Die Inschriften der „deutschen Nationalkirche“ Santa Maria dell’Anima in Rom. Teil 1: Vom Mittelalter bis 1559.

2. Historisch-chronologischer Überblick11)

 | 
Zweite Hälfte 14. Jh. Das Ehepaar Johannes und Katharina Petri aus Dordrecht (in Holland) erwirbt in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Stadtteil Parione drei in schlechtem Zustand befindliche Häuser mit Gärten und Nebengebäuden, um darin zu Ehren und unter dem Titel „beatae Mariae Animarum“ ein Armen-Hospital für Menschen aus Deutschland („nationis Almanorum“) einzurichten. Diese Stiftung besteht aus einem im mittleren Haus gelegenen „oratorium“ und den zwei seitlichen Häusern zur getrennten Unterbringung von Männern und Frauen.
1398 In der von Papst Bonifaz IX. ausgestellten Ablassurkunde „Quanto frequentis“ wird die oben skizzierte Gründung des Hospitals erstmals beschrieben und durch die Gewährung eines Ablasses auf Spenden gefördert. Die Gründer des Hospitals werden als „… dilectus filius Johannes Petri de Dordrecht laicus, noster serviens armorum et … Catharina eius uxor“ bezeichnet.
nach 1400 Dietrich Niem aus Westfalen, päpstlicher Skriptor und Abbreviator, sowie langjähriger Rektor bzw. Provisor der Anima (Nrn. 3 und 9), schenkt dem Hospital zunächst zwei Häuser und sichert durch weitere großzügige, testamentarisch verfügte Stiftungen dessen Existenz. Die Konstituierung der das Hospital tragenden Anima-Bruderschaft, der „confraternitas hospitalis“ dürfte auf seine Initiative zurückgehen.
1406 Papst Innozenz VII. befreit durch ein auf Wunsch der Rektoren der Anima ausgestelltes Exemtionsprivileg das Hospital von aller pfarrlicher wie städtischer Jurisdiktion und stellt es unter den Schutz des Heiligen Stuhles. In weiteren Urkunden bestätigt der Papst die Gründung des „hospitalis pauperum beate Marie Alamannorum“ mit der Aufgabe, die Armen und Pilger deutscher Nation zu sammeln, sie zu stärken und ihre Gesundheit wieder herzustellen. Mit der Erlaubnis zur Errichtung eines eigenen Friedhofes und der Gewährung des Begräbnisrechtes löst er das Hospital zudem aus der Zuständigkeit der bis dahin zuständigen Pfarrei S. Nicolai in Agone.
ab 1421 Die in Rom ansässigen deutschsprachigen Handwerker und Kaufleute sowie die an der Kurie tätigen deutschsprachigen Kleriker fördern Kirche und Hospital durch reiche Schenkungen, Stiftungen und Erbschaften. Durch reichlich fließende Miet- und Pachteinnahmen sowie durch die Inkorporation des bereits 1380 gegründeten deutschen St. Andreas-Hospitals wird die Bruderschaft in die Lage versetzt, an der Stelle der alten Kapelle und der beiden Hospitalshäuser den Bau einer großen neuen Kirche im gotischen Stil zu planen.
1431-1449 Das eigentliche Hospital wird in ein benachbartes Gebäude verlegt und 1431 wird mit dem Neubau der Kirche begonnen. An die Stelle der alten Hospitalskirche tritt das Mittelschiff der neuen Kirche und an die der Häuser die beiden Seitenschiffe. Bereits im Mai 1431 erfolgt die Weihe des Hauptaltars im Chor durch Bischof Christian Koband von Ösel (Nr. 4), in den folgenden Jahren werden alle anderen Kapellen geweiht (Nrn. 6, 7, 9 und 17).
1444 Durch eine Bulle Papst Eugens IV. wird die Anima zur Seelsorge an den deutschen Pilgern und Armen, zum regelmäßigen Gottesdienst, zum Hören der Beichte und zur Spendung der Sakramente berechtigt.
1446 Am 13. Dezember wird die Gesamtweihe der gotischen Kirche, einer dreischiffigen, dreijochigen Basilika mit fünfseitig eingezogenem Chor, durch Rudolf, päpstlicher Pönitentiar und Bischof von Città di Castello, vollzogen.
1448-1514 Die Beliebtheit und die Bedeutung der Kirche zeigen sich nicht nur in der Wahl als Begräbnisstätte bedeutender Persönlichkeiten, sondern auch darin, dass hier zwischen 1448 und 1514 insgesamt 59 Bischöfe geweiht werden.
