Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 367(†) Bleidenstadt, Kath. Pfarrkirche St. Ferrutius (aus ehem. Stiftskirche) 1506 oder 1516?

Beschreibung

Mahn- und Fürbittinschriften sowie Reliquientranslation (A-C) auf der verlorenen Sarkophaganlage für die Gebeine des hl. Ferrutius, die in der Mitte des Kirchenschiffs vor dem Hochaltar stand.1) Die erste Inschrift (A) ist in ihrer Lage am Schrein nicht bezeichnet, während sich die übrigen Inschriften an der Ost- (B) und an der Westseite (C) befanden. Vom gesamten Steinsarkophag und den Inschriften hat sich nur das Fragmentstück mit Jahreszahl (B) und Wappen erhalten. Diese Spolie befand sich früher an der südlichen Außenwand des Kirchenschiffes und ist heute innen in der Turmhalle an der südlichen Ostwand befestigt. Das schwer beschädigte Werkstück aus gelbem Sandstein zeigt einen mittig stehenden Kandelaber, auf dessen Postament ein Wappen eingearbeitet ist. Links davon weist ein weinender, geflügelter Putto, rechts ein lächelnder auf das Wappen; im rechten oberen Eck ein spätgotischer Dreipaß. Die Jahreszahl steht auf dem Pilasterfuß.

Nach Helwich.

Maße: Fragm.H. ca. 72, B. ca. 110, Bu. 4,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis für römische Zahlen.

Forschungsstelle Die Deutschen Inschriften bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [1/1]

  1. A

    Hospes hic reliquum divi Ferrutii adora qui fidei amore incensus Burgundiam nondum Christiani nominis splendidam reliquit Moguntiamque tum pro fide Christi certantem aggressus ubi Christo adhaerens a praeside urbis expellitur Castelloque pago transrhenano relegatur postquam vinculis gravissimis exilium semestre egisset superis adiunctus est.

  2. B

    [Ex agro Castellano per Eugenium sacerdotem cadaver divi huc ad locum laetantium2) translatum est quem postea Lullus Richolffus Heistolffus et Rabanus archiepiscopi Moguntinenses summo honore coluerunt et maxima liberalitate prosecuti sunt quos imitati viri devoti quorum hic arma vides huius aedis canonici hunc sarcophagem posuerunta) anno salutis] M · D XVIb)

  3. C

    Ferrutiic) precor alme tuum ne despice seruumPectore qui toto supplicat ecce tibi.Sit tibi cura mei, sis tutor, sisque patronus,Sitque coram summo maxima cura Deo.Me velit a cunctis miserum liberare periclis,Nec meminisse quidem crimina tanta Deus.Dum vivo cruciet longam non differet iram;Post vitae aeternae luce frui liceat.

Übersetzung:

Fremder! Verehre hier die Überreste des göttlichen Ferrutius, der, von der Liebe zum Glauben entflammt, Burgund verließ, das noch nicht mit christlichem Namen strahlte und nach Mainz kam, das damals für Christi Glauben stritt, wo er als Anhänger Christi vom Präfekt der Stadt vertrieben und in das Dorf Kastel auf der anderen Rheinseite verbannt wurde. Nachdem er in schwersten Fesseln eine halbjährige Verbannung erlitten hatte, wurde er mit den Himmlischen vereint (A). – Von dem Gebiet von Kastel ist der Leichnam des Gotterfüllten durch den Priester Eugenius hierher zum Ort der Frohlockenden überführt worden, den später die Mainzer Erzbischöfe Lul, Richolf, Heistolf und Rabanus mit höchster Ehre geschmückt und mit größter Freigebigkeit beschenkt haben. Ihnen eiferten die frommen Männer nach, die Kanoniker dieser Kirche, deren Wappen du hier siehst, und setzten diesen Sarkophag im Jahre des Heils 1516 (B). – Ich bitte dich, gütiger Ferrutius, verachte deinen Diener nicht, der dich, siehe, mit ganzem Herzen demütig anfleht! Sorge für mich, sei mein Beschützer und mein Patron und übernehme die größte Sorge für mich vor dem allerhöchsten Gott. Gott wolle mich Elenden von allen Gefahren befreien und nicht meiner großen Sünden gedenken. Solange ich lebe, möge er mich martern und seinen Zorn nicht lange aufschieben. Danach möge es mir vergönnt sein, das Licht des ewigen Lebens zu genießen (C).

