Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 246 Eberbach, Klosterkirche 1475

Beschreibung

Grabplatte des Mainzer Erzbischofs Adolf II. von Nassau, der im Chor vor dem Hochaltar bestattet wurde. Die Rotsandsteinplatte wurde 1614 von Helwich als erhabenes Monument („monumentum elevatum“) bezeichnet. Joannis (in Übertragung von Serarius) nannte als Bestattungsort der Leiche eine Gruft, gab dazu aber eine Eingeweidebestattung an anderem Ort an; Dors berichtete 1632 von einer unter dem Fußbodenniveau liegenden, unter einem Holzdeckel verborgenen Gruft.1) Im Zuge der Gruftöffnung und Umgestaltung der Grabanlage für Erzbischof Gerlach von Nassau2) (Nr. 102) wurde 1707 die Grabplatte Adolfs gehoben und gemeinsam mit jener anderen Platte aufrecht unter die reduzierte Architekturrahmung des Wandnischengrabes an der nördlichen Chorflanke gesetzt. Die seit 1935/36 grau überstrichene Steinplatte zeigt die Ganzfigur des Verstorbenen im Halbrelief mit Pontifikalornat, Mitra und erneuertem Stabkreuz3) unter einem Kielbogen. In den oberen Plattenzwickeln zwei Wappenschilde; auf dem Rand umlaufende, links oben beginnende und von außen lesbare Grabinschrift mit geringen Beschädigungen, einzelne Ergänzungen aus Gips.

Erg. nach Helwich.

Maße: H. 276,5, B. 136, Bu. 6-9 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Forschungsstelle Die Deutschen Inschriften bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Foto: TGTempel [1/1]

  1. Anno d(omi)ni millesi(m)o quadri(n)ge(n)tesi(m)oa) septu[a]gesi(m)o qui(n)toa) Sexta mensis Septembris obiit / Reue(re)ndissim(us) in chr(ist)ob) pater et d(omi)n(u)s · / Secu(n)dus d(omi)n(u)s Adolffus Archiep(iscopu)[s]c) Magu(n)tinen[sis cuius]d) anima re(q)u(i)escat in pace ame(n)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1475, am 6. Tag des Monats September starb der ehrwürdigste Vater und Herr in Christo, der zweite Herr Adolf, Mainzer Erzbischof, dessen Seele in Frieden ruhe. Amen.

Wappen:
Erzbistum Mainz; Nassau.

Kommentar

Die Minuskel ist linksseitig durch den dicken Farbauftrag mehrfach beeinträchtigt, vor allem im Bereich der unteren Hastenenden. Auffallend sind die häufigen Wortkürzungen und die mitunter eigentümlich wirkende Bildung der eingestreuten Majuskelversalien, vor allem von A und S. Das A kommt in Majuskelform gerundet mit gewelltem Mittelbalken (Anno) vor, aber auch, aus Minuskel und Unziale abgeleitet, oben offen und mit schrägem Mittelbalken versehen; die linke Haste ist leicht gebogen, der Buchstabe überschreitet das Mittelband nicht.

Der bislang kunsthistorisch kaum untersuchten4) Grabplatte kommt durch ihre Gestaltungsweise eine herausragende Bedeutung innerhalb der mittelrheinischen Sepulkralplastik zu. Sie zeigt als eine der wenigen5) die realistische Wiedergabe eines aufgebahrten Toten. In der Figur gelang dem unbekannten, von den Arbeiten des Nikolaus Gerhaert von Leyden6) beeinflußten Künstler die eindeutige Darstellung eines Liegenden. Der Typus der Grab- oder Tumbenplatte war allerdings bei den Mainzer Bischofsgrabmälern seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts nicht mehr üblich, erhielten die Erzbischöfe doch seit Konrad von Weinsberg (†1396) – mit Ausnahme Konrads von Dhaun (†1434) -Wanddenkmäler.7) Der Grund für den Rückgriff auf die ältere Grabmalsform wurde in dem persönlichen Gestaltungswillen des Erzbischofs vermutet, dem Vorbilder gut bekannt gewesen sein dürften.8) Eine Entstehung der Steinplatte und der Grabinschrift noch zu Lebzeiten9) des Würdenträgers setzen jedoch die Freilassung und späteren Nachtrag des Sterbedatums auf der Platte voraus. Dafür lassen sich keine Hinweise, etwa in unregelmäßiger Disposition erkennen,10) zumal die Länge der ausgeschriebenen Datumsangabe eine solche postume Anbringung unwahrscheinlich macht. Eine Herstellung zu Lebzeiten könnte sich also allenfalls auf das Grabbild beziehen. Die Buchstabenformen, insbesondere das M mit rechts durchgebogener Haste, weisen die Inschrift eindeutig den siebziger Jahren zu. Im übrigen ist eine persönliche Entscheidung des Erzbischofs für eine Liegeplatte nicht vorauszusetzen, wenn die Eberbacher Grablege kein aufrecht stehendes Denkmal im Chor zuließ. Davon nicht berührt werden die Überlegungen zu den Eigentümlichkeiten der Gestaltung.

