Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 343(†) Oberwesel, Kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau 1625

Beschreibung

Altaraufsatz, angebracht ab 1625 auf dem aus dem 14. Jahrhundert stammenden Goldaltar im Chor der Liebfrauenkirche. Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts1) zugunsten eines neogotischen Altaraufsatzes entfernt und zunächst in der Michaelskapelle, dann im Jahr 1904 an seinem heutigen Platz vor dem Westfenster des Nordseitenschiffs aufgestellt. Altaraufsatz aus farbig gefaßtem Holz in Form einer dreigeschossigen, dreiachsigen Säulenädikula. Auf dem Sockelgesims befindet sich die ocker auf Schwarz gemalte Spruchinschrift (B) mit Jahreszahl, darunter der ebenfalls ocker auf Schwarz gemalte Marienhymnus (C). Nicht mehr lokalisieren läßt sich eine einstmals "ausführliche", Ende des 19. Jahrhunderts nur noch fragmentarisch überlieferte, heute verlorene Herstellungsinschrift (D). Im Hauptgeschoß lebensgroße Muttergottes im Strahlenkranz mit dem Kind im Arm, gekrönt von schwebenden Engeln, über ihr die Geisttaube mit der Weltkugel, in den flankierenden Nischen die Apostel Petrus und Paulus. Im ersten Obergeschoß Kruzifixus mit dem schwarz auf Weiß gemalten Titulus (A), zu beiden Seiten Johannes und Maria. Im zweiten, nur noch einachsigen Obergeschoß segnender Gottvater im Lorbeerkranz. Anstelle abschließender Giebel über jeder Achse eine übereck gestellte kleine Ädikula. Der Aufsatz wurde im Jahr 1903 restauriert, dabei die Farbfassung erneuert und der heutige schwarze Sockel hinzugefügt. Ob die Buchstaben nur nachgezogen oder ganz neu gemalt wurden, läßt sich nicht mehr zweifelsfrei entscheiden.

Erg. nach Clemen (D).

Maße: H. 1023, B. 417, Bu. 4 (B, C) cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A, B); humanistische Minuskel (B, C).

Bild zur Katalognummer 343: Altaraufsatz aus farbig gefaßtem Holz in Form einer dreigeschossigen, dreiachsigen Säulenädikula in der Liebfrauenkirche Oberwesel

Thomas G. Tempel (ADW) [1/5]

Bild zur Katalognummer: Sockelgesims mit Inschrift des Altaraufsatz aus farbig gefaßtem Holz in Form einer dreigeschossigen, dreiachsigen Säulenädikula in der Liebfrauenkirche Oberwesel Bild zur Katalognummer 343: Sockelgesims mit Inschrift des Altaraufsatz aus farbig gefaßtem Holz in Form einer dreigeschossigen, dreiachsigen Säulenädikula in der Liebfrauenkirche Oberwesel Bild zur Katalognummer 343: Sockelgesims mit Inschrift des Altaraufsatz aus farbig gefaßtem Holz in Form einer dreigeschossigen, dreiachsigen Säulenädikula in der Liebfrauenkirche Oberwesel Bild zur Katalognummer 343: Inschrift auf dem Sockelgesims des Altaraufsatzes der Liebfrauenkirche Oberwesel
  1. A

    I(ESVS) N(AZARENVS) · R(EX) I(VDEORVM)2)

  2. B

    Illo quo PaR ESt animi Candore precamur: ARa Ter ExcelSoa) Sacra Stet ISTA DEO. MDCXXV ·

  3. C

    Nunc e terris semper ave · O Regina! Subditis · // Nunc a coelis semper fave · Nobis usque miseris · Fortis bellona · Clemens Patrona · Nos tuere servulosb) · // O Maria · Mater pia · Post te trahe filios ·

  4. D†

    [- - -] super [- - -] erat deformior ara [- - -] altior erigitur nobiliorque pede [- - -]

Übersetzung:

(B) Durch jenen, der gleich ist in der Reinheit der Seele, bitten wir: Dieser heilige Altar stehe (hier) für den dreifach erhabenen Gott 1625. - (C) Nun sei von uns, deinen Schutzbefohlenen, von der Erde aus immer gegrüßt, o Königin; nun sei du uns, die wir überall elend sind, vom Himmel her immerfort gewogen. Starke Kriegsgöttin3), gnädige Patronin, beschütze uns, deine schwachen Diener. O Maria, gütige Mutter, zieh' nun deine Söhne an dich. - (D) (...) durch den Aufsatz wurde der recht unproportionierte Altar von Grund auf höher und edler (...).

