Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 175† Rüdesheim, Kath. Pfarrkirche St. Jakob 1420

Beschreibung

Spruch- und Meisterinschrift (A) des Heinrich Giese aus Ulrichstein auf dem 1944 verbrannten Chorgestühl. Luthmers Beschreibung von 1902 befaßte sich mit der damals am besten erhaltenen, mit dem Brömserwappen geschmückten, nördlichen Seitenwange, die er in Abzeichnung veröffentlichte.1) Das Gestühl wies spätgotisches Maßwerk auf; je eine Reihe Sitze war 1869 noch erhalten2) mit „säulentragenden, geschweiften Zwischenlehnen und einfach ornamentierten Miserikordien“.1) Nach dem Bericht Habels von 1850 befand sich die Spruchinschrift (B) auf der oberen Leiste der Chorstühle.3)

Nach Habel.

  1. A

    Nach · crista) · gepurdb) · dusentc) · vierhundert · jar · vnd · darnachd) · in · dem · twenczigstene) · iar · hat · meister · Heinrich · gyse · von · Ulrichstainf) dißg) · werck · gemacht · uff · sant · Jacobs · tag ·

  2. B

    Lyebh) · an · truwe ·byichti) · an · ruvek) ·gebet · an · innikeitl) ·daz · sinm) · dry · verlorn · arbeit.

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Datum: 25. Juli 1420.

Wappen:
Brömser von Rüdesheim.

Kommentar

Der Auftrag für die Herstellung des Gestühls dürfte aufgrund des Wappens von der Familie Brömser an den wohl aus dem hessischen Ort Ulrichstein4) stammenden Schnitzer ergangen sein. Der verwendete Reimspruch stellt eine leichte Abwandlung des Sprichwortes „Beichte sonder Reu, Freundschaft sonder Treu, Gebet ohne Innigkeit ist verlorne Arbeit“5) dar. Unter der Voraussetzung einer korrekten Überlieferung zeigen Sprachformen wie dry, byicht und dusent noch die langen mittelhochdeutschen Vokale i und u, die durch die sich im 16. Jahrhundert vollziehende niederhochdeutsche Diphthongierung zu ei und au wurden.6) Ebenso repräsentiert die Form an für „ohne“ den älteren Lautstand. truwe und ruwe dürften eine Sonderentwicklung im rheinfränkisch-hessischen Mundartgebiet darstellen. Mit diesen Kriterien läßt sich der inschriftlich dargebotene Datierungsansatz um 1420 unterstützen, womit das Rüdesheimer Gestühl zu den frühen datierten Objekten in Deutschland gehört.7)

Die Chorstuhlwange zeigt die in der gotischen Schnitzkunst weitverbreitete Maßwerkfüllung in feiner Profilierung, während die Gestaltung des Schriftbandes unbekannt ist. Daher bleibt seine mögliche Ausführung in Flachschnittechnik hypothetisch, wenn nicht unwahrscheinlich, da diese erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts weitere Verbreitung fand.8)

Textkritischer Apparat

  1. Zaun, Luthmer Christi.
  2. Ebd. geburt.
  3. Ebd. tausend.
  4. Zaun darnacg, Luthmer (1907) darnaeg.
  5. Zaun zwanczisten, Luthmer (1907) zwanczigsten.
  6. Zaun wirchstein, Luthmer (1907) Ulrichstein.
  7. Zaun dieß.
  8. Ebd. Lyob.
  9. Ebd. byacht.
  10. Ebd. Reuve.
  11. Ebd. ynnicheit.
  12. Ebd. syn.

Anmerkungen

  1. Luthmer (1907) 22f: „gute und frische Schnitzarbeit im Sinne der Spätgotik“. Die Seitenwange war unten geschlossen, im oberen Teil durchbrochen und trug Maßwerkblenden mit Laubwerk sowie Fischblasen und Fialen.
  2. Lotz (1880) 385.
  3. Bericht Habel (1850) 235.
  4. Vogelsbergkreis, 1347 Stadtrechte; von der Burg heute nur noch Mauerreste, vgl. Dehio Hessen (1982) 857.
  5. Wander, Sprichwörter-Lexikon I Sp. 297 Stichwort „Beichte“ Nr. 6.
  6. Frdl. Hinweise von Herrn Dr. Wolf-Dietrich Zernecke, Mainz.
  7. Vgl. allerdings nur zu Flachschnitt-Beispielen Germann-Bauer; zu Chorgestühlen allgemein auch Busch, Chorgestühl.
  8. So gehören der 1443 datierte Balken in Schwäbisch Hall sowie der aus Wertheim stammende Schrank im Badischen Landesmuseum Karlsruhe von 1449 (vgl. Germann-Bauer 49) zu den frühesten Objekten in Flachschnittechnik nicht nur Württembergs. Hinzu kommt, daß sich im 15. Jh. Namen von Meistern nur vereinzelt finden, während sie um 1500 häufiger auftreten, ebd. 45f.

Nachweise

  1. Bericht Habel (1850) 235.
  2. Zaun, Landkapitel 272.
  3. Luthmer (1907) 23.
  4. Busch, Chorgestühl 52.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 175† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0017506.