Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 103† Eberbach, Klosterkirche 1371?/bis E.15.Jh.?

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Memorialgedicht für Erzbischof Gerlach von Nassau (vorherige Nr.) auf einer Tafel („tabula“) nahe der Grabanlage. Bei dem Inschriftenträger handelte es sich vielleicht um eine beschriftete Holztafel, möglicherweise aber auch um auf Holz aufgezogenes Pergament.1)

Nach Helwich.

  1. A

    Epitaphium reverendissimi patris domini Gerlaci de Nassaw quondam archiepiscopi Maguntinensis in die sancti Valentini in huius monasterii loco honorifice sepulti.a)

  2. B

    Annis transactis post ortum cunctipotentisDenis compactis L et XI mille trecentisHeu lachrima teste februar duo dum tenet idusDe calcli peste Gerlacus nobile sydusAudax dux ensis regali stirpe creatusMaguntinensis possessor pontificatusPraesul famosus mansuetus iudiciosusTotus amorosus animo pius et generosusDeserit hic portum vir tantae nobilitatisStrenua praenatis Nassawia cui dedit ortumMortuus est iste iacet in cinerem resolutusDiscidium triste, rogo, quis poterit fore tutus ?Cuncta fluentia nulla manentia sunt bona mundiGaudet honoribus exterioribus intus arundo.
    O mors longaeva fera mors super omnia saevaMater primeva quam nobis intulit EvaCuius iactura moritur quaevis genituraEcce pari cura nulla parcunt tua iura.Effera grassas entia cassas omnia quassasSanctio non legem non liberat unctio regemSors Israelem non pulchritudo RachelemRobur Sambsonem sapientia non SalomonemNon pietas David patres simul undique stravit.Littera non clerum laicum non gloria rerumImmo Dei nato tu parcere non potuistiQuem sine peccato nasci de virgine nostiDe muliere sato non ergo parcis et isti.Per miserere tui Christe memento sui.
    Plange lira tristi domus Erbachb) religiosaEn amisisti tua gaudia deliciosaPontificem dignum Gerlacum corde benignumQui recto zeloc) tua te protexit ubiqueHostili telo ne vastareris ubique.Claustrum direxit responsa dabat tibi grataFratres dilexit quasi mater honorificata.Extulit in morte zelum quem corde gerebatQui viva sorte tecum sua busta petebatFelix exemplum linquens in posteritate.Ut praesens templum parili ducunt pietateFratres orare pro praesule stent ubicunqueUt pie salvare dominus dignetur utrumque.Gratia sit vivo sit requies reliquo.
    Aula pudoris virga viroris nardus odorisManna saporis virgo decoris mater honorisTu fons hortorum veniae largissima venaSpes defunctorum vera dulcedine plenaObsecro praesentis conventus respice votaTe contingentis virtute per omnia totaPro benefactore velis intercedere nostroQuem matris more de daemonis erue rostroIudicis atque rei tu clementissima materNostra summa spei quoniam Christus sibi fraterCausam suspendas in natis sis mediatrixCharum defendas Gerlacum pacis amatrixIudice placato nullum timeat cruciamen.Sursum translato vivat feliciter Amen.

Übersetzung:

Epitaph des verehrungswürdigsten Vaters, des Herrn Gerlach von Nassau, einst Erzbischof von Mainz, am Tag des hl. Valentin (14. Februar) in diesem Kloster ehrenvoll bestattet (A).


– Als nach der Geburt des Allmächtigen die Jahre vergangen waren, zehn zusammengefügt mit 50 und elf und eintausenddreihundert (1371), wehe! die Träne bezeugt es, während der Februar auf dem zweiten Tag vor den Iden verweilte (12. Februar), da verließ Gerlach, das strahlende Gestirn, der kühne Führer des Schwertes, aus königlichem Stamme geboren, Inhaber bischöflicher Würde zu Mainz, ruhmreicher Vorsteher, mild, entscheidungsfreudig, gänzlich voller Liebe, in seinem Herzen fromm und edelmütig, dieser Mann also von so großem Adel verließ den Hafen, dem Nassau, tüchtig durch seine Vorfahren, seinen Ursprung gegeben hat, und er starb an der von dem kleinen Steinchen verursachten Krankheit; er liegt, zu Asche vergangen, ein trauriger Tod; ich frage, wer wird davor sicher sein können? Alle Güter der Welt sind vergänglich, nichts bleibt; sie (die Welt) freut sich äußerer Ehren, aber in ihrem Innern ist sie wie ein Rohr.