Adolf II.,11) um 1422 als Sohn des Grafen Adolf und der Margaretha (Nr. 179), Markgräfin von Baden, geboren und schon früh in den geistlichen Stand eingetreten, ist 1450 als Mainzer Domherr sicher belegt. Als Propst des Mainzer Petersstiftes wurde er am 7. Juli 1451 zum Provisor des Mainzer Hofes in Erfurt, zum obersten Amtmann im Eichsfeld und im Januar 1453 zum Vorsitzenden des Erfurter Generalgerichts ernannt. Nach dem Tode seines Gönners Erzbischof Dietrich Schenk von Erbach am 6. Mai 1459 unterlag Adolf nur knapp dem Gegenkandidaten Diether von Isenburg, der in der Folgezeit rasch zur wichtigsten Gestalt der Reichsopposition gegen Papst Pius II. wurde und durch sein politisch äußerst brisantes Bündnis mit dem Gegner kaiserlicher Politik, dem Pfalzgrafen Friedrich III., in Opposition zum Kaiser geriet.12) Den Gegnern Erzbischof Diethers gelang es, ihn im Reich politisch zu isolieren, und am 21. August 1461 wurde er durch den Papst abgesetzt. Dieser fand in dem kaisertreuen Adolf von Nassau die geeignete Persönlichkeit und providierte ihn am 26. September 1461 gegen den Willen des Domkapitels zum neuen Erzbischof. Bereits im Dezember desselben Jahres kam es zum offenen Kampf; die kriegerischen Auseinandersetzungen der Mainzer Stiftsfehde hielten mit wechselseitigem Erfolg bis 1463 an, als sich die Kontrahenten im Zeilsheimer Friedensvertrag einigten. Zuvor war Adolf von Nassau am 28. Oktober 1462 die Eroberung und Niederwerfung der Stadt Mainz, der Parteigängerin Diethers, gelungen, was einen weitreichenden Niedergang der Stadt zur Folge hatte.13) Der Sieger erhielt 1465 durch Papst Paul II. das Pallium und die Erlaubnis zur Bischofsweihe, die am 26. Januar 1466 vollzogen wurde. Adolfs rasch einsetzende Bemühungen, den durch die Stiftsfehde entstandenen Schaden im ruinierten Erzstift zu beheben, blieben jedoch nur Stückwerk, das von seinem Tode am 6. September 1475 in der Eltviller Residenz unterbrochen wurde. Das Eberbacher Seelbuch nennt den verstorbenen Erzbischof einen „fautor fidelissimus“ des Klosters.14)

Textkritischer Apparat

  1. o unten offen.
  2. Befund xpo mit Kürzungszeichen.
  3. Nach p Putzauftrag. Fehlt bei Dors.
  4. An dieser Stelle nach der linken Haste des n – die rechte ist überputzt – heute insgesamt ca. 17-20 cm verputzt.