1463 Der aus der Diözese Verden stammende „copista“ Heinrich Marwede beginnt unter Verwendung älterer Aufzeichnungen mit der Anlage des „Liber Confraternitatis“, in dem die Mitglieder der Bruderschaft verzeichnet werden.
1482 Durch den von Papst Sixtus IV. veranlassten Bau von Santa Maria della Pace verliert die Anima ihren Friedhof und einige angrenzende Hospitals-Häuser.
1483/84 Auf Beschluss der Bruderschaft werden alle der Anima gehörenden Häuser mit dem doppelköpfigen Reichsadler versehen (Nr. 43).
1496 Der aus Straßburg stammende Johannes Burckard (Nrn. 49, 50), päpstlicher Zeremonienmeister, Bischof und langjähriger Provisor der Anima, organisiert die an der Anima tätigen Kleriker (Hospizkaplan, Sakristan, Kustos und sechs weitere Kapläne) in einem dem gemeinschaftlichen Leben verpflichteten Kaplanskollegium.
1499 Um nicht hinter den neu errichteten Bauten der anderen „nationes“ zurückzustehen, beschließen 22 Mitglieder der Bruderschaft unter dem Vorsitz des Provisors Johannes Burckard am 24. September den Abriss der etwa 50 Jahre alten gotischen Hospitalskirche und den Bau einer neuen, die ein „opus laudabile Alemannico more compositum“ werden soll11).
1500 Die Grundsteinlegung erfolgt durch Matthias Scheidt, Fürstbischof von Seckau und Gesandter Kaiser Maximilians I. Es entsteht eine dreischiffige, vierjochige Hallenkirche mit acht quergerichteten Kapellen, flach geschlossenen Seitenschiffen und einem zweijochigen Chor mit halbkreisförmigem Schluss. Die Verbindung mit dem Reich dokumentieren u. a. die Schlußsteine im Gewölbe mit sechs (von sieben) kurfürstlichen Wappen.
1503 Bernhard Sculteti (Nr. 69), apostolischer Skriptor und Hauskaplan Papst Leos X., übernimmt die Leitung der Anima und damit auch die Aufsicht über die Baustelle, ihm folgen der damalige apostolische Skriptor Wilhelm van Enckenvoirt (Nr. 98) und der Rota-Notar Johannes Sander (Nr. 100) nach.
1509 Um die weitere Finanzierung des Kirchenbaus zu sichern, werden die vermögenderen Mitglieder der deutschen Gemeinde Roms um unverzinsliche Darlehen gebeten.
1510 Am 25. November ist der Rohbau der Kirche soweit vollendet, dass Chor und Hochaltar sowie die beiden anschließenden Kapellen im Kirchenschiff durch Bischof Titus von Castro geweiht werden können.
1511/12 Martin Luther rühmt die Kirche anlässlich seines Rombesuches: „zu Rom im Spital ist die deutsche Kirche, die ist die beste, hat ein deutschen Pfarherr“.
1514 Die Meister Giuliano da Sangallo zugeschriebene Fassade der Kirche ist am 16. Juni soweit fertiggestellt, dass die Widmungsinschrift angebracht werden kann (Nr. 61). Papst Leo X. fördert die weiteren Bauarbeiten der Kirche durch eine Ablassverleihung. Ausführender Bildhauer ist Steinmetzmeister Bartolomeo Lante.
1515/16 Die Hospitalsgebäude werden abgerissen und neu erbaut (Nrn. 65 und 66).
1518 Kaiser Maximilian I. nimmt auf dem Reichstag zu Augsburg die Anima unter den besonderen Schutz des Heiligen Römischen Reiches und erklärt sie für reichsunmittelbar: „In Nostram et Sacri Romani Imperii protectionem tuitionem defensionemque et curam suscepimus et suscipimus“. Realer Schutzherr in Rom ist der jeweilige kaiserliche Gesandte beim Heiligen Stuhl.
1523 Der Kirchenneubau ist in seinen wesentlichen Teilen fertiggestellt. Die monumentalen, heute noch vorhandenen Wappen Papst Hadrians VI und Kaiser Maximilians I. werden im oberen Teil der Fassade befestigt.
1527 Im Sacco di Roma wird auch die Anima nicht verschont; drei der Anima-Häuser werden zerstört, in der Kirche gehen nahezu alle liturgischen Geräte und Paramente verloren; dagegen kann das Archiv durch den Rotanotar Dietrich von Einem (Nr. 88) gerettet werden.