Versmaß: Distichon (B). Teils paar-, teils endgereimtes akzentrhythmisches Gedicht4) (C).

Kommentar

Die inkonsequente Handhabung der Groß- und Kleinschreibung der Buchstaben im Wortinneren ist einerseits wohl beabsichtigt (vgl. ARa bzw. Sacra), andererseits Folge des Bestrebens, auch Kleinbuchstaben mit Unterlängen gleichgroß und ohne Brechungen zwischen zwei (gedachten) Linien unterzubringen. Bei f und g ist dies nicht gelungen, zudem durchbrechen die eigentlichen Versalien durch die leicht erhöhten, mit Schwüngen versehenen Balken und Schäfte das Zweilinienschema. Als Worttrenner dienen einseitig nach unten ausgezogene Quadrangeln.

Wie aus der fragmentarisch überlieferten Herstellungsinschrift hervorzugeht, sollte der Altaraufsatz das damals wohl als unbefriedigend empfundene Verhältnis zwischen dem zwar breiten, aber eher niedrigen Flügelretabel des Hauptaltars (Goldaltar)5) und der immensen Höhe des von hohen Fenstern geprägten Chorraums ausgleichen. Der Aufsatz wurde 1624 bei Matthäus Heller in Freiburg6) bestellt, ein Jahr später geliefert und auf das gotische Retabel gesetzt. Der genau passende Aufsatz nimmt sowohl ikonographisch als auch inschriftlich Bezug auf Maria als Patronin der Liebfrauenkirche und gilt als "dekoratives Meisterstück ... der Spätrenaissance in den Rheinlanden"7) bzw. als frühbarocker Aufsatz mit "deutliche(n) Reminiszenzen an gotische Flügelaltäre"8).

Textkritischer Apparat

  1. arater excel so Kdm. - Das Spatium zwischen l und s erklärt sich durch ein heute fehlendes Engelsköpfchen.
  2. servatos Clemen; servutos Kdm.

Anmerkungen

  1. Vgl. zum Folgenden ausführlich Clemen, pass.; vgl. auch ebd., Abb. S. 20 bzw. Kdm. Abb. 124 mit dem Zustand bzw. der Rekonstruktion vor dem Umbau.
  2. Joh 19,19.
  3. Bellona ist der Name einer besonders grausamen antiken Kriegsgöttin (vgl. Pauly, Lexikon 1, 858f.) und scheint als wenig passendes Synonym für Maria dem Reim zuliebe ausgewählt worden zu sein.
  4. Schema: abab cc deed.
  5. Vgl. zu diesem weithin berühmten Altarretabel aus der ersten Hälfte des 14. Jh. zuletzt Dölling, Goldaltar pass.
  6. Vertrag im BAT Abt. 71/129 Nr. 204 (nicht eingesehen). - Bei den Stiftern des Aufsatzes dürfte es sich um die dreißig im Buch der Fabrikbruderschaft zu Liebfrauen verzeichneten "Gotteskinder" gehandelt haben, die im Jahr 1625 "zu dem Neuen hohen Altar in v(nserer) l(ieben) Frawenkirchen ... contribuiret" hatten (Zitat nach Heinzelmann, Fabrikbruderschaft 52).
  7. So Clemen 16 und 21.
  8. So Kdm. 235f.

Nachweise

  1. Clemen, Wiederaufstellung 19 mit Abb. S. 21.
  2. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.1, Abb. 72.
  3. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 210 mit Abb. 125.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 343(†) (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0034307.