Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 8† Eberbach, Kreuzgang um/kurz nach 1200

Beschreibung

Metalltafel mit der Memorialinschrift für die drei ersten Eberbacher Äbte. Bis zur Klosteraufhebung über dem sogenannten „Nischengrab“ im Kreuzgangostflügel nahe des Kircheneingangs angebracht. Die vergoldeten Buchstaben waren eingeschnitten und ausgemalt bzw. verfüllt.1) Am Standort finden sich noch die Dübellöcher und kleine Reste der ehemaligen Befestigung über dem Bogen des Nischengrabes.

Nach Helwich.

  1. Abbatum lapis iste trium tenet ossa priorumIstius ecclesiae quae flagrat amore Mariae.Ruthardus primus erata) Arnoldusqueb) secundus,Tertius Gerhardus in quo dolusc) non fuit ullusIstorum vita virtute fuit redimitad).

Übersetzung:

Dieser Stein enthält die Gebeine der drei ersten Äbte dieser Kirche, die von Liebe zu Maria brennt; Ruthard war der erste, Arnold der zweite, der dritte Gerhard, in dem kein Arg war. Ihr Leben war mit Tugenden geschmückt.

Versmaß: Fünf leoninische Hexameter (1, 3, 4 einsilbig rein, 2, 5 zweisilbig rein).

Kommentar

Das Nischengrab besaß im Zisterzienserorden eine besondere Bedeutung und war ausgezeichneten Persönlichkeiten vorbehalten, deren Andenken besonders wertvoll für den Konvent war.2) Alle diesbezüglichen Eberbacher Quellen sprechen von dem Nischengrab als dem Bestattungsort für die Gebeine der ersten Äbte. So soll der am 14. August 1175 gestorbene Abt Ruthard nach Joannis bereits in dem Sarkophag bestattet worden sein,3) während Pater Bär überzeugender von einer Verlegung der Gebeine der drei frühen Äbte „von ihren ursprünglichen Grabstätten“ in das Nischengrab schreibt.4) Der von Arens vorgeschlagene Ansatz zur Datierung des Sarkophages geht anhand bauhistorischer und stilkritischer Vergleiche von dessen nachträglicher Einfügung in die zwischen 1170 und 1186 entstandene Querhauswestwand – in der Zeit um/kurz nach 1200 – aus. Der Baubefund weist mit drei Nuten in der Innenseite der Sarkophagvorderwand auf das Vorhandensein von Trennbrettern hin, mit denen man die Nische für die Bestattung der Gebeine einteilte.5)

Der eigentliche Bestattungsort für amtierende Äbte im Kapitelsaal war 1180 durch den Beschluß des Generalkapitels festgeschrieben worden.6) Da die Forschung von einer Fertigstellung der übrigen Klosterbauten nach der Kirchweihe von 1186 ausgeht, dürfte diese Vorschrift in Kraft gewesen und der Kapitelsaal als erster Bestattungsort zumindest zweier früher Äbte gesichert sein.

Im Zusammenhang mit der versifizierten Inschrift und der Frage, ob die Anfangszeile die drei ersten amtierenden Prälaten meint, kommt der Rekonstruktion der Eberbacher Abtsserie besondere Bedeutung zu. Pater Bär untersuchte und korrigierte sie, indem er Äbte aus Urkunden einfügte, die, wie er glaubte, in der späteren Klostertradition vergessen worden waren, wobei dieser Urkundenbefund durch einige Fälschungen7) belastet wird. Aus unverdächtigen Belegen ergibt sich unstreitig als erster Abt der aus Clairvaux entsandte Ruthard (1134-1152). Die inschriftlich dem Namen beigefügte Ordinalzahl primus erat bezieht sich demzufolge zweifelsfrei auf den ersten amtierenden Eberbacher Abt. Pater Bär setzte nun Abt Eberhard (vor 1158-1165) an die zweite Stelle. Dieser Abt war nach 1165, als Eberbach im alexandrinischen Schisma durch die Flucht Erzbischof Konrads und dessen Absetzung durch den Kaiser in eine gefährliche Krise geraten war, aus dem Kloster geflohen und verstarb in der Fremde, wurde dementsprechend als schismatischer Abt in den Abtslisten ausgespart und daher auch in der Grabschrift nicht erwähnt. Statt seiner führen die älteren Kataloge und klostereigenen Zählungen konsequent Abt Arnold an zweiter Stelle, da er in Eberbach als amtierender Abt verstarb.8)

