Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 278† Boppard, Karmeliterkloster 1603

Beschreibung

Gedenkinschrift des 1293 verstorbenen Mönches Heinrich. Tafel1) aus Holz mit gereimter, abwechselnd in Rot und Schwarz geschriebenen Inschrift. Im August des Jahres 1603 auf Anordnung von Heinrich Sylvius, dem damaligen Generalprior des Ordens, verfaßt und über der zuvor aufgerichteten Grabplatte des Mönches Heinrich im Kreuzgang des Klosters angebracht. Seit unbekannter Zeit verschollen.

Nach Milendunck.

  1. Iama) sol mille suo cursu compleveratb) annos Virgineo a partu centum simul et duo lustra Et tres exactos fatalis terminus instat Octobris nigroc) vere signanda lapillo Vltima lux rapuit virtutum luce coruscum Parca severa virumd) quem sacri gurgitis unda Abluit Henricum rara virtute Priorem Ordinis agnoscit sacri sententia nomen Qui sibi Carmeli divino munere poscit Atque urbs fausta colit sancte Boppardia saxum Ossa tenet cubate) hic gelida tumulatus arena Virtutum exemplar fulgens Henricus at astra Mens tenet et superum felici sede moraturf)

Übersetzung:

Schon hatte die Sonne in ihrem Lauf tausend und hundert Jahre sowie zwei Lustren (zehn Jahre) und drei Jahre seit der jungfräulichen Geburt vollbracht, drohte der verhängnisvolle Zeitpunkt. Der letzte Tag des Oktobers ist wahrlich auf dem schwarzen Stein bezeichnet. Die strenge Parze raubte den im Licht der Tugenden erstrahlenden Mann, den die Woge des heiligen Wassers reinigte, Heinrich, den Prior von seltener Tugend. Es bestätigt der Text den Namen des heiligen Ordens, der für sich den Berg Karmel durch göttliches Geschenk fordert, und die glückliche Stadt Boppard hält ihn heilig. Der Stein birgt die Knochen. Hier liegt, begraben im kalten Sand, das glänzende Beispiel der Tugenden: Heinrich; aber sein Geist erlangt den Himmel, und er verweilt auf dem glückseligen Thron der Heiligen2).

Versmaß: Dreizehn Hexameter.

Kommentar

Der geradezu hymnisch angelegte Text bietet zu Beginn eine versifizierte Paraphrase der in leoninischen Hexametern verfaßten Grabinschrift des nicht im Jahr 1113, sondern im Jahr 1293 verstorbenen Mönches Heinrich3). Die Deutung der figürlichen Darstellung auf der Grabplatte als Karmelitermönch und die Fehlinterpretation des Sterbedatums führten zu der erstaunlichen Schlußfolgerung im zweiten Teil der Gedenkinschrift, in der das hohe Alter des Karmeliterordens und seine frühe Niederlassung in Deutschland thematisiert werden. Der interpretierende Text der Inschriftentafel - nicht die Inschrift der Grabplatte - fand als deren vermeintliche Originalabschrift rasch Eingang in die Ordensgeschichtsschreibung der Karmeliter und wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts häufig als Beleg für das angeblich hohe Alter des Ordens in Deutschland herangezogen.

Textkritischer Apparat

  1. Dum AASS.
  2. compleverit AASS.
  3. nigre AASS.
  4. quem...Henricum fehlt AASS.
  5. iacet AASS.
  6. locatur AASS.

Anmerkungen

  1. Vgl. zum Folgenden Milendunck und AASS 11,2.
  2. Für die Übersetzungshilfe danke ich meinem Mainzer Kollegen Dr. Sebastian Scholz.
  3. Vgl. dazu und zum Folgenden den ausführlichen Kommentar zu Nr. 18.

Nachweise

  1. Libler, Notabilia Historica fol. 57v.
  2. Milendunck, Historia fol. 27v (sowie mehrfach 66v-70).
  3. AASS 11,2 Einleitung S. 30.
  4. AASS 16,3 Einleitung S. 16.
  5. Marx, Erzstift Trier 488.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 278† (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0027802.