Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 10 Koblenz-Ehrenbreitstein (aus Boppard) 2.H.6.-7.Jh.?

Beschreibung

Grabstein der Fredoara. Am 13. Juni 1995 während Ausgrabungsarbeiten des Landesamtes für Denkmalpflege an der Südseite des römischen Kastells in sekundärer Verwendung aufgefunden1); zur Zeit im Depot des Landesamtes für Denkmalpflege, Mainz (Außenstelle Koblenz-Ehrenbreitstein). Kalkstein mit liniengerahmtem Feld, darin siebenzeilige Inschrift zwischen Linien, am Textende ein kleines lateinisches Kreuz. Beschädigung durch Löcher und Ritzungen.

Maße: H. 54, B. 40,5, Bu. 4-8 cm.

Schriftart(en): Vorkarolingische Kapitalis, Typ 2 (Fränkische Schrift).

Bild zur Katalognummer 10: durch Löcher und Ritzungen beschädigter Grabstein der Fredoara

Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz [1/1]

  1. HIC REQVIIS/CIT IN PACE / FREDOARAa) / VIXIT AN/NVNb) LXXIII OVI/IT X[.]c) K(ALEN)DAS / FEBRVARI/ASd)

Übersetzung:

Hier ruht in Frieden Fredoara. Sie lebte 73 Jahre. Sie starb am (..)2) Tag vor den Kalenden des Februar.

Kommentar

Die flach und dünn in scriptura continua eingehauene, fast wie eingeritzt wirkende Schrift ist insgesamt sehr uneinheitlich ausgeführt. Die Größe der Buchstaben schwankt stark, vor allem in den letzten Zeilen. Neben der für die fränkische Schrift typischen Schaftverlängerung bei B, E und R sowie der Verwendung des rautenförmigen O sind weitere auffällige Buchstabenformen zu beobachten: spitzes A mit geknicktem Mittelbalken, innen offenes B, L mit linksschrägem Balken, offenes P, unziales Q mit kleinem offenem Bogen und unverbunden nach unten weisender Cauda, offenes R mit verkürzter gerader Cauda sowie S mit geradem bzw. linksschrägem, beidseitig verlängertem Schaft und unverbunden angeordneten Bögen.

Die vom klassischen Latein abweichenden Formen REQVIISCIT statt REQVIESCIT, ANNVM/ANNVS statt ANNOS und OVIIT statt OBIIT sind so oder ähnlich auch sonst in frühchristlichen Inschriften nachzuweisen3).

Abgesehen von der mangelhaften Ausführung der Schrift zeigt der vorliegende Grabstein große Ähnlichkeit in Konzeption und Formular mit dem der Audulpia4). Mit der wie diese in hohem Alter verstorbenen Fredoara5) könnte ein weiteres weibliches Mitglied der fränkischen Bevölkerung Boppards greifbar werden. Da aber auch hier - wie bei Chrodebertus - eine stark romanisierte Form des in diesem Falle altgermanischen Namens *Fridu-wara ('Friedenswahrerin') vorliegt6), ist nicht auszuschließen, daß es sich um eine Romanin gehandelt hat. Das kleine Kreuz am Ende der Inschrift betont ihren christlichen Charakter. Die von Boppert/Fehr vorgeschlagene Datierung ins 6. Jahrhundert stützt sich auf "Parallelen der Ruhe- und Sterbeformel, die in dieser Zeit ... ihre größte Verbreitung hat".

Textkritischer Apparat

  1. DUARA Wegner, Denkmäler.
  2. Sic! wohl für ANNVM bzw. ANNVS. - an/nus n(umero) Gutachten Boppert (wie Anm. 1); Wegner; an/uns n(umero) Boppert/Fehr.
  3. Nach dem auffällig klein geschriebenen X folgt ein Spatium, in dem keine Buchstabenreste zu erkennen sind. Danach und vor K ist in ebenfalls kleiner Schreibweise ein nach rechts geöffneter Bogen zu sehen, den Boppert/Fehr als s transkribiert und als Deutung (in) X(ri)s(to) vorgeschlagen haben (so auch Wegner, Denkmäler). - Die Interpretation des X als Christogramm an dieser Stelle ist abwegig. Vielmehr fordert der Akkusativ von KALENDAS ein Zahlzeichen. Daher gehört der kleine Bogen, der als nach rechts gedrehtes U aufzufassen sein dürfte, vermutlich zu dem X. Das ergäbe die Zahl 15 und damit das Datum 18. Januar.
  4. AS und das Kreuz aus Platzgründen und das Kreuz mittig unterhalb der letzten Zeile eingefügt; k(alen)das I / Februari/as (in) p(ace) Boppert/Fehr; Wegner. - Die abweichende Lesung von Boppert/Fehr erklärt sich durch die Verwechslung des verlängerten geraden Schafts des S mit einer an dieser Stelle unüblichen Zahl I bzw. eines Buchstabens P.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu die Angaben bei Boppert/Fehr. Demnach war der Grabstein als Deckstein einer späteren, von Steinen umstellten Grabgrube aus dem 7./8. Jh. (Fundstelle: Am Stierstall, Turm IX, Grab 32; Gräberfeld "Im Proffen") verwendet worden. Seine bearbeitete Rückseite läßt jedoch darauf schließen, daß er bereits vor seinem Gebrauch als Inschriftenstein als Deckel einer Steinkiste bzw. eines spätantiken Sarkophages diente. - Frau Dr. Walburg Boppert danke ich für die Einsicht in ihr unpubliziertes Gutachten am 7. Februar 1996 und die Zusendung eines Fotos am 31. Mai 2001.
  2. Möglich wäre die Ergänzung XI bis XIX; vgl. Anm. b, damit ergäben sich die Tagesdaten 14. bis 22. Januar.
  3. Vgl. dazu Boppert, Inschriften pass. und oben Nr. 4 Anm. 3.
  4. Vgl. Nr. 7 mit Hinweisen zur Datierung.
  5. Diese Namenform ist in dem vergleichbaren Inschriftenmaterial bislang nicht bezeugt.
  6. Freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken, vom 11. Juli 2001.

Nachweise

  1. Boppert/Fehr, Sarkophagdeckel 51 mit Abb.
  2. Wegner, Ur- und Frühgeschichte 53.
  3. Wegner, Denkmäler 760.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 10 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0001004.