Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 11† Eberbach (?) 1238? o. kurz danach

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Grabschrift für den Eberbacher Mönch und Rektor des Klosters Lorsch, Hertwich. Die Ausführung der Verse ist ebenso unbekannt wie ihr möglicher Anbringungsort.

Nach Handschrift Ms. Laud.1)

  1. Utilis ecclesie sancte famulando MarieExtitit Hertwicus anime viciis inimicus.Post hec Laurissea), lector, cognosce fuisseIpsum rectorem, talem nec amavit honorem.Nunc hic in hac fossa requiescunt illius ossa,Spiritus in celis ope letus sit Michahelis.

Übersetzung:

Der Kirche der hl. Maria zeigte sich Hertwich nützlich durch seinen Dienst und er war ein Feind der Laster der Seele. Danach war er, nimm dies zur Kenntnis, o Leser, Rektor in Lorsch, doch liebte er diese Ehre nicht. Nun ruhen seine Gebeine in dieser Grube, sein Geist aber möge durch die Hilfe des hl. Michael froh im Himmel sein.

Versmaß: Sechs Hexameter, zweisilbig rein.

Kommentar

Der mit Schlangenlinien eingerahmte Sechszeiler befindet sich am Schluß der Handschrift.2) Die Verse stammen nicht von der Haupthand der ins 13. Jahrhundert zu datierenden3) Handschrift, sondern wurden von demselben (späteren?) Schreiber nachgetragen, der die erste Seite mit dem Herkunftseintrag „Liber hic Marie Virginis in Eberbach“ versah.4) In der Inschrift weist auch die Nennung des Marienpatroziniums auf Eberbach hin. Die Formulierungen utilis und famulando dokumentieren die Zugehörigkeit des genannten Hertwich zum Eberbacher Konvent in der Funktion eines Amtsträgers. Urkundlich ist tatsächlich ein Eberbacher Mönch gleichen Namens als Subzellerar für das Jahr 1217 und als Zeuge in Eberbacher Urkunden bis Ende 1232 nachzuweisen.5)

Aus der dritten Zeile des Gedichts – eingeleitet mit post hec – läßt sich die Beteiligung Hertwichs an den Vorgängen um die Neubesiedlung des Klosters Lorsch entnehmen, die zeitlich nach seiner vorherigen Tätigkeit anzusetzen ist. 1231 oder 1232 hatte Erzbischof Siegfried III. von Mainz den päpstlichen Auftrag erhalten, das Benediktinerkloster Lorsch infolge der dort herrschenden Mißstände mit Zisterziensern zu besiedeln.6) Mit der Erlaubnis des Generalkapitels von Cîteaux entsandte Eberbach nach anfänglichen Widrigkeiten erst 1234 einen Konvent nach Lorsch,7) zu dem auch Hertwich gehörte. Wie es in der Leseranrede heißt, bekleidete er dort den Rang des Rektors. Diese für einen Abt ungewöhnliche Amtsbezeichnung weicht von der sonst in Eberbacher Urkunden üblichen Formulierung „abbas“ völlig ab. Da eine Vers- oder Grabschrift jedoch anderen sprachlichen Gesetzen folgt als Urkunden, liegt nach Meyer zu Ermgassen die Erklärung in den Erfordernissen des Metrums (rectorem – hono- rem).8) Man könnte sich natürlich auch einen Prior an der Spitze des Lorscher Konvents vorstellen, wobei mit priorem das Metrum ebenfalls ungestört bliebe. Verbunden mit der Amtsbezeichnung wird der auffällige Hinweis, daß Hertwich die Ehre seines Amtes nicht schätzte. Der Hintergrund für seine Abneigung ist in den unerfreulichen Ereignissen in Lorsch zu suchen. Dort wurden die Zisterzienser von den Benediktinern, die vom Pfalzgrafen begünstigt wurden, mehrfach belästigt und bedroht. Schließlich führten die leider nur spärlich dokumentierten Auseinandersetzungen zu einem Überfall auf die Zisterzienser, der in der Verletzung mehrerer Mönche am Altar und in der Tötung ihres namentlich ungenannten Priors am 9. Juni 1238 durch Angehörige des Benediktinerkonvents kulminierte. Offen bleibt dabei, ob Hertwich mit dem ermordeten Prior identisch war, was zumindest die Gleichsetzung der Amtsbezeichnungen Prior und Rektor voraussetzen würde. In den Urkunden ist nur von dem „Kloster Lorsch“ als Beschwerdeführer des Vorfalls, nicht aber von einem Vorsteher oder Abt (im Sinne von „abbas (rector) et conventus“) die Rede.9) Mit der Ermordung des Priors war das Ende der zisterziensischen Niederlassung vorgezeichnet. Daß der Konvent nach Eberbach zurückgekehrt sein dürfte, liegt auf der Hand, wenngleich diese Rückkehr urkundlich nicht belegt ist.

