Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 7 Boppard, Kath. Pfarrkirche St. Severus 2.H.6.-7.Jh.?

Beschreibung

Grabstein der Audulpia. Im Jahr 1951 "bei der Fundamentierung eines Stahlmastes für die Oberleitung der Eisenbahn am Rande der Marienberger Straße"1) gefunden, jetzt innen an der Westwand von St. Severus angebracht. Nahezu quadratische Platte aus Kalkstein mit liniengerahmtem Feld, darin siebenzeilige Inschrift zwischen Linien. Die nur zum Teil beschriebene letzte Zeile ist durch eine Zickzack-Linie gefüllt. Die Ränder sind leicht beschädigt, der untere Randstreifen sowie die untere Hälfte der letzten Zeile fehlen.

Maße: H. 46, B. 55, Bu. 4-5 cm.

Schriftart(en): Vorkarolingische Kapitalis, Typ 2 (Fränkische Schrift).

Bild zur Katalognummer 7: Grabstein der Fränkin Audulpia

Thomas G. Tempel (GDKE Denkmalpflege) [1/1]

  1. HIC REQVIISCIT / IN PACE AVDVLPI/A VIXIT ANNVS / SEPTVAGENTA / ET QVINQVI OVIIT / OCTAVO K(A)L(ENDAS) IV/NIAS

Übersetzung:

Hier ruht in Frieden Audulpia. Sie lebte 75 Jahre. Sie starb am 8. (Tag) vor den Kalenden des Juni (25. Mai).

Kommentar

Die in scriptura continua eingehauene fränkische Schrift erhält durch Schaftverlängerung (bei D, E, L, N, P, R und einmal bei T) sowie durch die Verwendung des rautenförmigen O ihr charakteristisches Aussehen. Weiterhin sind folgende auffällige Schreibweisen zu beobachten: spitzes A mit linksschrägem Mittelbalken, E mit verkürzten Balken, G mit unverbunden um den unteren Bogenabschnitt halbkreisförmig gelegter Cauda, K mit längerem unteren Schrägbalken, L mit linksschräg verlängertem Balken sowie unziales Q mit offenem Bogen und unverbunden nach rechts unten weisender Cauda und offenes R mit außen am Bogen ansetzender gerader Cauda. Eine neue, außerhalb Boppards nur ganz vereinzelt nachweisbare Buchstabenform2) zeigt sich in der Ausführung des S, dessen Bögen an einen hier linksschräg gestellten und beidseitig verlängerten Schaft angesetzt sind, so daß ein X-ähnlicher Buchstabe entsteht. Insgesamt sind die kräftigen Sporen und dreieckig verbreiterten Buchstabenenden auffällig, sowie die weiten Winkel bei A und V.

Die vom klassischen Latein abweichenden Formen REQVIISCIT statt REQVIESCIT, ANNVS statt ANNOS, SEPTVAGENTA statt SEPTUAGINTA, QVINQVI statt QVINQVE und OVIIT statt OBIIT sind Merkmale spätantik-frühmittelalterlichen Sprachwandels und auch sonst in frühchristlichen Inschriften nachzuweisen3).

Mit Audulpia als weiblicher Form des Männernamens Audulfus4) wird eine in hohem Alter verstorbene Vertreterin der fränkischen Bevölkerung Boppards faßbar. Während sich das Formular ihrer Grabinschrift im Grunde nur durch das hier verwendete REQVIESCIT - statt QVIESCIT - von der Gruppe der älteren Bopparder Grabinschriften unterscheidet, stellt die neue, durch Schaftverlängerung und eckige Buchstabenformen geprägte Schriftart eine grundlegende Veränderung dar5), die wohl mit der allmählichen Durchdringung der germanischen und gallischen Provinzen seit dem 5. Jahrhundert durch die fränkischen Stämme zusammenhängt. Die folgerichtig von Bauer erstmals konsequent als "fränkische Schrift" bezeichnete Variante der vorhergehenden "römisch-christlichen" Schrift6) ist daher zeitlich später anzusetzen7). Dieser Befund wird durch das hier ebenfalls erstmals nachweisbare typisch fränkische Zickzack-Ornament gestützt.

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu die Hinweise bei Pauly und Neumayer. - Die Fundstelle liegt im Bereich des frühchristlichen Gräberfeldes "Im Proffen"; vgl. dazu Einleitung Kap. 4.1.1.
  2. Vgl. dazu Einleitung Kap. 5.1.
  3. Vgl. dazu Boppert, Inschriften pass. sowie oben Nr. 4 Anm. 3.
  4. Vgl. dazu Morlet, Noms I 45 und Förstemann, Namenbuch 204f. - Zwar konnten bislang beide Namensformen in vergleichbaren Inschriften nicht nachgewiesen werden, dagegen häufig im sonstigen Namenmaterial. Die von germanisch -wulbjo 'Wölfin' im Zweitelement abgeleiteten Namen wie Waldulpia, Odulpa, Rihhulba bzw. in ihrer männlichen Form Audulfus, Odulfius, Hruadulp kommen vom 7. bis zum 9. Jh. fast nur im fränkischen Raum (Mittelrhein, Hessen, Südrheinfranken) vor (freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs, Saarbrücken, vom 11. Juli 2001).
  5. Vgl. dazu ausführlich Einleitung Kap. 5.1.
  6. Vgl. dazu Bauer, Epigraphik 12.
  7. Vgl. zur Datierung Einleitung Kap. 4.1.1.

Nachweise

  1. Röder, Fundbericht, Abb. 3.
  2. Pauly, Geschichte 1, Abb. 5.
  3. Pauly, St. Severus 13 mit Abb.
  4. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.1, 416.
  5. Neumayer, Grabfunde 170.
  6. Volk, Boppard, Abb. S. 71.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 7 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0000703.