Versmaß: Vier Distichen (C).

Wappen:
? (fünfmal schräggeteilt).3)

Kommentar

Das Grabgedicht entstand im Zusammenhang mit der datierten Anfertigung der Sarkophaganlage für die Reliquien des Heiligen.4) Die von Kipke vorgetragene Mutmaßung einer älteren Textvorlage bleibt ungesichert, da weder bei der Chronik des Meginhard noch in den zeitgleichen Texten eine Herkunft des Ferrutius aus Burgund erwähnt wird. Der unbekannte, höchstwahrscheinlich aber in den Reihen der Klosterbrüder zu suchende Autor dürfte sich aber an den frühen, als Wandinschriften ausgeführten Ferrutius-Versen des Hrabanus Maurus (Nr. 3) orientiert haben, die zur Zeit der Abfassung der Sarkophaginschriften noch erhalten waren, vielleicht auch zu diesem Zeitpunkt erneuert wurden.

Das vorhandene Fragmentstück wurde von Fritz Arens als Bestandteil des Ferrutius-Sarkophages bezeichnet.5) Die hier vertretene Lesung 1516 anstatt 1506 beruht auf der durch die linke Haste des V von rechts nach links unten feinstrichig durchgezogenen Linie, aus der sich eine Ligatur XV lesen läßt. Ein Sporenansatz ist deutlich zu erkennen. Angesichts dieses Befundes ist die Frage, ob die Jahreszahl zeitgenössisch korrigiert oder nachträglich verändert worden sein könnte, nicht zu entscheiden.

Lühmann-Schmid folgte in ihrer stilkritisch gewonnenen Zuweisung des Fragmentes dem entsprechenden Hinweis von Arens und benannte als ausführenden Künstler Hans Backoffen mit dem Jahr 1516.6) Goeltzer dagegen sah eine engere Verwandtschaft (Putti und Ornamente) zu dem Denkmal für Erzbischof Uriel von Gemmingen im Mainzer Dom, das er nicht mehr Backoffen, sondern Peter Schro zuschrieb.7)

Textkritischer Apparat

  1. Bei Helwich ist hier gekürzt H. Sarco. P.
  2. Dehio falsch 1512; die von Luthmer (1914) 171 genannte, angeblich später hinzugefügte Jahreszahl 1672 ist nirgends zu entdecken.
  3. So bei Helwich statt Ferruti.

Anmerkungen

  1. Helwich „in medio ante summum altare, cuius corpus in sarcophago reconditur eleuato a terra“.
  2. Umschreibung für Bleidenstadt, vgl. folgende Nr. Anm. 2.
  3. Von Helwich nicht mitgeteilt. Helmut Thomä, Alte Wappen in Bleidenstadt. In: Der Untertaunus. Heimatjb. Jg. 1960, 49-54, hier 52 schreibt das Wappen den Familien Hattstein-Reifenberg zu und nennt ohne Quellenbeleg in der fraglichen Zeit (1506!) einen Johann von Reifenberg als Chorherrn in Bleidenstadt.
  4. Kipke, Bleidenstadt 38.
  5. Lühmann-Schmid 1, 11 Anm. 10 mit Hinweis auf Mitteilung von Arens.
  6. Lühmann-Schmid 1, 10 mit Anm. 10.
  7. Frdl. briefl. Hinweis von Dr. Goeltzer vom 24. März 1992; dabei gibt für ihn die Vermischung von spätgotischer Ornamentsprache mit derjenigen der italienischen Renaissance den Hinweis auf eine Arbeit des Meisters nach den im 16. Jh. weit verbreiteten Vorlageblättern.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 429f.
  2. Roth, Bleidenstadt 389f.
  3. Luthmer (1914) 171.
  4. Thomä, Wappen 52.
  5. Lühmann-Schmid 1,10 Anm. 10.
  6. Kipke, Bleidenstadt 38.
  7. Silbereisen, Chronik I 19.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 367(†) (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0036707.