1533 Der in Alt-St. Peter in einem Backstein-Sarkophag beigesetzte Leichnam Papst Hadrians VI. wird zehn Jahre nach seinem Tod in die Anima überführt und im Chor im Bereich seines bereits 1529 vollendeten Grabdenkmals (Nr. 89) bestattet.
1542 Am 25. November wird die Gesamtweihe der Kirche vollzogen.
1551 Die beschlussfähigen Versammlungen der Bruderschaft, in der bislang alle „confratres“ Sitz und Stimme hatten, werden zugunsten einer sich selbst ergänzenden „Congregation“ aufgegeben; ihr gehören nur noch 12 bzw. 13 entscheidungsberechtigte Mitglieder an.
1598/99 Zur Jahreswende verwüstet ein dreitägiges Tiber-Hochwasser das Innere der Kirche, dabei werden ein großer Teil der Ausstattung sowie zahlreiche Grabdenkmäler in Mitleidenschaft gezogen.
1599 Infolge der Loslösung Hollands vom Reich wird beschlossen, keine „Belgier“ mehr in die Anima aufzunehmen.
1635-1644 Bau der neuen Sakristei.
1677 Auf Beschluss der Provisoren werden die alten Glasfenster der Kirche herausgebrochen und durch neue hellere ersetzt.
1699 Kaiser Leopold I. bestätigt den 1518 ausgestellten Schutzbrief Kaiser Maximilians.
1713 Aufgrund der immensen Ausgaben für die Trauerfeierlichkeiten des 1712 verstorbenen Kaiser Joseph I. sieht sich die Anima gezwungen, die Almosenzahlungen an die Armen und den Betrieb des Hospitals auf unbestimmte Zeit einzustellen.
1742 Das kaiserlich-deutsche Protektorat geht auf Wunsch der Anima-Provisoren und mit Bestätigung Papst Benedikts XIV. auf das Haus Österreich über.
1747-1751 Während des Rektorats von Christoph Anton Graf von Migazzi wird unter der Leitung des Architekten Paolo Posi aus Siena die Barockisierung des Chores und Teile des Langhauses durchgeführt. Einige der bedeutenden Grabdenkmäler werden verändert bzw. versetzt, zudem gehen große Teile der renaissancezeitlichen Ausstattung verloren.
1774 Um die immense Nässe und die Bodenfeuchtigkeit in den Griff zu bekommen, wird eine Unterkellerung des gesamten Kirchenschiffs veranlasst und gleichzeitig eine Art Krypta angelegt; dies erfordert einen neuen Bodenbelag und führt zum Verlust nahezu aller dort liegenden spätmittelalterlichen Grabplatten.
1798 Proklamierung der Römischen Republik, Beschlagnahme und Plünderung der Kirche durch die französische Besatzung. Sämtliche liturgischen Geräte, Paramente und sonstige Ausstattungsgegenstände wurden meistbietend an römische Händler verkauft, ebenso die drei Glocken; mobile Skulpturen (wie Lorenzettos Pietà, Nr. 90) und die Tafelbilder (darunter die von Giulio Romano und Saraceni gemalten, Nr. 77) werden in die Villa Medici bzw. bis nach Paris verbracht. Das Kirchenschiff diente nun als Heumagazin, die Sakristei als Pferdestall.
1800 Nach dem Ende der Römischen Republik 1799 wird die Anima reorganisiert; einzelne Ausstattungsgegenstände können zurückerworben werden; auch die beschlagnahmten Kunstwerke kehren in die Anima zurück.
1801 Wiedereröffnung der Kirche im Rahmen einer feierlichen Ostermesse.
1806 Kaiser Franz II. verzichtet auf die römisch-deutsche Kaiserkrone; das Protektorat geht auf das neugegründete Kaisertum Österreich über.
1824 Das Hospital wird als Herberge für alle aus der Habsburgmonarchie stammenden Pilger wieder eröffnet, sie erhalten das Recht auf Beherbergung für einen bis drei Tage.
1827 Der unter den Franzosen verwüstete Chor wird wiederhergestellt.
1842-1844 Restaurierung des Langhauses.
1851 Die deutschsprachige Gemeinde Roms beklagt in einer Denkschrift nicht nur die „Italianisierung“ der Anima, sondern auch mit Nachdruck, dass die ursprünglich gesamtdeutsche Stiftung nunmehr zu einer rein österreichischen Institution geworden sei.
