Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 327 Oberwesel, Michaelskapelle (aus Kath. Pfarrkirche St. Martin) 1618, 1619

Beschreibung

Kanzel. Ursprünglich am zweiten östlichen Pfeiler der Südseite des Mittelschiffs von St. Martin angebracht1), wurde sie 1967/68 abgebaut, in die dortige Sakristei verbracht und schließlich 1985/86 in der Michaelskapelle aufgestellt. Holz mit verschiedenfarbiger Intarsienarbeit. Der Schalldeckel ist in Form eines Sterns mit acht Zacken gestaltet. Auf ihm stand ehemals die Figur des Christus Salvator2). Die ausgehöhlte Unterseite des Deckels wird von wechselnden zurückgestuften Profilen fast ganz ausgefüllt. Der verbleibende sternförmige Grund zeigt ein kunstvoll intarsiertes Jesusmonogramm (A). Auf dem breiten Randstreifen der Unterseite läuft die Herstellungsinschrift (B) um, in der Frieszone der als Gebälk gestalteten Stirnseite das Bibelzitat (C). Unter dem Kranzgesims der vordersten Sternspitze befindet sich ein kleiner Wappenschild mit Initialen und Jahreszahl (D). Der Kanzelkorb ist aus fünf3) Seiten eines Achtecks gebildet, vor dessen Kanten dreiviertelrunde Säulen stehen. Diese tragen ein umlaufendes Gebälk, in dessen Frieszone ein weiteres Bibelzitat (E) erscheint. Die Brüstungsfelder zeigen eingelegte und profilierte Blendarchitekturen: Unter rustizierten Arkaden stehen mit Beschlagwerk gefüllte Ädikulen, in deren Sockeln (von links nach rechts) eine Jahreszahl (F), die Initialen (G) mit dazwischen liegendem Wappen und zwei Initialen (H) mit Marke intarsiert sind. Das mittlere Brüstungsfeld trägt im Scheitelstein seiner Arkade ebenfalls Initialen (I) und eine Marke. Die gut erhaltene Kanzel wurde 1985/86 von der Schreinerei Christ (Oberwesel) restauriert.

Maße: H. 33, B. 170, L. 186 (Schalldeckel); H. 128, B. 120, L. 180 (Korb); Bu. 6 (B, C, E), 3,5 (F, G, H), 1,5 (I) cm.

Schriftart(en): Kapitalis, erhaben (B, C, E, F), eingelegt (A, D, G, H).

Bild zur Katalognummer 327: Unterseite der Kanzel in der Oberweseler Michaelskapelle (stammt ursprünglich aus der Kath. Pfarrkirche St. Martin)

Heinz Straeter (GDKE Denkmalpflege) [1/3]

Bild zur Katalognummer 327: Teil der Frieszone der Kanzel in der Oberweseler Michaelskapelle (stammt ursprünglich aus der Kath. Pfarrkirche St. Martin) Bild zur Katalognummer 327: Teil der Frieszone der Kanzel in der Oberweseler Michaelskapelle (stammt ursprünglich aus der Kath. Pfarrkirche St. Martin)
  1. A

    IH(ESV)Sa)

  2. B

    ANNOb) · DOMMINIc) · 1619 / EST · COLLOCATVM · AD · MAIOREM · DEI · TEROPTIMI · MAXIMI · GLORIAM · BEATISSIMAE · VIRGINIS · MARIAE · DIVI · MARTINI · PATRONI · CAETERORVMQVE · CAELITVM · HONOREM

  3. C

    VERITIS · GLADIVM · SVVM · VIBRAVIT · ARCVM · SVVM · TETENDIT · PARAVIT · ILLVM · ET · INd) · EO · PAIAVITe) · VASA · MORTISf) · SAGITTASg) · SVAS · ARDENTIB(VS)h) · EFFECIT · PS(ALMO) 74)

  4. D

    1619 / F · B

  5. E

    DOMINVS · DABIT · VERBVM · EVANGELIZANTIBVS · VIRTVTE · MVLTA · PSALMO 6[.]5)

  6. F

    1618i)

  7. G

    F · B

  8. H

    MK · · NK6)

  9. I

    I L7)

Übersetzung:

(B) Im Jahr des Herrn 1619 ist (diese Kanzel) aufgestellt worden zur größeren Ehre des dreifach besten, größten Gottes und zum Ruhm der allerseligsten göttlichen Jungfrau Maria, des Patrons Martin und aller anderen Heiligen. - (C) Er wird sein Schwert der Wahrheit schwingen, schon hat er seinen Bogen gespannt und hält ihn bereit. Er hat tödliche Geschosse darauf gelegt; seine Pfeile hat er zu Brandpfeilen gemacht. - (E) Der Herr gibt das Wort den Verkündern der frohen Botschaft mit großer Kraft.