Ab 1171/73 finden sich frühe Nachweise des dritten genannten Abtes Gerhard, der, 1169 und 1171 noch als Prior in Clairvaux um die Beilegung des Schismas bemüht, von Bernhard von Clairvaux einst mit den Worten „Ecce vere Israelita, in quo dolus non est!“ begrüßt worden sein soll,9) worauf die Grabinschrift anspielt. Meyer zu Ermgassen postulierte eine zweite Amtszeit Gerhards.10) Dieser wird 1173-78 als Eberbacher Abt genannt und ist nach seinem Priorat in Clairvaux 1192-1196 wiederum in dieser Funktion belegt, während 1178-1191 Arnold urkundlich als Eberbacher Vorsteher auftritt.11) Man ließ in der Grabschrift Gerhards erste Amtsperiode unerwähnt, während der wohl 1191 verstorbene Arnold selbstverständlich als zweiter in der Reihe der in Eberbach bestatteten Amtsträger genannt werden mußte. Die zweite Amtsperiode Gerhards endete mit dessen Tod, so daß sein Andenken dann als Gerhardus tertius inschriftlich fixiert werden konnte. Zugleich bot sein Tod zusammen mit den baulichen Vorgängen in Eberbach einen Anlaß zur Erhebung der Gebeine der beiden Vorgänger und der Beisetzung in einem gemeinsamen Sarkophag.

Textkritischer Apparat

  1. Bär fuit.
  2. Nach Joannis; Helwich Arnoldus.
  3. Joannis dolus in quo.
  4. Das letzte Wort fehlt bei Bär, als ob er es nicht mehr hätte lesen können, so Arens, Nischengrab 111 Anm. 11.

Anmerkungen

  1. Arens, Nischengrab 110 mit Hinweis auf die Mainzer Chronik Helwichs in Schloß Pommersfelden, worin dieser mitteilte „fünf Verslein auf einer messingnen tafel oder Plech eingegraben ahnstatt der Grabschriefft“.
  2. Vgl. Wolfgang Bickel, Die Bedeutung des mittelalterlichen Nischengrabes und seine Stellung im Zisterzienserkloster. In: MzZschr. 62 (1967) 117-119.
  3. Nach Joannis, Rer. Mog. II 112.
  4. Bär, Eberbach I 128.
  5. So überzeugend Arens, Nischengrab 113 mit Anm. 18.
  6. Meyer zu Ermgassen, Untersuchungen 49.
  7. Dies vermutete M. Preiss, Die politische Tätigkeit und Stellung der Cistercienser im Schisma von 1159-1177. In: Hist. Studien 248 (1934) 223f. mit Anm. 16 u. 17, der von der Echtheit der nur von Bodmann 3, 886 überlieferten Quelle ausging.
  8. Bär wiederum hatte ihn an die vierte Stelle gesetzt, da er die Abbatiate Arnolds und Gerhards vertauscht und sowohl die Erhebung und Translation der Gebeine als auch die Inschriftabfassung im 14. Jh. postuliert hatte. Hanno Hahns Erklärungsversuch (Hahn, Kirchenbaukunst 288) ging von einer späteren Inschriftentstehung aus, wobei die Äbte Arnold und Gerhard infolge eines Irrtums vertauscht wurden. Hahns Überlegungen konzentrierten sich dabei auf die (hypothetische) Existenz zweier gleichnamiger, später amtierender Äbte. Hierin folgte er Stoff, der die Inschrifttafel als Erneuerung des 14. Jh. mit einem Übertragungsfehler des Abschreibers bei den Namen des zweiten und dritten Abtes postuliert hatte, vgl. Bär/Stoff III 146-149.
  9. Meyer zu Ermgassen, 68 nach Exordium magnum; auch Series abbatum fol. 82.
  10. Meyer zu Ermgassen, 67-70.
  11. MUB 2,2 Nr. 416; auch Meyer zu Ermgassen 69, der als terminus ante quem für Gerhards Rückkehr von Clairvaux 1192 nennt.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 175.
  2. Gall. Christ. V 655.
  3. Catalogus fol. 11v.
  4. Joannis, Rer. Mog. II 112.
  5. Bär, Nachlaß Fasz. 5, fol. 2v.
  6. Bär, Eberbach I 129.
  7. Bär/Stoff, Eberbach III 146, Anm. 30.
  8. Stoff, Eberhard 269 Anm. 2.
  9. Roth, Geschichtsquellen III 266; IV 105.
  10. Kraus, Christl. Inschriften II Nr. 274.
  11. Hahn, Kirchenbaukunst 288.
  12. Arens, Nischengrab 110.
  13. Meyer zu Ermgassen, Untersuchungen 50.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 8† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0000805.