1859 Ein von Papst Pius IX. auf Bitten des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. erlassenes Breve „Praeclara instituta charitatis“ ordnet die Strukturen der Anima als ein „für arme deutsche Pilger“ bestimmtes Hospital neu und legt fest, dass sie für alle Nachfolgestaaten der bis 1806 dem Heiligen Römischen Reich zugehörigen Mitglieder zuständig sei. Die Stellung des Rektors wird gestärkt und gleichzeitig ein Priesterkolleg eingerichtet, in das alle studierwilligen Priester aus jenen Diözesen, die vor 1806 Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren, aufgenommen werden können.
1872-1887 Unter dem Rektorat von Karl Jänig (zuvor Rektor des Campo Santo) wird sowohl eine wirtschaftliche als auch geistliche Konsolidierung der Anima erreicht; begonnen wird zudem mit einer historischen Aufarbeitung. Der Innenhof des Priesterkollegs wird mit architektonischen, figuralen und sepulkralen Spolien unterschiedlichster Herkunft geschmückt und erhält sein heutiges pittoreskes Aussehen. Das Kaplanskollegium zählt nun 25 Mitglieder.
1874/75 Durchgreifende Restaurierung und Veränderungen in der gesamten Kirche durch Emilio Stranucci als Architekt und den Maler Ludwig Seitz.
1906 Anlässlich des 500jährigen Anima-Jubläums belebt Rektor Joseph Lohninger die Bruderschaft neu; prominentes Mitglied wird Papst Pius X. – Joseph Schmidlin, Vizerektor der Anima, publiziert das bis heute gültige Standardwerk „Geschichte der deutschen Nationalkirche in Rom S. Maria dell’Anima“.
1915 Nach dem Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Entente kann die drohende Beschlagnahmung der Anima nur dadurch verhindert werden, dass Kardinalprotektor Merry de Val die Kirche unter den Schutz der spanischen Vatikansbotschaft stellt.
1920 Wiedereröffnung des Priesterkollegs unter dem Protektorat der Republik Österreich.
1923-1952 Der aus Graz stammende Theologe Alois Hudal wird zunächst zum kommissarischen Leiter, 1937 zum Rektor der Anima bestellt. 1933 von Eugenius Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., zum Bischof geweiht, entfaltete er reiche, breitgefächerte Aktivitäten. Seine Nähe zum Nationalsozialismus führt 1952 zu seinem vom Heiligen Stuhl gewünschten Rücktritt.
1925 Die Anima betreut im Heiligen Jahr über 80 Pilgerzüge.
1937 Einweihung der Kriegergedächtniskapelle mit den sterblichen Überresten von 456 Gefallenen der österreich-ungarischen Armee des Ersten Weltkrieges, entworfen von Hofrat Karl Holey, Dombaumeister und Rektor der Technischen Hochschule Wien.
1961 Auf gemeinsame Initiative des deutschen Kardinals Frings und des österreichischen Kardinals Innitzer wird durch ein Breve Papst Johannes XXIII. festgelegt, dass nun die österreichischen Bischöfe im Einvernehmen mit den deutschen Bischöfen den Rektor, bestimmen, der Erzbischof von Köln hingegen den Kuraten, beide werden dem Kardinal-Präfekten der Studienkongregation zur Ernennung vorgeschlagen. Der Vizerektor soll ein Deutscher sein, wenn der Rektor Österreicher ist, und umgekehrt.
1962-1965 Während des Zweiten Vatikanischen Konzils dient die Anima den deutschen Bischöfen und ihren Mitarbeitern als Zentrum und der Deutschen Bischofskonferenz als Tagungsort.

Zitationshinweis:

DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Einleitung, 2. Historisch-chronologischer Überblick (Eberhard J. Nikitsch), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001e008.

  1. Offensichtlich waren die Verantwortlichen der Meinung, „daß das Hospiz unserer Nation zu alt sei, und die übrigen Nationen, welche nach uns den Pilgern ihrer Nationen Hospitäler erbauten, bei diesen Hospitälern schmucke Kirchen errichtet und sie mit modernen und höchst stattlichen Anlagen geziert haben“ und gaben somit als Motiv für den Neubau an „damit wir nicht den anderen Nationen ungleich und hinter ihnen zurückzustehen scheinen“, wollen wir „ein rühmliches Werk von deutscher Art herstellen lassen“ (vgl. ASMA Lib. Rec. 1 fol. 298, zit. nach Schmidlin, Anima 207). »