Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 41 Eberbach, Klosterkirche 1330/19.Jh.(?)

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Grabdenkmal des Mainzer Domkantors Eberhard von Oberstein. Helwich zufolge ehemals beim Altar St. Philipp und Jakob,1) nach mehrfachen Umsetzungen heute an der Westwand der östlichsten Südkapelle angebracht (Plan K Nr. 37). Hohe, schmale Rotsandsteinplatte, deren obere Leiste wie ein flacher Giebel gestaltet ist. Vor die glatte Bildplatte ist die auf einer von Löwe und Hund getragenen Konsole en face stehende Ganzfigur des Geistlichen in Ornat und Mitra gesetzt, umgeben mit einer von Fialen flankierten Kielbogenarchitektur. In den oberen Reliefzwickeln zwei der Kreuzblume des Kielbogens zugewandte Engelsfiguren, in den vier Ecken des Steines kleine aufgelegte Wappenschilde mit identischem Bild. Kopf der Figur abgeschlagen und wieder angefügt, erneuert sind die Kreuzblume, die Engelsköpfe, Teile der Architektur und der auf dem Plattenrand umlaufenden Grabinschrift.2) 1936 noch farbig gefaßt, in den sechziger Jahren mit alkalischer Waschpaste gereinigt, dadurch keine Reste ursprünglicher Bemalung mehr vorhanden.

Maße: H. 305, B. 140, Bu. 5-6 cm.

Schriftart(en): Gotische/pseudogotische Majuskel.

Forschungsstelle Die Deutschen Inschriften bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Foto-H.Busch_Frankfurt [1/5]

  1. NOBILISa) · ET · P(RE)CLARE FAMEa) / VIRb) · D(OMI)N(V)S · EBIRHARD(VS) · DE · LAPI[DEc) · QVONDAMd) E(C)CL(ES)IE · MAG]VNT(INE) · CA(N)TOR · MAGNIF/IC(VS) HVICe) · / TVMVLO · [SVB]IACETf) · Q(VI) · OBIIT · A(N)NOg) · [D(OMI)NIh) · M]i) CCCi) · XXXok) ·l) [I(N) VIGILI]Am) · B(EA)TORV(M)n) · SERGII // ETo) BACHI

Übersetzung:

Der Mann von edlem und ausgezeichnetem Ruf, Herr Eberhard von Stein, einst vorzüglicher Kantor der Mainzer Kirche, der im Jahre des Herrn 1330, am Tag vor dem Fest der hll. Sergius und Bacchus (6. Oktober) starb, ruht unter diesem Grabmal.

Wappen:
Oberstein.

Kommentar

Die wichtigste Frage bei der Betrachtung des Oberstein-Denkmals stellt sich nach der Authentizität der Inschrift. Aus Aktenbefunden ist bekannt, daß die Eberbacher Denkmäler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgebessert wurden; eine Überarbeitung einzelner Steine dürfte auch während der letzten Restaurierung 1935/36 erfolgt sein. Heute sind die Auffüllungen von in Verlust geratenen Randleistenteilen mit steinfarbig rot getöntem Gips und ihre Beschriftung in pseudogotischer Majuskel trotz der Bemühung um Nachahmung der originalen Schriftvorlage deutlich auszumachen. Daß dabei die noch vorhandenen Reste der in den Stein gehauenen Inschrift übersehen bzw. nicht beachtet wurden, zeigt der Befund auf der rechten Randleiste bei QVONDAM. In Höhe des N ist unter dem Gips der Rest eines D sicher zu erkennen. Der Schaft des nachgebildeten D wurde anschließend auf dem Stein weitergeführt; sein Bogen stößt genau auf das linke untere Schaftende des alten A. Das neue A steht genau über dem ursprünglichen rechten Schaft. Auf der linken Randleiste wurden die Kürzungsstriche nach links bei AN(N)O und nach rechts bei D(OMI)NI verschoben. Die Vorlinierungen der Nacharbeiten sind erkennbar.

