Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 63(†) Boppard, Karmeliterkirche 1407?
Beschreibung
Wandmalerei mit Darstellungen aus der Vita des hl. Alexius von Edessa. Die 1847 an der Südwand des Hauptschiffes aufgedeckten, 1886 bereits "fast ganz unkenntlich"1) gewordenen Wandmalereien wurden - nachdem eine Wiederherstellung nicht zustande gekommen war - nach 1901 wieder "ganz überstrichen"2), blieben jedoch durch die damals von dem Kirchenmaler Holtmann angefertigten, von Clemen veröffentlichten Aquarell-Kopien3) bekannt. Wieder aufgedeckt bei der grundlegenden Sanierung der Kirche ab 1979, wurde zwischen 1989 und 1991 nur die außerordentlich stark beschädigte Darstellung4) der Alexius-Vita von der Restaurierungswerkstatt Wurmdobler wiederhergestellt5), nicht aber die sich darüber befindliche, durch Reichensperger und eine vor 1854 angefertigte Zeichnung von Nikolaus Schlad überlieferte Stifterdarstellung mit inschriftlicher Datierung. Diese in drei Zeilen ausgeführte Inschrift (A) befand sich über einem barhäuptigen, eine (Wappen)Fahne6) haltenden Ritter, der vor einer lebensgroßen, auf einer Wiese stehenden Muttergottes mit Kind kniete. Hinter ihm waren in etwa gleicher Größe sechs Vollwappen aneinandergereiht, davon das erste, zweite und letzte mit erkennbarer Zeichnung. Die Alexius-Vita erstreckt sich über zwei Streifen mit oben acht, unten sieben querrechteckig gerahmten Feldern. In jedem Feld steht oben der Name des in Pilgertracht dargestellten Heiligen (B-P), der gelegentlich in winziger Schrift innerhalb der Darstellung wiederholt wird (G2, I2, N2). Das vorletzte Feld ist doppelt so groß wie die übrigen. Es folgen nacheinander von links nach rechts: Geburt des Alexius in seinem reichen Elternhaus (B), Almosenspende an einen Lahmen (C), Abschied von seiner Braut (D) und seinen Eltern (E), Schiffsfahrt nach Edessa (F), Gebet im Hof der dortigen Marienkirche (G1/G2), Almosenempfang von einem Ritter (H), Schiffsfahrt nach Ägypten (dabei ein Wappenschild in der rechten unteren Ecke) (I1/I2), Aufnahme des als Pilger verkleideten in sein römisches Elternhaus (K), unerkanntes Wohnen unter dessen Treppe (L), Demütigung durch einen Diener (M), Auffinden des Verstorbenen durch den Papst im Beisein der Eltern (N1/N2), Begräbniszug mit Papst und Eltern (O), Verehrung des aufgestellten Sarkophages in einer Kirche (P). Im letzten Feld zwei disputierende, ebenfalls namentlich bezeichnete Heilige (Q) und zwei zu ihren Füßen kniende Personen.
Nach Reichensperger, Wandmalereien 1 (A) und Aquarell Holtmann (B, C).
Maße: Bu. ca. 5 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
- A†
dit wart gemacht do .... Konyng was A(nno) D(omini) MCCCCVIIa)
- B-P(†)
· s(anctus) · alexius ·
- Q(†)
· s(anctus) · thebaldus · · s(anctus) · leonardus ·
Schöneck (mit dem Balken)7); unbekannt8); leer; leer; leer; Eich (zu Olbrück). |
unbekannt9) |
Textkritischer Apparat
- Dit wart gemacht do ..... ein konyng was A. D. M C.C.C.C.VII (1496) Schlad, Chronick 1; die wart gemacht d[.] bis / Max · ein konyng was / ann(o) · d(o)m(ini · m · cccc · [.]ii Schlad, Chronick 2; dit wart gemacht do Maximilian ein konyng was. Anno D(omi)ni MCCCCVCI Nolden; M.C.C.C.C.C.VII. Rhein. Antiquarius; dit wart gemacht do .... Kanyng was A. D. MCCCCVII Reichensperger, Wandmalereien 2; dis ward gemacht / an(n)o d(o)m(ini) mccccvii Holtmann; Clemen; Kubach/Verbeek; Kdm. - Auf der Zeichnung von Nikolaus Schlad sind bei der damals offenbar nicht mehr eindeutig zu lesenden Jahreszahl am Ende statt v zwei Hastenenden angegeben. Offen bleibt, ob Reichensperger die von ihm etwa zehn Jahre zuvor kommentarlos mitgeteilte Jahreszahl wirklich noch besser lesen konnte.
