Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 421(†) St. Goar, Schloß Rheinfels 1672

Beschreibung

Chronikalische Inschrift mit Bauinschrift auf einer Platte aus rotem Sandstein, ehemals eingelassen über dem Tor der innersten Zugbrücke auf Burg Rheinfels. Nach der Zerstörung von Rheinfels 1796/97 angeblich verschollen, konnte die Platte um 1844 "als Tischplatte (...) im Garten des Herrn Apotheker Ihl zu St. Goar" wieder aufgefunden werden1). Spätestens 1925 befand sie sich "in einer Wand der Erfrischungsstube (auf Rheinfels)"2) und wurde nach der Errichtung des Schloßhotels 1974 in der damaligen Burgschänke angebracht3). Gegenwärtig dürfte sie sich unzugänglich hinter der Wandverkleidung dieser inzwischen als Privatwohnung genutzen Räumlichkeiten befinden4).

Nach Grebel, Rheinfels.

Maße: H. ca. 190, B. ca. 95 cm5).

  1. Anno 1245 hic locus a Diederico comite de Catzenelnbogen ad Rhenum frenandum et telonium erectum conservandum arce et moenibus est communitus monasterium quod hic primitus fuerat Mottenburg vel Marienburg dictum consensu summi pontificis alio translatum. Anno 1255 viginti sex imperialium urbium obsidionem feliciter superavit. Anno 1483 comitatus hic per matrimonium Henrici Hassiae Landgravii cum Anna Philippi senioris et ultimi comitis de Catzenelnbogen et Dietz filia domui Hassiacae jure hereditario obvenit. Anno 1552 Landgravius Philippus ab imperatore Carolo quinto e custodia Gandavensi huc dimissus. Anno 1626 hunc locum subsidiariis Hispanorum copiis domus Hasso-Darmstadiana e Hasso-Cassellensium potestate eripuit. Verum anno 1647 Hasso-Cassellani armis et obsidione iterum vindicarunt in qua tum temporis Ernestus Hassiae land- gravius colonellus legionis equestris fuit et generalis Montaignea) majoris tormenti globo ictus occubuit. Demum hic comitatus per pacta familiae eidem principi Ernesto deo gratia Hassiae landgravio Mauritii filio Wilhelmi quarti nepoti Philippi magnamini pronepoti accrevit qui ad muniendum magnum hunc locum melioremque in statu reponendam sine subditorum aere centum imperialium millia impendit de suo atque ipse operum singulorum inventor et dispositor extitit. Nam incommodus loci situs singularem artem et tales sumtus exegit. Coeptum 1657 majori ex parte vero absolutum 1672.

Übersetzung:

Im Jahr 1245 ist dieser Ort von Graf Dieter von Katzenelnbogen mit einer Burg und mit Mauern befestigt worden, um den Rhein zu beherrschen und den errichteten Zoll zu schützen und zu erhalten. Das Kloster, das hier anfänglich gewesen war, Mottenburg oder Marienburg genannt, ist mit Zustimmung des Papstes anderswohin verlegt worden. Im Jahr 1255 hat der Ort der Belagerung von 26 Reichsstädten glücklich widerstanden. Im Jahr 1483 kam die Grafschaft durch die Heirat Heinrichs, des hessischen Landgrafen, mit Anna, Tochter Philipps des Älteren und letzten Grafen von Katzenelnbogen und Diez durch Erbrecht an das hessische Haus. Im Jahr 1552 wurde Landgraf Philipp aus seiner Haft in Gent durch Kaiser Karl V. hierhin entlassen. Im Jahr 1626 entriß das Haus Hessen-Darmstadt diesen Ort mit Gewalt dem Haus Hessen-Kassel unter Zuhilfenahme spanischer Truppen. Aber bereits im Jahr 1647 eignete sich Hessen-Kassel ihn mit Waffengewalt und durch eine Belagerung wieder an, bei der zu dieser Zeit der hessische Landgraf Ernst Obrist der Reiterei war und der Generalmajor Mortaigne von einer Geschützkugel getroffen starb. Schließlich ist diese Grafschaft demselben Fürsten Ernst, von Gottes Gnaden hessischer Landgraf, dem Sohn des Moritz, Enkel Wilhelms IV. und Urenkel Philipps des Großmütigen, durch Familienverträge zugefallen, der, um diesen wichtigen Ort zu schützen und ihn in einen besseren Zustand zu versetzen ohne Geld der Untertanen hunderttausend Reichstaler aus eigenem Vermögen aufgewendet hat, und auch selbst als Erfinder und Planer einzelner Bauwerke hervortrat. Denn die ungünstige Lage des Ortes forderte diese besondere Kunstfertigkeit und solchen Kostenaufwand. Begonnen 1657 und zum größten Teil fertiggestellt 1672.