Die Annahme von Hertwichs Tod in Lorsch bleibt spekulativ. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte man seine Leiche angesichts der unsicheren Lorscher Situation ins Mutterkloster gebracht und dort bestattet. Ebenso wäre aber auch seine Amtsresignation und die wohlbehaltene Rückkehr nach Eberbach möglich. Die Frage bleibt offen, zumal in der Klostertradition außer dem Grabgedicht jede weitere Spur fehlt. Immerhin hätte die Sepultur eines Eberbacher Mönches als Vorsteher eines aufgegebenen Filialklosters in seinem Mutterkloster zumindest das fortgesetzte Seelengedenken des Konvents gesichert. Im Eberbacher Seelbuch findet sich zwar zum 14. April die Nennung eines „Hertwicus sacerdos et monachus huius loci“10), doch erscheint eine Zuordnung zu dem Lorscher Rektor Hertwich angesichts der Häufigkeit dieses Namens im Mainzer Umkreis zu unsicher. Daß es sich unstreitig um eine Grabschrift handelte, ist der vorletzten Zeile zu entnehmen. Die Formulierung in hac fossa requiescunt illius ossa ist nicht nur ein weitverbreitetes mittelalterliches Formelgut,11) sondern findet sich in Eberbach nochmals in vergleichbarer Form bei dem 1346 verstorbenen Prior Ensfrid (Nr. 64).

Textkritischer Apparat

  1. Meyer zu Ermgassen Lanpisse. Die Prüfung dieser Stelle in der Hs. ergab jedoch die obige Lesung.

Anmerkungen

  1. Oxford, Bodleian Library, Ms. Laud. Misc. 293, auf fol. 1v bez. mit: Liber Guil. Laud. Archiepi. Cant. et Cancellar. Universit. Oxon 1638, wobei das Datum den Erwerb der nach der Plünderung der Klosterbibliothek im 30j. Krieg nach England gelangten Hs. bezeichnet. Alle Angaben zu der Hs. verdanke ich Herrn Dr. Martin Kämper, Übach-Palenberg. Daß es sich um eine Eberbacher Hs. des 13. Jh. handelte, teilte Prof. Nigel F. Palmer, Oxford, mit.
  2. Ebd. fol. 216r als letzte beschriebene Seite halbrechts unter dem Textende.
  3. Meyer zu Ermgassen, Hertwich 415 u. frdl. briefliche Mitteilung vom 17. März 1993. Ambrosius Schneider, Deutsche und französische Cistercienser-Handschriften in englischen Bibliotheken. In: Cist. Chron. 69 (1962) 43-54, hier 50 Nr. 34 datiert die Hs. in die 1. H. 13. Jh., wobei diese Zeitstellung nicht für das von einer Zweithand nachgetragene Grabgedicht gilt.
  4. Wie Anm. 1, fol. 1v.
  5. Meyer zu Ermgassen, Hertwich 415 mit Anm. 41.
  6. Meinrad Schaab, Bergstraße und Odenwald, 500 Jahre Zankapfel zwischen Kurmainz und Kurpfalz. In: Oberrh. Stud. 3, Fschr. f. Günther Haselier aus Anlaß s. 60. Geb. (...) Karlsruhe 1975, 237-266; ders., Schönau; kurz auch bei Meyer zu Ermgassen, Hertwich 408-413.
  7. Meyer zu Ermgassen, Hertwich 412f.
  8. Ebd. 416f. Im Beschluß des 4. Laterankonzils von 1215, worin die Abhaltung von Generalkapiteln in allen Kirchenprovinzen und die Visitation der Klöster durch geeignete Personen in Stellvertretung des Papstes festgelegt wurde, wird der Begriff „rector“ synonym für alle Klostervorsteher verwendet, lt. frdl. Hinweis Dr. Sebastian Scholz, Mainz, vgl. Conciliorum oecumenicorum decreta, conc. Lateranense IV, const. 12, edd. J. Alberigo, P.-P. Joannou (u.a.). Basel, Freiburg, Wien 1962, 216f. Ein zeitnahes Beispiel findet sich auf dem Grabmal Erzbischof Siegfrieds III. (†1249), der rector fuldensis genannt wird, vgl. DI 2 (Mainz) Nr. 22.
  9. Die Nachricht von der Ermordung des Priors findet sich in BayHStA, Mainzer Urk. 68. An dieser Stelle ist dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München, vor allem Herrn Archivrat i.A. Kruse, für die frdl. Unterstützung vom 31. März 1993 herzlich zu danken.
  10. Roth, Geschichtsquellen III 27.
  11. Es findet sich z.B. bei den Grabschriften des Beda Venerabilis (Migne, Patrologiae lat. XC, col. 54); DI 2 (Mainz) Nr. 25; DI 26 (Osnabrück) Nr. 19; DI 32 (Aachen Stadt) Nr. 2.

Nachweise

  1. Oxford, Bodleian Library, Ms. Laud. Misc. 293 fol. 216r.
  2. Meyer zu Ermgassen, Hertwich 414.
Addenda & Corrigenda (Stand: 28. September 2021):

Kommentar: Die These, dass der hier genannte Verstorbene Hertwich mit dem ermordeten Prior des Filialklosters Lorsch identisch sein könnte, lässt sich durch den Handschriftenbefund erhärten: In der Oxforder Handschrift ist das Wort rectorem über ein radiertes Wort gesetzt, das unter unter der Quarzlampe als [...]iorem bzw. p[...]iorem zu lesen ist. (Vgl. Nigel F. Palmer: Zisterzienser und ihre Bücher. Die mittelalterliche Bibliotheksgeschichte von Kloster Eberbach im Rheingau unter besonderer Berücksichtigung der in Oxford und London aufbewahrten Handschriften. Regensburg 1998, S. 18f.)

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 11† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0001106.