Anmerkungen
- Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 571.
- Clemen 285.
- Die damals im Pfarrarchiv aufbewahrten, noch von Kubach/Verbeek benutzten Aquarell-Kopien (Gesamtaufnahme mit fünf Details) sind verschollen; freundliche Auskunft von Herrn Dipl.-Archivar Stefan Nicolay, Bistums-Archiv Trier, vom 27. März 2002.
- Vgl. dazu Kdm. mit dem 1987 vor Beginn der Restaurierung aufgenommenen Foto.
- Vgl. dazu ausführlich Kern.
- Reichensperger wollte "auf dem Paniere noch Spuren eines Löwen" gesehen haben und identifizierte den Bannerträger als Mitglied der Beyer von Boppard; Holtmann dagegen gab den Wimpel leer wieder.
- Sicher identifiziert durch die Helmzier, einen gekrönten Jünglingskopf.
- Ein Balken, begleitet von drei 2:1 gestellten Kugeln; Hz.: eine Kugel zwischen zwei mit Balken bezeichneten Büfelhörnern.
- Silber/Rot geteilt.
- Rätselhaft bleibt, warum der Restaurator die Namensbeischriften H und L nicht ausgeführt sowie K, M und N von der oberen auf die untere Leiste versetzt hat.
- Vgl. dazu im LfD Mainz aufbewahrte Repro des Aquarells von Holtmann mit dem Titel "Entwurf für die Wiederherstellung der alten Wandgemälde in der ehem. Karmeliterkirche zu Boppard"
- Vgl. zum Folgenden Möller, Stammtafeln AF III Taf. 138.
- Sie waren die Enkel des 1363/64 verstorbenen und im Chor der Karmeliterkirche begrabenen Ehepaars Philipp und Irmgard von Schöneck; vgl. dazu Nr. 45.
- Vgl. zu der im Mittelalter gut überlieferten und viel rezipierten Vita Krausen, Alexius von Edessa pass.
Nachweise
- Reichensperger, Wandmalereien 1, 7.
- Zeichnung von Nikolaus Schlad, beschriftet "Alte Wandmalereien in der Karmeliter Kirche ober der Kanzel", in: Schlad, Chronick 2 (A, E-I, N, O).
- Schlad, Chronick 1, o. P. (A, B (einmal), Q).
- Nolden, Karmeliterkirche 4 und 6.
- Rhein. Antiquarius II 5, 526.
- Reichensperger, Wandmalereien 2, 422f.
- H. Holtmann, Aquarell (Lfd Mainz, Fotoarchiv, Neg.-Nr. R 2495/16 (Repro).
- Martini, Carmel 297.
- H. Holtmann, Aquarell-Kopie (angefertigt im Jahr 1900), in: Clemen, Gotische Monumentalmalereien 186 mit Abb. 289 (O) und Taf. 66).
- Clemen, Gotische Monumentalmalereien 287 (A) mit Abb. 289 (O) und Taf. 66 (nach Holtmann).
- Kubach/Verbeek, Denkmälerinventar I 104 (A).
- Kdm. Rhein-Hunsrück 2.1, 337f. (A nach Clemen) mit Abb. 218.
- Kern, Wandmalerei (Ms.).
