Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 380(†) St. Goar, Evang. Stiftskirche E.16.Jh. bis 1.H.17.Jh., 1724

Beschreibung

Bau- und Renovierungsinschriften innen am nordöstlichen Turmpfeiler. In einem hochrechteckig schwarzumrandeten Feld sind im unteren Bereich noch vier fragmentarische Zeilen einer schwarz gemalten, gereimten Bauinschrift (A) aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu erkennen, die 1724 mit rotbrauner Farbe übertüncht und an gleicher Stelle im gleichen Wortlaut wieder aufgemalt wurde (B). Durch eine Leerzeile getrennt folgt darunter die sich darauf beziehende Renovierungsinschrift (C). Links daneben befindet sich in einem rechteckig ausgesparten rotbraunen Feld eine weitere, ebenfalls 1724 in Schwarz aufgemalte Bauinschrift, aufgeteilt in die Überschrift (D) und das anschließende Chronostichon1) (E).

(A) erg. nach (B).

Maße: H. 146, B. 74 (A, B); H. 49, B. 51 (D, E), Bu. 3,5 (A), 4 (B), 4,5 (C), 3-5 cm (D, E).

Schriftart(en): Kapitalis, gemalt.

Bild zur Katalognummer 380: Bau- und Renovierungsinschriften innen am nordöstlichen Turmpfeiler der Evang. Stiftskirche St. Goar

Heinz Straeter (GDKE Denkmalpflege) [1/3]

Bild zur Katalognummer 380: Ausschnitt aus den Bau- und Renovierungsinschriften innen am nordöstlichen Turmpfeiler der Evang. Stiftskirche St. Goar Bild zur Katalognummer 380: Bau- und Renovierungsinschriften innen am nordöstlichen Turmpfeiler der Evang. Stiftskirche St. Goar
  1. A

    [- - -] DA[RV]MB EIN [CH]RIST [VON] HERT=/Z[EN GRVND] / SOL B[ETEN STE]TS · VND / ALLE · STVNDT

  2. B

    ALS MAN ZAHLT 1400 IAHR 69 NACH CHRIST GEBVRT · / ZWAR · AVF DINSTAG VOR S(ANKT) IOHANES / TAG · DER ERSTE STEIN WART / HIE GELAGT · ZVM KIRCHENTHVRN / DARINNEN NOCH DIE KLOCKEN · / DVRCH GOT HANGEN HOCH · / ALS GEWER EMRICH DASELBIG · / IAR MIT GLAS BESEHR BVRGEMEI=/STER WAR · DER LIEBE GOT GEBIEZT / VND FORT · DAS HIRIN STETS SEIN · / HEILIG WORT · GEPREDIGT WERT / BIS AN DAS END DARNEBEN AVCH / BEID SACRAMENT RECHT AVSGE=/THEILT ZV GOTTES EHR VND TROST / DER BETRVBTEN SVNDER DARVMB / EIN CHRIST VON HERZEN GRVND / SOL BETEN STETS VND ALLE STVND

  3. C

    RENOVATVM IM 1724TEN / IAHR DAa) IOHANN MARTHIN / EHRLEBACH RAHTSBVRGE=/MEISTER WAR

  4. D

    DISTICHON NVMERALE / CONTINENS ANNVM MEN=/SEM ET DIEM ERECTAE HVI/VS PILAE ·

  5. E

    AVRORA MARTIS, SAN/CTI FESTA ANTE IOANNIS / INCLITA BAPTISTAE PILA / LOCATA FVIT

Übersetzung:

(D) Zahlendistichon, das Jahr, Monat und Tag dieses errichteten Pfeilers enthält. - (E)In der Frühe des Dienstages vor dem ruhmreichen Fest des heiligen Johannes des Täufers ist dieser Pfeiler aufgestellt worden.

Versmaß: Deutsche Reimverse (A, B), Chronostichon (E).

Datum: 20. Juni (1469).

Kommentar

Die wenigen erkennbaren Buchstaben der ursprünglichen Inschrift (A) wurden in einer Kapitalis mit weiten Buchstabenabständen und nur schwach abgestuften Haar- und Schattenstrichen ausgeführt. Da N einen leicht geschwungenem Schrägschaft besitzt kann die Inschrift kaum vor dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts entstanden sein. Im Gegensatz dazu steht die deutlich größere und massivere Kapitalis der Barockzeit. Da sie auf zeitübliche Variationen und Schmuckformen wie etwa Rechtsneigung der Schrift und die Verwendung von U statt V verzichtet, könnte sich darin das Bemühen zeigen, nicht nur textlich, sondern auch formal der alten Inschrift zu folgen. Bei dem die Jahreszahl 1469 ergebenden Chronostichon sind die Zahlzeichen nicht - wie sonst üblich - erhöht, vielmehr ist der restliche Text verkleinert wiedergegeben.

