Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)
Nr. 16 Bärstadt, Ev. Kirche (aus Selhain?) 13.Jh.
Beschreibung
Namensansage. Marienglocke ohne Verzierung im Westturm der bereits 1194/98 erstmals erwähnten Martinskirche1) nach Norden. Sie soll mündlicher Überlieferung zufolge aus dem zu den sog. Überhöhischen Dörfern gehörenden, längere Zeit vor 1585 wüst gewordenen Dorf Selhain1) stammen, das zur Pfarrei Niedergladbach gehörte und eine eigene Kirche besaß, deren Pleban im 15. Jahrhundert urkundlich erwähnt wird.2) Die größte und älteste Glocke des aus drei Glocken (Nrr. 231, 232) bestehenden Bärstadter Geläutes soll im Dreißigjährigen Kriege vergraben worden sein.3) 1942 zur Einschmelzung vorgesehen, überdauerte die Marienglocke den Zweiten Weltkrieg auf dem Hamburger Glockenfriedhof.4) Auf der Schulter läuft die Inschrift zwischen zwei Rundstegen um. Gewicht 600 kg.
Maße: H. m. Krone ca. 103, Dm. 90,5, Bu. 4,5-5 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel, früh.
MARIA VOCOR
Übersetzung:
Maria heiße ich.
Anmerkungen
- Zur Geschichte der Pfarrei s. Gensicke, Bärstadt, 14-18.
- Ebd. 16 mit Anm. 87.
- Wiesbadener Kurier vom 31.12.1988, 7, basierend auf Aufzeichnung Franz Theodor Klingelschmitts und des Heimatforschers August Krieger, Bärstadt.
- Ebd.
- Vgl. Beispiele in den Bänden des DGA, hier vor allem Bd. Württemberg-Hohenzollern.
- Vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 26.
- Beispiele bei Walter 204.
- DGA Württemberg-Hohenzollern 3-4.
- Abgebildet bei Renard 6.
- Ebd. 7.
Nachweise
- Luthmer (1921) 120.
- Schwarz, Glocken 6d.
- Gensicke, Bärstadt 15.
- Artikel Wiesb. Kurier 31. Dez. 1988, 7.
Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 16 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0001606.
Kommentar
Aufgrund der Form des Glockenkörpers mit der runden Schulter und steilen Flanke als auch der Fadenmajuskel5) ist die Entstehung der Marienglocke im Verlauf des 13. Jahrhunderts sicher. Eine weitere, sich selbst mit Namen nennende Marienglocke findet sich etwa 1298 bei der zweitgrößten Mainzer Domglocke.6) Dagegen tritt das reine MARIA VOCOR ohne weiteren Zusatz erst im beginnenden 14. Jahrhundert häufiger in Holland7) auf. Der Bärstadter Glocke kommt aus textlichen wie epigraphischen Gründen besondere Bedeutung im Bearbeitungsgebiet zu. Ihre Wachsfadeninschrift ist charakterisiert durch ca. 10 cm weite Abstände zwischen den doppelfädigen Buchstaben, durch die spiralförmig aufgerollten Hasten- und Bogenenden und das unziale halbgeschlossene, weit nach rechts geneigte M. Das A kommt in zweierlei Formen vor: Einmal sind Balken, Sporen und die Enden des gebrochenen Mittelteils an den Enden spiralförmig eingerollt. Das gleiche A findet sich auf der zeitgleichen Majuskelglocke in Heidenrod-Dickschied (folgende Nr.), die wohl derselben Gießerhand zuzuordnen ist. Ähnliche Formen des A tragen die vor oder um 1200 gegossene Glocke in der Herrenberger Stiftskirche8), die Marienglocke in der Liebfrauenkirche zu Oberwesel9) mit doppelt aufgelegten Wachsfäden und die Glocke in der Abteikirche zu Mönchengladbach vom beginnenden 13. Jahrhundert.10) Die zweite Form des Bärstadter A hat gleichfalls einen nach außen aufgerollten Deckbalken, aber eine leicht nach außen stehende rechte Haste ohne Fuß, während der linke Schaft mittig gebrochen unter die Linie geführt ist und kleinere Rosetten als Schmuck trägt. Das I besitzt wie in Dickschied einen Nodus. Ebenfalls identisch ist das nach rechts offene C.