Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)
Nr. 3† Bleidenstadt, ehem. Klosterkirche um 850
Beschreibung
Zwei Versinschriften oder zweiteiliges(?) Grabgedicht des Hrabanus Maurus. Ausführung unbekannt, Anbringungsort wahrscheinlich am oder nahe beim Ferrutius-Sarkophag. Die Inschrift (A) berichtet über die Translation der Gebeine des hl. Ferrutius und die Stiftung seines Schreines, während Inschrift (B) ein Erinnerungsgedicht auf den Heiligen ist. Von Helwich nur (A) überliefert.1)
Nach Helwich, MGH (B).
- A
Martyris ergo sacri dudum huc transtulit ossaFerrutii Lullus praesul et urbis honor.Richolphusa) post haec, Haistulphusb) praesul et ipseAmplificant aulam, aedificant tumulum.Quorum successor vilis Rabanusc) ad instarMaiorum hanc arcamd) condidit et titulum.
- B
Grandis honor Christi cultoribus extat ubique,Maxime qui pro ipso iam posuere animam.Horum nam unus erat Ferrutius almus et aptusMartyr cum Albano testificans socio,Praemia quis Christus tribuit pro sanguine fusoAeternam vitam et regna superna poli.Edidit hos versus Hrabanus, coactus amoreSanctorum, omnipotens cui miserere Deus.
Übersetzung:
Vor langem überführte Lul, Bischof und Ruhm seiner Stadt, die Gebeine des heiligen Märtyrers Ferrutius hierher. Danach erweitern Richolf und Haistulf, Bischöfe auch jene, das Gotteshaus und erbauen das Grabmal. Ihr Nachfolger, der demütige Hrabanus, hat nach dem Beispiel der Vorgänger diesen Sarg und die Inschrift gestiftet (A). – Die erhabene Ehre Christi zeigt sich überall durch die Gläubigen und ganz besonders durch jene, die schon für ihn ihr Leben gegeben haben. Einer von ihnen war Ferrutius, der gütige und liebenswerte Märtyrer, der mit seinem Gefährten Albanus das Zeugnis ablegte. Und ihnen hat Christus als Lohn für das vergossene Blut das ewige Leben und das erhabene Himmelreich gewährt. Diese Verse verfaßte Hrabanus, gedrängt von der Liebe zu den Heiligen; seiner erbarme dich, allmächtiger Gott (B).
Versmaß: Drei und vier Distichen.
Textkritischer Apparat
- MGH Riculfus.
- Ebd. Haistulfus.
- Ebd. Hrabanus.
- Helwich korrigiert aus aram mit überschriebenem c.
Anmerkungen
- Helwich, der die Abtei Bleidenstadt am 20. Oktober 1615 besuchte, beschränkte sich in seinem Kommentar auf die Bemerkung „Rabani versus Archiepiscopi de translatione eiusdem martyris“; s. auch Meyer-Barkhausen, Versinschriften 81.
- Ausführlich Meyer-Barkhausen 57; vgl. auch Franz Brunhölzl, Zur geistigen Bedeutung des Hrabanus Maurus. In: Hrabanus Maurus. Lehrer, Abt und Bischof. Hrsg. v. R. Kottje u. H. Zimmermann. Wiesbaden 1982. (Akad. d. Wiss. u. d. Lit. Mainz, Abhandl. d. Geistes- u. Sozialwiss. Kl., Einzelveröff. 4.) 1-17. Zu anderen HrabanusInschriften vgl. Hrabani Mauri Carmina, passim.
- Meyer-Barkhausen 57; vgl. zum Material der Reliquienbehälter Braun, Reliquiare 85ff. und 681-726 zur Anbringung von Inschriften.
- Dabei wurden hier möglicherweise auf den offensichtlich für Hrabanus typischen hölzernen Reliquienbehältern „die Tituli in vergoldeten Buchstaben angebracht“, vgl. Meyer-Barkhausen 58f.
- Braun, Reliquiare 31 mit Anm. 4, worin er auf die (nicht mit Ferrutius zusammenhängende) Formulierung Hrabans in dessen „Carmina“ verweist: „De reliquiis in quadam arca positis“. Erst seit dem 12. Jh. sind wieder mehrere Belege zu „arca“ im Sinne von Reliquienbehälter vorhanden, vgl. ebd. 31f.
- Vgl. Angenendt, Heilige 102f. u. DI 38 (Lkr. Bergstraße) XXIVf.
Nachweise
- Hrabani Mauri Carmina ed. MGH Poetae Lat. II 225 Nr. LXX.
- Verzeichnisse Bleidenstadt fol. 1v (A).
- Helwich, Syntagma 430 (A).
- AASS Oct. 28 XII 531.
- Böhmer/Will, Monumenta Blid. X.
- Kraus, Christl. Inschriften II Nr. 271 II.
- Kipke, Bleidenstadt 34.
Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 3† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0000305.
Kommentar
In Hrabanus‘ literarischem Werk nimmt die Tituli-Dichtung einen verhältnismäßig breiten Raum ein, hatte man doch bei den von ihm gegründeten oder ausgeschmückten Kirchen einen hohen Bedarf an metrischen Inschriften.2) Inhaltlich dienen diese im wesentlichen der Heiligen- und Reliquienverehrung, geben die Erbauer oder Stifter von Kirchen und ihrer Innenausstattungen an oder fordern den Leser zum Gebet bzw. zum Gedenken an den Stifter auf; im vorliegenden Fall bittet Hrabanus um das fromme Andenken für sich als Autor der Verse. Die ausgeführten Inschriften wurden üblicherweise als Wand- oder Tafelmalerei gefertigt oder auf Reliquienschreinen angebracht, wobei man über dem die Reliquien bergenden Steinbehälter einen Holzaufbau errichtete, der vielfach reich geschmückt und ringsum mit Inschriften versehen wurde.3)
Das mehrfach überlieferte Gedicht (A) berichtet von der Überführung der Reliquien durch Erzbischof Lul (ca. 754-786) in das von ihm als Mainzer Eigenkirche gegründete Kloster. Seine Nachfolger, die Erzbischöfe Richolf und Haistulf, erweiterten die 812 durch Richolf geweihte Kirche und schmückten sie aus, wozu die Errichtung des Schreins gehörte. Hrabanus seinerseits, der sich als Verfasser der Verse selbst nennt, trug zu der Verzierung des beschrifteten Ferrutius-Schreins bei.4) Die von Hrabanus gewählte, wohl im Sinne von Reliquiar zu verstehende Bezeichnung arca begegnet in den älteren Quellen vorzugsweise in seinen eigenen Werken.5)
Die zweite Versinschrift (B) mit dem Lob des Märtyrers enthält die theologische Vorstellung der direkten Erringung des Himmelreiches als Lohn für erlittene irdische Qualen, wie sie nach der damaligen Auffassung nur den Seelen der Märtyrer und Heiligen möglich war, während alle anderen Seelen Verweilphasen durchstehen mußten.6)