Oh ewiger Tod, o wilder Tod, über alles grausam herrschend, den uns die Urmutter Eva gebracht, durch deren Verlust jegliches Geschlecht stirbt, siehe, mit gleicher Sorge gewährt keines deiner Gesetze Schonung. Wild wütest du, das Seiende machst du zunichte, alles erschütterst du; von dieser Bestimmung befreit kein Gesetz, die Salbung nicht den König, Israel nicht sein Schicksal, die Rachel nicht ihre Schönheit, den Samson nicht seine Kraft, den Salomon nicht seine Weisheit, den David nicht seine Frömmigkeit, allenthalben hat sie zugleich die Väter hingestreckt. Den Klerus befreit nicht die Schrift, den Laien nicht der Ruhm der Dinge, ja sogar den Sohn Gottes konntest du nicht verschonen, der, wie du wußtest, ohne Sünde von einer Jungfrau geboren wurde; da er von einem Weib gezeugt wurde, hast du auch diesem keine Schonung gewährt. Christus erbarme sich deiner, Christus, gedenke seiner!


Traure mit trauriger Lyra, frommes Haus E(be)rbach, wehe, du verlorst deine köstlichen Freuden, den würdigen Bischof Gerlach, gütig in seinem Herzen, der mit aufrechtem Eifer das Deinige und dich allenthalben geschützt hat, damit du nicht überall von feindlicher Waffe verwüstest würdest. Er hat das Kloster gelenkt, er gab dir willkommene Antworten, er liebte die Brüder wie die geehrte Mutter: Er trug im Tod den Eifer hinaus, den er im Herzen führte, der dich, als er noch lebte, als sein Grab erwählte, und ein glückliches Beispiel für die Nachwelt hinterließ. Weil die Brüder dieses Kloster mit gleicher Frömmigkeit führen, beten sie, wo auch immer sie stehen, für den Bischof, damit es der Herr für richtig halte, jeden von beiden fromm zu erretten. Gnade sei dem Lebenden, Friede dem, was von ihm geblieben ist.


Halle der Ehrfurcht, grünender Zweig, duftendes Nardenöl, wohlschmeckendes Manna, zierdenreiche Jungfrau, Mutter der Ehre, du Quell der Gärten, der Vergebung reichste Ader, Hoffnung der Toten, voll wahrer Süße, ich beschwöre dich: erhöre die Gebete des gegenwärtigen Konvents, der voller Tugend in allem dich umfaßt. Mögest du für unseren Wohltäter eintreten! Entreiße ihn wie eine Mutter dem Rachen des Dämons, du mildeste Mutter des Richters und des Angeklagten und Gipfel unserer Hoffnung. Weil ja Christus sein Bruder war, so tilge die Schuld, sei Mittlerin bei den Sterblichen; die du den Frieden liebst, verteidige den teuren Gerlach, er soll von einem besänftigten Richter keine Marter fürchten. Nachdem er in die Höhe erhoben worden ist, möge er glücklich leben. Amen (B).2)

Versmaß: 56 gereimte Hexameter.

Kommentar

Die Art der Schrifttafel ist nicht mehr rekonstruierbar und ihre Form unsicher. Die Gewährsmänner des 17. Jahrhunderts sprechen vieldeutig von einer „tabula“. Als einziger Hinweis auf eine mögliche Pergamenttafel ergibt sich eine der Textabschrift vorangestellte Bemerkung in den im 17. Jahrhundert zusammengestellten „Annales archiepiscoporum“, die wiederum auf dem Eberbacher Catalogus basieren.3) Darin ist ohne Quellenbezeichnung die Rede davon, daß die Eberbacher Mönche das Gedicht auf eine „tabella quadam membranacea“ geschrieben hätten. Da in dieser Kompilation aber eine unrichtige Behauptung über den Inhalt des Memorialgedichtes enthalten ist, erscheint gegenüber der Angabe einer Pergamenttafel eine gewisse Vorsicht angebracht. Möglicherweise verwechselte man diese „tabella membranacea“ mit dem im Catalogus und auch bei Serarius vorhandenen Hinweis, daß eine solche Pergamenttafel den Blasensteinen des Erzbischofs beigegeben war, die unweit der Gruft in einem steinernen Wandschränkchen verwahrt wurden.4)