Kommentar

Neben der intensiven Teilnahme an der Diskussion der literarischen und theologischen Fragen seiner Zeit6) widmete sich der seit 1647 mit Maria Eleonora Gräfin zu Solms-Hohensolms verheiratete und seit 1649 in einer eigenen Linie regierende Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels-Rotenburg vornehmlich dem großangelegten fortifikatorischen Ausbau7) seiner Residenz Rheinfels. Im ersten Teil der wohl von ihm in Auftrag gegebenen Inschrift, die dem Betrachter offensichtlich das Alter und die Bedeutung des Ortes vor Augen führen sollte, wird der wichtigsten älteren Ereignisse gedacht, die sich für die Zeitgenossen mit der Burg Rheinfels verbanden: der zwischen 1245 und 1251 erfolgten Erbauung der ersten Burg8) durch Graf Diether V. von Katzenelnbogen, angeblich an der Stelle eines translozierten (sonst unbekannten und wohl ins Reich der Sage gehörenden) Klosters Mottenburg9), der erfolglosen Belagerung der Burg durch den Rheinischen Landfriedensbund 1255/5610), des Anfalls der Grafschaft Katzenelnbogen an Hessen im Jahr 148311) und schließlich des (vermeintlichen) Ortes der ersten Station nach der Entlassung aus seiner Gefangenschaft, an dem der weithin berühmte Graf Philipp der Großmütige wieder heimatlich-hessischen Boden betreten sollte12).

Der zweite Teil der Inschrift thematisiert die wesentlichsten Ereignisse im 17. Jahrhundert zur Zeit des Landgrafen Ernst13). Nachdem als Folge der militärischen Konflikte um den Marburger Erbfolgestreit Rheinfels als Hauptfestung der Niedergrafschaft Katzenelnbogen 1626 gewaltsam von Hessen-Kassel an Hessen-Darmstadt abgetreten werden mußte14), gelang erst über zwanzig Jahre später ihre militärische Rückeroberung. Oberbefehlshaber der damaligen Hessen-Kasseler Truppen war General Caspar Cornelius de Mortaigne, dem im Juli 1647 bei der Belagerung der Rheinfels durch eine Kanonenkugel der linke Unterschenkel abgerissen wurde und der Tage später auf der durch Kapitulation eingenommenen Burg verstarb. Die Reiterei stand unter dem Befehl des damals 24jährigen Landgrafen Ernst. Als 17. Kind des Landgrafen Moritz des Gelehrten von Hessen-Kassel aus seiner zweiten Ehe mit Gräfin Juliana von Nassau-Dillenburg, als Enkel Wilhelms IV. von Hessen-Kassel und Urenkel Philipps des Großmütigen erhielt Ernst bei der Neugliederung der Grafschaft Hessen-Kassel in den Verträgen vom 2. August 1648 unter anderem große Teile der ehemaligen Niedergrafschaft Katzenelnbogen und konnte so die Linie Hessen-Rheinfels-Rotenburg mit Sitz auf Rheinfels begründen. Am Dreikönigsfest des Jahres 1652 konvertierte er mit seiner Gemahlin öffentlich im Kölner Dom zur katholischen Kirche.

Da Rheinfels bei der Rückeroberung stark beschädigt worden war, setzte Landgraf Ernst alles daran, die Burg nicht nur wiederherzustellen, sondern sie ab 1657 zu einer kompliziert strukturierten barocken Großfestung15) mit Basteien, Vorwerken, Schanzen und Gräben auszubauen. Zusätzlich zur auch dies dokumentierenden, vorliegenden Inschrift ließ der Landgraf einzelne Abschnitte seiner Bautätigkeit wie die Fertigstellung des Forts Scharfeneck nach 1670 oder die Erbauung der nach ihm benannten Ernst-Schanze 168616) in weiteren Inschriften festhalten. Aus einem 1702 verfaßten Schreiben seines Sohnes geht hervor17), daß der 1693 verstorbene Landgraf18) für den Ausbau von Rheinfels in den Jahren 1657 bis 1686 über zwei Millionen Reichstaler aus Steuereinnahmen und über 200000 Reichstaler aus seinem Privatvermögen ausgegeben hatte. Bis zu ihrer Zerstörung 1796/97 durch die Franzosen galt Rheinfels als die größte und stärkste Festung am Rhein.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! für Mortaigne.

