Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 263 Lorch, Kath. Pfarrkirche St. Martin 1483/1597

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Großer, spätgotischer Flügelaltar aus Lindenholz. Ursprünglich ohne Fassung, um 1719 erstmals polychrom umgestaltet, farbige Neufassung 1853/54, Fassungen bei der Restaurierung 1949/50 entfernt, 1992 Reinigung und Durchführung einzelner konservatorischer Maßnahmen.1) Predellen und Retabel bestehen aus Nischen, in die zahlreiche Heiligenfiguren eingestellt sind. An den Maßwerkbaldachinen befinden sich reliefierte, untingierte Wappenschilde. Die rechte der beiden männlichen Schreinbüsten hält ein Schriftband mit Jahreszahl (A).2) Bemalte Altarflügel; auf der Feiertagsseite mit dem Gemälde der Auferstehung Christi wurde 1992 durch Einsatz eines Infrarotgerätes im Reflektogramm eine von Ölfarbe überdeckte Schrifttafel mit der Stifterinschrift (B) entdeckt. Vier Schriftzeilen konnten entziffert werden. Der Stifter ist kniend rechts neben der Tafel erkennbar. Die ursprünglich mit monochrom gefaßten Holzreliefs versehenen, nach deren Verlust in einer Art Grisailletechnik bemalten Flügel wurden 1719 nochmals szenisch übermalt.3)

(B) nach Oellermann, mit Detailfoto korrigiert.

Maße: B. Schriftband 30, Z. 4,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Ziffern (A); Kapitalis, Fraktur (B).

  1. A

    1483

  2. B

    ANNO DOMINI 1597 hatt Paul(us) Ulrich / dieser zeit [...]rich [...] sch[...]ea) v(on) Lorich / vnn [...] / Flüegel malteb) [...] m [...]

Wappen:
Waldeck, Frischenstein von Waldeck4), Hilchen von Lorch, Schetzel von Lorch, Hertwich von Lorch, Erzbistum Mainz.

Kommentar

Die beiden Büsten im Schrein wurden bisher stets als die der ausführenden Meister des Altarwerkes angesehen, worin bei einem solch umfangreichen Werk der Bildschnitzer und der Schreiner bzw. Maßwerkschneider zu vermuten sind.5) Woher die Anregung zu der Einstellung von Büsten in Nischen und ihre Verwendung als Predellenfiguren stammt, ist bislang noch nicht näher untersucht worden, verwiesen wird aber auf schwäbische Arbeiten vom Umkreis Jörg Sürlins d.Ä.6) Die Auftragsvergabe durch einflußreiche Lorcher Adelsfamilien an den mit Hans Bilger von Worms vermuteten Meister7) dürfte um oder kurz vor 1480 erfolgt sein.8)

Durch ein rotes Kreuzchen über seinem Kopf ist der Stifter der späten Altargemälde als bereits verstorben bezeichnet. Die Stiftung der Gemälde ging einher mit Maler- und Tüncherarbeiten im Chor der Pfarrkirche, die 1598 durch den Lorcher Bürger Kilian Schlüchter auf dessen Kosten veranlaßt wurden.9)

Textkritischer Apparat

  1. Oellermann schlägt s[e]h.. vor, wahrscheinlicher ist aber die obige Lesung mit dem Ergänzungsvorschlag zu gerichts schöffe.
  2. Eher malen.

Anmerkungen

  1. Vgl. Eike Oellermann, Der Hochaltar in St. Martin zu Lorch am Rhein. In: Flügelaltäre des späten Mittelalters. Hrsg. v. H. Krohn u. E. Oellermann. Berlin 1993, 9.
  2. Die auf dem Schriftband des Pendants auf der linken Seite angebrachte Inschrift Zu Gottes preiss all kunst und fleiss dürfte dem 19. Jh. entstammen, vgl. Hanns Hubach, Überlegungen zum Meister des Lorcher Hochaltarretabels. In: Nass. Ann. 104 (1993) 29-51, hier 33; ebenso Heike Alberti, Der Lorcher Altar in Lorch am Rhein. Phil. Diss. Gießen 1977, 107f.
  3. Heute sichtbar Innenseite links: Auferstehung und Pfingstwunder, Innenseite rechts Mariä Aufnahme im Himmel, Christi Himmelfahrt, an den Außenseiten die vier Geheimnisse des Schmerzhaften Rosenkranzes, vgl. Hubach 32.
  4. So erw. bei Tiemann 36 Anm. 141; Hubach 32; erkennbar ist der Waldecksche Flügel; die Linie ist nicht näher bekannt.
  5. Oellermann 15; da der Altar monochrom konzipiert war, entfällt die Zuschreibung einer Büste an einen Faßmaler.
  6. Hubach 35.
  7. So hatte Seeliger-Zeiss, Lechler 42 Anm. 112 bereits auf die Ähnlichkeit des Lorcher Retabels mit dem rekonstruierbaren Hochaltarretabel der Stiftskirche zu Aschaffenburg verwiesen, das Hans Bilger von Worms 1490-96 in seiner Werkstatt ausführte; so auch Hubach 40-51, hier 42 mit Anm. 34. Zu Hans Bilger vgl. auch Werner Hotz, Die Bedeutung des Domes zu Worms. Wormser Kunst im Advent der Reformation (...). Worms 1987.
  8. Hubach 33.
  9. Oellermann 14 mit Anm. 19.

Nachweise

  1. Sachs/Rossel o.S. (A).
  2. Tiemann, Mittelrheinische Plastik 38f. (A) – Alberti 108f. (A) – Oellermann, Hochaltar 9 (A), 13 Abb. 7 (B), 21 Anm. 16 (A).
  3. Hubach, Überlegungen Abb. 15 (A).
Addenda & Corrigenda (Stand: 29. September 2021):

Eine intensive Analyse und Gesamtwürdigung des Altars im Hessischen Retabel-Projekt, vgl.
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/collections/c-6.html
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2016/3508

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 263 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0026309.