Das Grabgedicht Gerlachs ist in vier Strophen mit jeweils 14 Versen unterteilt. Die erste Strophe verbindet die Angabe des Todesdatums mit dem Totenlob Gerlachs und der Trauer über seinen Tod. Sie endet mit einer Klage über die Nichtigkeit der Welt. Die zweite Strophe thematisiert die Macht des Todes, dem sich keiner entziehen kann und vor dem alle Menschen gleich sind. In der dritten Strophe wird die enge Verbundenheit Gerlachs mit dem Kloster Eberbach gewürdigt. Die Inschrift erwähnt seine Sorge für das Kloster, seine zu Lebzeiten erfolgte Grabwahl in Eberbach und das ständige Gebetsgedenken der Mönche für ihren Gönner. Die letzte Strophe ist ein Gebet an Maria, die Ordenspatronin. Sie wird um ihre Fürsprache für Gerlach bei Christus angerufen, um den Erzbischof vor dem Fegefeuer zu bewahren. Die Strophen zwei bis vier schließen jeweils mit einer Fürbitte.

Das Gedicht ist in gereimten Hexametern verfaßt. Der unbekannte Autor hat dabei verschiedene Reimformen nebeneinander verwendet. Durch die häufige Verwendung komplizierter Reimformen wie etwa der Hexametri collaterales wirkt die Sprache des Gedichts an einigen Stellen bemüht und ungelenk. Neben den Hexametri collaterales, die mit 31 Versen die größte Gruppe bilden, stehen Hexametri unisoni (8 Verse), leonini (5 Verse), caudati (4 Verse), trinini (3 Verse), cruciferi (2 Verse) und tripertiti (2 Verse). Die Verwendung gereimter Hexameter erlaubt es, den Entstehungszeitraum des Gedichts etwas einzugrenzen. Eine Durchsicht der Inschriftenbände der benachbarten Regionen ergab, daß bei Inschriften mit gereimten Hexametern oder Distichen eine Konzentration auf die Zeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert vorliegt. Danach ist gereimte Hexameterdichtung nur noch vereinzelt anzutreffen. Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Befund für die Stadt Mainz. Dort lassen sich von 1500 bis 1650 69 Inschriften mit Dichtungen in Hexametern oder Distichen nachweisen, aber nur zwei Inschriften von 1502 (Nr. 1050) und 1507 (Nr. 1980) sind in gereimten Versen verfaßt. Dem stehen für das 14. Jahrhundert neun gedichtete Inschriften gegenüber, die alle in gereimten Hexametern geschrieben sind. Dazu paßt, daß die gedichteten Inschriften in Eberbach im 14. Jahrhundert ebenfalls ausschließlich in gereimten Hexametern abgefaßt wurden (Nrr. 21, 63f., 66, 101). Dieselbe Beobachtung gilt für die Inschriftenbestände Enzkreis, Worms und Bad Kreuznach, während die übrigen durchgesehenen Bestände keine gedichteten Inschriften für das 14. Jahrhundert aufweisen.5) Aufgrund dieses Ergebnisses scheint es vertretbar, die Entstehung der Inschrift zwischen 1371, dem Todesjahr Gerlachs, und dem Ende des 15. Jahrhunderts anzunehmen. Auch das Fehlen jeglichen humanistischen Gedankenguts in dem Text spricht für eine Entstehung in dem vorgeschlagenen Zeitraum. Im übrigen bietet der Text für die Zeitstellung wenig Anhaltspunkte. Stoff glaubte allerdings, die Formulierung felix exemplum reliquens in posteritate als Hinweis auf diejenigen Nachfolger Gerlachs deuten zu können, die sich ebenfalls in Eberbach bestatten ließen. In diesem Falle müsse man davon ausgehen, daß Erzbischof Johann von Luxemburg-Ligny (Nr. 106f.) oder auch Adolf II. von Nassau (Nr. 246) zur Zeit der Abfassung des Gedichts bereits in Eberbach bestattet worden waren. Die Spätdatierung in die Zeit Adolfs II. schloß Stoff jedoch mit dem Hinweis aus, das Lob des Verstorbenen lasse erkennen, daß sein Andenken bei der Abfassung des Gedichts noch frisch gewesen sei.6) Stoffs Folgerung ist aber problematisch, da sich das formelhafte felix exemplum ... wohl nicht nur auf die Grabwahl Gerlachs, sondern auf sein gesamtes Verhältnis zum Eberbacher Konvent bezieht. Zudem ist ein Totenlob in der hier vorliegenden Form ohne weiteres auch lange Zeit nach Gerlachs Tod denkbar.7) Das in der Syntagma-Handschrift Helwichs über dem Gedicht abgebildete Renaissance-Vollwappen, geviert von Erzbistum Mainz und Grafen von Nassau, hilft in der Datierungsfrage nicht weiter, da es eindeutig nicht von Helwichs Hand stammt und offenbar später an der freigelassenen Stelle eingefügt wurde.