Anmerkungen

  1. Helwich, Syntagma 151 „tumuli inscriptio in monumento elevato“; ob mit dieser Formulierung eine leicht über Fußbodenniveau erhöhte Tumbenanlage gemeint war, ist ungeklärt. Dors beschrieb die Lage des Steines: „ist gesenckt 1,5 Schue in die Erdt, mit einem höltzin Deckel zugedeckt, im Cohr vor dem hohen Altar.“ Joannis: „sepultus fuit in crypta (...) cineres vero in urnam lecta et inter ambas statuas reconditi“. Dazu vermerkte er „ceterum verba ... sepulcralis ita habent d(omi)n(u)s secundus Adolfus de Nassau etc.“; unklar bleibt bei Joannis, ob es sich um ein Inschriftzitat oder um eine Zusammenfassung anderer Informationen handelte.
  2. Zur Umbettung der Gebeine der beiden Erzbischöfe vgl. Diarium Bursae 64, 77f. sowie Einleitung Kap. 2.3.
  3. Der rechte Kreuzarm fehlt, der Stab ist unten bis zum Nodus aus einem hölzernen Rundstab angestückt.
  4. Vgl. u.a. Beeh, Typus. Das Denkmal wird ausführlicher behandelt von Anna Fingerling, Das Grab Adolfs II. von Nassau und die Darstellung des Toten in der mittelalterlichen Grabplastik. Magisterarbeit Kassel 1992 (Masch.), von der Autorin dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.
  5. Motivisch greift die Platte des Dekans Bernhard von Breidenbach (†1497) im Mainzer Dom einzelne Elemente wie etwa die gekreuzt über dem Körper liegenden Arme, den im Tode geöffneten Mund, die fast geschlossenen Augen und die Faltenbildung des Gewandes auf, vgl. Arens, Das goldene Mainz 66-68; DI 2 (Mainz) Nr. 243.
  6. In diesem Zusammenhang gewinnt das Denkmal des Trierer Erzbischofs Jakob von Sierck, das Nikolaus Gerhaert eigenhändig schuf und signierte, besondere Bedeutung, vgl. dazu Annette Schommers, Das Grabmal des Trierer Erzbischofs Jakob von Sierck (†1456). Deutungs- und Rekonstruktionsversuch von Inschrift und Grabaufbau. In: Trierer Zschr. 53 (1990) 311-333.
  7. Frdl. Hinweis von Dr. Wolf Goeltzer, Stuttgart, in seinem Brief an Bearb. vom 23.2.1993; vgl. auch Arens, Goldenes Mainz 60.
  8. Kniffler 114 sah „die gleiche künstlerische Handschrift“ und stilistische Zusammenhänge zwischen den Grabfiguren Adolfs von Nassau und Diethers von Isenburg, vgl. ebd. 265. Die von ihr gesehene Identität der einzelnen Buchstabenformen existiert dagegen nicht. Fingerling (wie Anm. 4) 84 mutmaßte, ob nicht Adolfs Widersacher und Nachfolger Diether von Isenburg das Denkmal in Auftrag gegeben haben könnte und den Verstorbenen im Sinne einer Degradierung „einfach aus der Mainzer Metropolitankirche in das abgelegene Kloster Eberbach sozusagen ausquartierte“ (!). Sie argumentierte dabei mit den von Ernst Kantorowicz (Die zwei Körper des Königs. München 1990) vorgetragenen Ideen zur Trennung des „body natural“ und des „body political“, also der „dignitas“ des vom Träger unabhängigen Amtes, und mit dem historischen Hintergrund der Mainzer Stiftsfehde. Doch werden dabei das Verhältnis des Erzbischofs zu Mainz, die Rolle der Eltviller Residenz und das Verhältnis Adolfs zu Eberbach nicht berücksichtigt.
  9. Goeltzer (wie Anm. 7) legt für eine von ihm postulierte Frühdatierung allein die künstlerische Behandlung der Gewandfalten zu Grunde, aufgrund derer er eine Entstehung des Steines im Laufe der 1460er Jahre bis um 1470/75 vorschlägt.
  10. Beeh, Typus 15, der eine Unregelmäßigkeit der Disposition beobachtet haben wollte, begründete damit die Entstehung der Platte zu Lebzeiten des Erzbischofs.
  11. Biografische Angaben u.a. in ADB 1, 119; Alois Gerlich, Adolf II. In: LMA I Sp. 161f.; Hollmann 416.
  12. Zu dem Verhältnis beider Männer zueinander und der Mainzer Stiftsfehde liegt reiches Literaturmaterial vor; aus der Fülle vgl. u.a. Brosius, Bistumsstreit; Brück, Mainz 5; Adalbert Erler, Neue Funde zur Mainzer Stiftsfehde. In: Zschr. f. Rechtsgesch. 89 KA 58 (1972) 370-386.
  13. Jürgensmeier, Bistum 162.
  14. Roth, Geschichtsquellen III 47.

Nachweise

  1. Serarius, Mog. Rer. V 896.
  2. Helwich, Syntagma 151.
  3. Dors, Genealogia 136 Nr. 23 mit Abb. 44.
  4. Anonymus ed. Roth, Geschichtsquellen III 77f.
  5. Joannis, Rer. Mog. I 787 nach Serarius.
  6. Bär, Epitaphiensmlg. fol. 1.
  7. Würdtwein, Epitaphienbuch 3.
  8. HHStAW 22/553, 124.
  9. Roth, Geschichtsquellen III 253.
  10. Roth, Nass. Epitaphienbuch 558 Nr. N.
  11. Beitr. Gesch. Erzstift 25.
  12. Börger 44 u. Taf. 19.
  13. Schaum-Benedum 157.
  14. Kdm. 79f. mit Abb. 632.
  15. Fingerling 31.
  16. Monsees, Bemerkungen Abb. 2.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 246 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0024609.