Anmerkungen

  1. So Grebel, Rheinfels 12.
  2. So Knab.
  3. Freundliche Auskunft von Herrn Leopold Ensgraber, Boppard, Brief vom 11. August 2002.
  4. Freundliche Auskunft von Herrn Gerhard Ripp, Geschäftsführer Schloß-Hotel & Villa Rheinfels, Brief vom 20. August 2002.
  5. Nach Rhein. Antiquarius "6 Fuß hoch, 3 breit".
  6. Vgl. dazu und zum Folgenden die Monographie von Raab, Landgraf Ernst pass., die weitgehend auf dem noch unveröffentlichten Briefwechsel und der fast unbekannten (nur in 48 Exemplaren gedruckten) Autobiographie des Landgrafen basiert sowie zuletzt Ritter, Landgraf Ernst pass.
  7. Vgl. dazu unten Anm. 11.
  8. Vgl. dazu Nr. 114 Anm. 8.
  9. Vgl. dazu die die kritischen Bemerkungen von d'Hame und Kupp, die sich bereits zu ihrer Zeit gegen eine damals wohl vorgenommnene Identifizierung mit dem Benediktinerinnen-Kloster Marienberg bei Boppard wandten.
  10. Vgl. dazu Nr. 114 Anm. 9.
  11. Vgl. dazu und zum Folgenden Demandt, Katzenelnboger Grafen pass. - Im Juli 1479 verstarb Graf Philipp d. Ä. von Katzenelnbogen als Letzter seines Geschlechts, 1494 seine Erbtochter Anna, die seit 1457 mit dem 1483 verstorbenen Landgraf Heinrich III. von Hessen-Marburg verheiratet war. Interessanterweise markiert dessen Tod - und nicht das sonst genannte Datum 1479; vgl. dazu Nr. 114 - für den Verfasser der Inschrift den Zeitpunkt des Übergangs der Grafschaft Katzenelnbogen an Hessen.
  12. Der hessische Landgraf Philipp der Großmütige war im Juli 1547 als einer der prominenten Vertreter der protestantischen Partei während des Schmalkaldischen Krieges in kaiserliche Gefangenschaft geraten und im niederländischen Mecheln (nicht in Gent) interniert worden. Zwar war in den durch den Passauer Vertrag von 1552 geregelten Modalitäten der Freilasssung des Landgrafen vorgesehen, daß er "sein Land am 11. oder 12. August in Rheinfels wieder betreten sollte", in Wirklichkeit aber führte ihn sein Weg über Köln und Siegen nach Hessen; vgl. dazu Demandt, Rheinfels 222f. mit Zitat 223.
  13. Vgl. zum Folgenden ausführlich Demandt, Rheinfels 424ff. und 540ff.
  14. Trotz mehrwöchiger Beschießung und Belagerung, an der auch zwei spanische Kompanien beteiligt waren, konnte Rheinfels nicht eingenommen werden; erst ein Räumungsbefehl aus Kassel führte Anfang September 1626 zur Übergabe; vgl. dazu detailliert Rhein. Antiquarius 728ff.
  15. Vgl. dazu Fischer, Rheinfels pass. - Seiner inschriftlich erwähnten Tätigkeit als inventor et dispositor könnte die Ausbildung in der Fortifikationskunst zugute gekommen sein, die er während seiner Kavalierstour in Paris durch den ehemaligen königlich-schwedischen Generalquartiermeister erhalten hatte; vgl. dazu Raab, Landgraf Ernst 15.
  16. Vgl. Nrr. 419 und 446.
  17. Vgl. dazu Rhein. Antiquarius 736.
  18. Er ließ sich nicht in der von ihm 1657 gestifteten katholischen Kirche in St. Goar bestatten, sondern in der Kirche des Boppard gegenüberliegenden Kapuzinerklosters Bornhofen; vgl. dazu Knetsch, Hessen-Rheinfels pass.

Nachweise

  1. d'Hame, Confluvium I 1, 9f. (1. Absatz).
  2. Kupp, Preisschrift 498 Anm. n (1. Absatz).
  3. Grebel, Rheinfels 12f.
  4. Grebel, St. Goar 75 (teilw.).
  5. Rhein. Antiquarius II 6, 735.
  6. Knab, St. Goar 106 (übers.).
  7. Rupp, Beiträge 14 Anm. 1 (1. Absatz).
  8. Ensgraber, Chronik 192.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 421(†) (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0042103.