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 63(†) (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0006303.
Kommentar
Die heute in schwarzer Farbe aufgetragenen Inschriften dürften sich zwar hinsichtlich des Wortbestandes und der Plazierung an den Vorlagen10) orientieren, sind aber ansonsten vollkommen das Produkt der jüngsten Wiederherstellung. Deutlich wird dies an einigen völlig mißratenen Buchstaben: Das Anfangs-a bei alexius mutiert zu einem kastenförmigen, unten offenen a mit zwei ungebrochenen, parallelen Schäften, das e erhält gelegentlich einen nicht nach unten, sondern nach oben weisenden oberen Bogenabschnitt mit ihn begleitendem Zierstrich, und das x wird aus zwei gleichstarken gekreuzten Schrägschäften gebildet.
Obwohl die Ergänzung der drittletzten Ziffer der Jahreszahl nach wie vor offen bleibt, bildet nicht sie das eigentliche Problem der Datierung; vielmehr stehen die in Frage kommenden Jahresangaben im Widerspruch zu dem anderen Datierungskriterium: der seit Nolden tradierten Nennung des seit 1486 als König, seit 1508 als Kaiser fungierenden und 1519 verstorbenen Maximilian (I.). Da aber schon Nolden die von Reichensperger noch fragmentarisch mitgeteilte Inschrift durch die Ergänzung des Namens und die veränderte Jahreszahl 1496 offensichtlich gegen den Befund "vervollständigt und berichtigt" hatte, löste der Rhein. Antiquarius das Problem auf ähnliche Weise, indem die Jahreszahl zu 1507 korrigiert wurde. Noch drastischer ging fünfzig Jahre später Holtmann vor, der bei seinem Wiederherstellungsvorschlag die problematischen Teile der Inschrift unterschlug und formal wie inhaltlich eine neue Inschrift kreierte11). Relativ einfach machte es sich die jüngste Restaurierung, indem sie den gesamten Komplex der Datierung mit den zugehörigen Malereien nicht beachtete und bei der Wiederherstellung wegließ. Auch wenn im Folgenden keine zufriedenstellende Lösung vorgeschlagen werden kann, so weist doch die kunsthistorische Bewertung in eine eindeutige Richtung: Sowohl die früheste Überlieferung bei Reichensperger als auch die auf der Zeichnung von Schlad wiedergegebenen Kostüme der Personen (Frauen mit Kruseler, Ritter mit Lendner und tiefhängenden Schwertern) sowie der teppichartig strukturierte Hintergrund der einzelnen Felder weisen eher auf den Beginn des 15. als des 16. Jahrhunderts als Zeitpunkt der Entstehung der Wandmalereien.
Sollte es sich bei dem ersten Wappen hinter dem knienden Ritter um das des Stifters gehandelt haben, so finden wir ihn im Kreis der Herren von Schöneck mit Sitz auf der gleichnamigen, unweit Boppards im Hunsrück gelegenen Burg. Die Ahnenprobe ist zwar nicht mehr zu rekonstruieren, doch lassen sich vielfältige Beziehungen zwischen diesem Geschlecht und der Familie von Eich nachweisen12): Die vor 1388 verstorbenen Brüder Friedrich und Philipp III. von Schöneck13) waren jeweils mit einer Tochter des Peter von Eich verheiratet; die aus diesen Ehen stammenden, bis 1446 bzw. 1454 bezeugten Söhne Peter und Johann könnten demnach als Stifter der im Spätmittelalter beliebten, Demut und Weltverachtung symbolisierenden Alexius-Legende14) in Frage kommen. Der Grund für die Darstellung der mit Alexius in keiner Beziehung stehenden Heiligen Theobald von Thann und Leonhard von Noblac ist unklar. Ebenso bleibt offen, warum die Inschriften nicht - wie sonst üblich - eine Erklärung der Einzelszenen bieten, sondern lediglich stereotyp den Namen des Protagonisten wiederholen.