Die Inschriften beziehen sich auf die scheinbare Grundsteinlegung des Westturms der Stiftskirche, die ihrerseits seit 14442) durchgreifenden Veränderungen unterzogen wurde, indem das romanische Langhaus der Vorgängerkirche durch eine spätgotische Emporenhalle ersetzt wurde. Da sich aber im Bereich des heutigen Kirchturms romanische Teile erhalten haben3), dürfte es sich hier nicht um einen Neubau - wie es die Inschrift suggeriert - sondern eher um einen Umbau gehandelt haben. Die inschriftliche Nennung der beiden Bürgermeister des Jahres 1469 erklärt sich durch die Baupflicht der Gemeinde4) für den Turm.

Es liegt auf der Hand, daß die ursprüngliche Inschrift (A) aufgrund der Schriftform keinesfalls zeitgleich mit dem geschilderten Ereignis entstanden sein kann. Zudem stammen die zwei erhaltenen der inschriftlich erwähnten Glocken aus dem Jahr 1506, eine weitere verlorene trug die Jahreszahl 15025). Einen noch deutlicheren Hinweis gibt der Text selbst mit der Betonung der Predigt und der Reichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt. Da beides Grundpositionen reformatorischen Gedankengutes darstellt, kann die Inschrift in der vorliegenden Form frühestens nach der endgültigen Durchsetzung der Reformation im Stift St. Goar6) um die Mitte des 16. Jahrhunderts angefertigt worden sein. Die Spätdatierung wird durch den Umstand untermauert, daß ab 1550 bedeutende Summen für Reparaturen in der Kirche aufgewendet wurden und nach der spanischen Verwüstung von 1626 bis 1634 die Kirche grundlegend renoviert werden mußte7). Der Grund für die Anfertigung der Inschrift in dieser Zeit bleibt allerdings ebenso ungeklärt wie die Frage, ob sie sich ebenfalls auf eine Vorgängerinschrift bezog oder ob die Auftraggeber die sonst nicht überlieferten Daten aus anderen Quellen schöpften.

Textkritischer Apparat

  1. Mit Auslassungszeichen markiert und in kleiner Schrift hochgestellt nachgetragen.

Anmerkungen

  1. Da das Chronostichon (nicht die Überschrift) bereits im Jahr 1697 abschriftlich überliefert wurde, ist davon auszugehen, daß auch hier die Vorgängerinschrift unter der 1724 aufgebrachten Farbschicht verborgen liegt.
  2. Vgl. dazu die entsprechende Bauinschrift Nr. 71.
  3. Vgl. dazu v. Ledebur, Stiftskirche 7.
  4. Vgl. dazu Grebel 37 und Pauly, Stifte 231. - In den Jahren 1450 und 1460 ist ein Goar Emmerich als Einwohner zu St. Goar bezeugt, bei dem es sich um den späteren Bürgermeister handeln dürfte; vgl. dazu Demandt, Regesten 5098 und 6085/49.
  5. Vgl. Nrr. 149 sowie 154 und 155.
  6. Zwar begannen die Landgrafen von Hessen als Landesherren bereits ab 1527/28 mit der Durchführung der Reformation in ihren Territorien, mußten aber öfters - wie hier im Stift St. Goar - Rücksicht auf rechtliche Gegebenheiten nehmen: Sie konnten nur dort reformatorisch aktiv werden, wo sie das Patronats- oder Präsentationsrecht innehatten; vgl. dazu Pauly, Stifte 172ff. und 220.
  7. Vgl. dazu Grebel, Geschichte 37ff.

Nachweise

  1. Winkelmann, Beschreibung 117 (E).
  2. Knoch, Antiquitates § 111 (E).
  3. Dielhelm, Rhein. Antiquarius 699 (E).
  4. Grebel, St. Goar 33 (E).
  5. Rhein. Antiquarius II 7, 135 (E).
  6. AASS (Julii II) 333 (E).
  7. Rutsch, Boppard 142 (E)
  8. Knab, St. Goar 71 (E).
  9. Clemen, Gotische Monumentalmalereien 355 (teilw.).
  10. Pauly, Stifte 150 (E).
  11. Ensgraber, Chronik 210.
  12. Imhof, Stiftskirche 18 (E).

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 380(†) (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0038001.