Die Einordnung der Majuskelschrift zu 1330 verwundert angesichts des kunsthistorischen Befundes und des im Vergleich zu anderen authentischen Inschriften äußerst scharfkantigen, in engen, aber weitgehend gleichbleibenden Wortabständen gehauenen Schriftbildes, dem die an zeitnahen Vergleichsbeispielen feststellbaren Unregelmäßigkeiten in Schlagtiefe und Schlagwinkel völlig fehlen. Die Buchstabenformen erscheinen ungewöhnlich gebildet und manieriert: Das M-förmige A zeigt parallele, gerade stehende Schäfte, einen breiten Deckbalken und einen v-förmig gebrochenen oder geraden Mittelbalken. Das I und sogar die Haste des N tragen jeweils einen runden Nodus. Dem Bogen des C bei CANTOR wurde ein Zierstrich beigegeben; der Abschlußstrich ist nicht wie zeitgenössisch üblich dünn, sondern in der Stärke eines Schaftes gestaltet und endet oben ganz ungewöhnlich stumpf. Eigenwillig sind auch die als Zierstriche gedachten, in die Bögen eingefügten kräftigen Striche bei C und E; beim E setzt an diesen Zierstrichen der Mittelbalken an, statt, wie zu erwarten, am Bogen. Ähnliche Zierstriche finden sich bei D und waagrecht im Bogen des unzialen H.

Bei den Epitheta weichen die Lesarten Helwichs und Bärs voneinander ab. Helwichs Lesung des Textanfangs als NOBILIS ET REVERENDUS VIR verwundert allerdings angesichts des deutlich lesbaren Befundes.3) Sowohl der Eberbacher Anonymus als auch der zuverlässige Abschreiber Pater Bär überliefern den obigen Wortlaut bei sonst identischer Lesung mit dem Textbeginn HVIC TVMVLO. Daß der Text, so ein Verdacht aus Helwichs Lesung und den manierierten und für Eberbach ganz untypischen Schriftformen,4) gemäß der zeitlich später angefertigten Abschrift des Anonymus verändert wurde, ließ sich weder aus der Paläographie noch aus der Untersuchung der Schriftanbringung beweisen; die ungewöhnliche Schrift bedarf freilich noch immer einer Erklärung.

Das qualitätvolle Denkmal wurde in einen Werkstattzusammenhang mit Grabmälern in der Kath. Pfarrkirche von St. Goar gestellt, allen voran mit dem um 1329 entstandenen Bild des hl. Goar selbst, das dem Meister des Oberstein-Denkmals als Vorbild gedient haben könnte.5)

Eberhard von (Ober-)Stein entstammte dem oberhalb der heutigen Stadt Idar-Oberstein ansässigen Geschlecht der Herren von Oberstein. Er war nach Möller der Sohn des Eberhard von Stein und dessen 1304 als Witwe genannter Ehefrau Hebela Marschall von Frauenstein6) oder nach Humbracht des Johann vom Stein.7) Die urkundlichen Erwähnungen des seit 1291 als Kantor bekannten Eberhards,8) der 1298-1300 durch Ernennung Erzbischof Gerhards II. Kanzler König Albrechts wurde, sind zahlreich. Seine Grabwahl in der Zisterzienserabtei geht wohl auf seine eigene Entscheidung zurück. Das Sterbedatum ist sicher mit 13309) festzumachen, wofür auch der Wechsel in der Mainzer Domkantorei spricht.10) Die Lesung 1331 beruhte auf dem Zusammenziehen des letzten Zehnerzeichens mit dem nachfolgenden I, worin man eine Zahl erblickte, statt es zu I(N) aufzulösen. Zudem übersah man den nach dem letzten Zehner folgenden Worttrenner.

Textkritischer Apparat

  1. Das Schluß-E kaum erkennbar kleinformatig auf der oberen Randleiste. Die Auflösung zu FAM(ILI)E wäre ebenfalls möglich, vgl. Anonymus, wiewohl die vorgeschlagene Lesart angesichts der Biographie des Verstorbenen sinnfälliger erscheint.
  2. Helwich überliefert Nobilis et reverendus vir.
  3. Ergänzt nach Helwich, gekennzeichneter Textteil in Gips ergänzt und mit gotisierenden Buchstaben nachempfunden.
  4. Bei QVONDAM ist das D unten offen; die nachgearbeiteten Buchstaben stimmen nicht mit dem am unteren Zeilenrand durch eine Abplatzung sichtbaren ursprünglichen Befund überein.
  5. Textbeginn hier gesehen von Anonymus, Bär, Würdtwein.
  6. SVB neu in Gips ergänzt.
  7. Kürzungsstrich sitzt unüblicherweise links versetzt über dem A.
  8. DNI und linke Haste des M in Gips ergänzt; auf dem Rand über M ein Kürzungsstrich (!).
  9. Kürzungsstrich über dem M. Nach Bär besaßen die Zahlwörter kleine hochgestellte o, die heute nur bei XXX zu entdecken sind.
  10. Nach dem letzten Zahlzeichen ist der Stein herausgebrochen.
  11. Ein winziges Stückchen des Worttrenners ist erhalten.
  12. ILI in Gips ergänzt. Das von Bär überlieferte VIG(I)LIA mit Kürzungszeichen über g dürfte die authentische Version sein.
  13. Erster Kürzungsstrich zwischen T und O, zweiter über V.
  14. Ab ET in zweiter Zeile.