Wappen:
unbekannt8)

Kommentar

Die Buchstaben der drei Hauptinschriften wurden einzeln aus Holz ausgeschnitten, weiß bemalt und auf den eingeschwärzten Untergrund aufgeklebt. A erscheint in Inschrift (B) und (C) mit geradem, in (E) stets mit stark geknicktem Mittelbalken, Q ist aus O mit unverbundener gewellter Cauda gebildet, X aus zwei geschwungenen Schrägschäften. Als Worttrenner fungieren Quadrangeln, die in kleinerer Ausführung in (B) und (C) auch als i-Punkte dienen. Da auch sonst die Formen der Buchstaben der Inschriften (B) und (C) im Gegensatz zur denen der Inschrift (E) geringfügig variieren, ist davon auszugehen, daß die Kanzel insgesamt zwar von einer (unbekannten) Werkstatt hergestellt, die Beschriftungen des Korbes und des Deckels jedoch von verschiedenen Händen ausgeführt wurden. Dazu paßt, daß aufgrund der Jahreszahlen der Korb bereits 1618 fertiggestellt worden sein dürfte, der Deckel dagegen erst im darauffolgenden Jahr.

Die bislang nicht aufzulösenden, in einem Fall übereinstimmenden Initialen dürften zu drei aus der Oberweseler Bürgerschaft stammenden Stifterfamilien gehören. Die auch zu Ehren des Kirchenpatrons St. Martin gestiftete, Renaissance- und Barockformen aufnehmende Kanzel ist eine Rarität und läßt sich nur bedingt mit anderen, in gleicher Technik hergestellten, jedoch meist einfacher ausgeführten Arbeiten9) des Rhein/Main-Gebiets vergleichen. Als direktes Vorbild dürfte jedoch die im Jahr 1602 für Liebfrauen hergestellte Kanzel in Anspruch zu nehmen sein, deren beschrifteter Kanzelkorb10) sich heute in der ehemaligen Zisterzienser-Klosterkirche zu Altenberg befindet.

Textkritischer Apparat

  1. H mit eingestelltem Kreuz.
  2. Die erste Zeile ist spiegelverkehrt ausgeführt und läuft noch auf einer geraden Leiste.
  3. Sic!
  4. N spiegelverkehrt.
  5. So für PARAVIT.
  6. I dem T klein eingestellt.
  7. I dem G klein eingestellt.
  8. N in kleiner Schreibweise.
  9. 1628 Ewerbeck.

Anmerkungen

  1. Vgl. den Hinweis bei Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 619 und das entsprechende Foto bei Campignier, Rundgang 61.
  2. Vgl. dazu Kdm. 390f. mit Abb. 252.
  3. Die erste Seite ist am heutigen Standort parallel zur Wand nach außen versetzt.
  4. Ps 7, 13f.
  5. Ps 67, 12.
  6. Zwischen den Initialen MK und NK Marke Nr. 79.
  7. Zwischen den Initialen I L Marke Nr. 80.
  8. Zwischen den Initialen F B Wappen (vierblättrige Blüte).
  9. Vgl. etwa den in die 1. Hälfte des 17. Jh. datierten Schalldeckel der alten Kiedricher Kanzel (DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis Nr. 624) mit einem übereinstimmenden Bibelzitat, die Brauttruhe in St. Johannisberg von 1588 (ebd., Nr. 505), den Schalldeckel der Kanzel in St. Johannisberg (DI 34, Lkrs. Bad Kreuznach, Nr. 457) von 1607 und die Kanzel in Babenhausen (DI 49, Lkrs. Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau, Nr. 276) von 1594 (Korb) bzw. 1612 (Schalldeckel).
  10. Vgl. Nr. 277.

Nachweise

  1. Ewerbeck, Reiseaufnahmen Blatt 12, Nachzeichnung E (Detail) und F-I; Blatt 13, Nachzeichnung A-C (Details).
  2. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 388 mit Abb. 250f.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 327 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0032705.