenden Missionen als päpstlicher Nuntius für Deutschland eingesetzt; vgl. dazu Schmidlin, Anima 362f.
  7. Vgl. Nr. 98.

Nachweise

  1. Chacon, Romanas Epitafios fol. 185v.
  2. Sweertius, Selectae 35f.
  3. Gualdi B fol. 367v (mit Nachzeichnung des Wappens).
  4. Mon. Sepulcralia 17.
  5. Forster, Inschriften fol. 16av.
  6. Forcella 3 Nr. 1092.

Zitierhinweis:
DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Rom, Nr. 93 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001k0009300.