Anmerkungen

  1. Nach Anonymus im Grafenchor „ad pilam“.
  2. Suckale 226 Nr. 23.
  3. Eine Identifizierung mit dem nach 1803 zerstörten Stein des Erzbischofs Johann von Luxemburg-Ligny (Nr. 106) erweist sich aufgrund der verschiedenen Wappen als unhaltbar, vgl. Helwich, Syntagma 157, der das Oberstein-Wappen mit dem roten, goldgekrönten Löwen in silbernem Feld wiedergibt. Auch trug der Nachricht Strambergs (v. Stramberg, Rheinischer Antiquarius II 11 wie bei Nr. 569) zufolge der Erzbischof den Bischofsornat, Mitra und Stab. Da dieser im vorliegenden Falle fehlt, muß es sich bei der vorstehenden Figurenplatte unstreitig um diejenige Eberhards von Oberstein handeln.
  4. Fuchs, Helwich 96f.
  5. Hierzu jüngst Kessel, Heiligenverehrung 209; bei Suckale wird das Denkmal auf 1330 datiert. Es muß geprüft werden, wie weit vom Todestag zeitlich entfernt das Denkmal wirklich entstand und ob sich Verwandtschaften in der Figurenbehandlung und einzelnen Architekturformen zu den wenig später entstandenen Grabmälern der Mainzer Erzbischöfe Peter von Aspelt und Matthias von Bucheck ergeben, vgl. Einleitung Kap. 5.5. bei Anm. 503.
  6. Möller, Stammtafeln NF II Taf. CXXII.
  7. Humbracht Taf. 60, Conrad 64 nennen ihn als Sohn des Johann vom Stein.
  8. Hollmann 454; Kisky 147.
  9. Gegen die falsche Datierung zu 1331 auf der Informationstafel neben dem Grabmal in der Eberbacher Kirche.
  10. Hollmann 454; falsches Datum bereits bei Joannis, Rer. Mog. II 377, der IV als Zahlzeichen statt I(N) V(IGILIA) auffaßte und zur Jahreszahl zog; er datierte entsprechend das Testament des Kantors auf den 1. Oktober 1334 (richtig ist 1330 September 28) und veränderte Eberhards Todestag auf den 7. Oktober 1334. Daß beide Daten irrig sind, ergibt die Urkunde bei NUB I 3 Nr. 2020 zu 1334 Januar 17; vgl. dort auch Nr. 1945. Das Domanniversar nennt ebenso irrig als Todesdatum den 7. Oktober 1334, vgl. nochmals Joannis, Rer. Mog. II 328-331, hier 331 und Humbracht Taf. 60.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 157.
  2. Anonymus ed. Roth, Geschichtsquellen III 80.
  3. Bär, Epitaphiensmlg. fol. 1v.
  4. Würdtwein, Epitaphienbuch 235.
  5. Roth, Geschichtsquellen III 257.
  6. Beitr. Gesch. Erzstift 27.
  7. Luthmer (1921) 63 m. Fig. 61.
  8. Börger Taf. 8.
  9. Fischel 48, 53 m. Abb. XX, XXI.
  10. Eydoux 75 m. Fig. 116.
  11. Schaum-Benedum 4ff., 152f. m. Abb. 2.
  12. Kdm. 81 Nr. 11 m. Abb. 631.
  13. Suckale 226 Nr. 23 m. Abb. 40.
  14. Monsees, Bemerkungen 70.
Addenda & Corrigenda (Stand: 18. Oktober 2021):

Neuer Standort: Das Grabdenkmal befindet sich aktuell an der Westwand der östlichsten Südkapelle.
Kommentar: Nach einer neueren komplexen genealogischenUntersuchung entstammte Eberhard von Stein nicht der Familie der Herren von Oberstein, sondern ist der Familie der Rheingrafen von Stein zuzuordnen; als seine Eltern werden Werner und Hildegard von Wartenberg benannt, vgl. Peter Stammitz: Zur Herkunft des Mainzer Domkantors Eberhard von Stein (1293-1330). In: Landeskundliche Vierteljahrsblätter 47 (2001), Heft 2, S. 57-72, bes. 69f.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 41 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0004107.