Textkritischer Apparat

  1. Von Helwich abgesetzt.
  2. Für Eberbach.
  3. Catalogus velo.

Anmerkungen

  1. Helwich „tabula“; Catalogus ebenso, ohne nähere Angaben zu Art und Aussehen des Inschriftenträgers: „Encomisticum carmine rythmico leoninoque epicedium candorem priscamque fidem preter ingeniam simplicitatem attentans conscriptum in tabula appensa sic loquitur Ms.“, zit. nach Roth, Geschichtsquellen III 108f.
  2. Übersetzung Dr. Ute Ecker und Dr. Sebastian Scholz, Mainz.
  3. REM II 1 Anm. 1 zu Nr. 2796.
  4. Catalogus fol. 19v; ed. Roth: „non procul a capite scriniolum lapidi incisum et craticula ferrea clausum, in quo duo lapides (...) fuere, (...) ad istos tabula membranacea appensa“.
  5. An dieser Stelle ist Dr. Sebastian Scholz, Mainz, herzlich zu danken, der die entsprechenden Belegstellen in DI 2 (Mainz), DI 12 (Heidelberg), DI 16 (Rhein-Neckar-Kreis), DI 22 (Enzkreis), DI 23 (Oppenheim), DI 29 (Worms), DI 30 (Calw), DI 34 (Lkr. Bad Kreuznach), DI 38 (Lkr. Bergstraße) recherchierte. Dabei ergab sich, daß sich für Heidelberg, den Rhein-Neckar-Kreis und Calw für das 16. und 17. Jh. überhaupt keine gereimten Hexameter oder Distichen nachweisen lassen. In den übrigen Gebieten erscheinen sie nur vereinzelt: DI 2 (Mainz) Nrr. 1050, 1080 (1502, 1507); DI 22 (Enzkreis) Nr. 293 (16. Jh.); DI 23 (Oppenheim) Nr. 206 (1590); DI 29 (Worms) Nrr. 440 (1548), 594 (1601, die jedoch auf eine Vorlage von 1479 zurückgreift), 632 (1614); DI 34 (Lkr. Bad Kreuznach) Nrr. 243 (1513), 385 (1592), 601 (1686), 624 (17. Jh.); DI 38 (Lkr. Bergstraße) Nr. 195 (1596). Auch im Bearbeitungsgebiet gibt es nach 1500 nur zwei Inschriften mit gereimten Hexametern (Nrr. 508, 565).
  6. Bär/Stoff, Eberbach III 140.
  7. Vgl. etwa das frühestens im 12. Jh. verfaßte Gedicht auf Abt Wilhelm von Hirsau (†1091) in DI 30 (Calw) Nr. 143.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 148-150.
  2. Catalogus fol. 19v-20v; ed. Roth, Geschichtsquellen III 108f.; IV 110f.
  3. REM II 1 Nr. 2796.
  4. Eberbach im Rheingau o.S. (teilw.).
Addenda & Corrigenda (Stand: 05. Oktober 2021):

Hinweis: Das Gedicht umfasst nicht 56 Hexameter, sondern 54 Hexameter und 2 Pentameter, letztere am Ende der zweiten und dritten Strophe, jeweils reimtechnisch von den vorausgehenden Hexametern getrennt. Nützliche Hinweise werden Anton Košak verdankt.

Textkorrekturen zur 2. Strophe:
1. Vers (Übersetzung): „O ewiger Tod, o wilder Tod, grausamer als alles,“
4. Vers: „Ecce pari cura nulli parcunt tua iura“
4. Vers (Übersetzung): „siehe, mit gleicher Sorge gewähren Deine Gesetze niemandem Schonung.“

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 103† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0010301.