Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 273 Oberwesel, Kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau 1601

Beschreibung

Epitaph für Wilhelma Lorbecher, auf einem Postament in die Wand des nördlichen Seitenschiffs eingelassen, ursprünglicher Standort wohl "fur S. Niclas(en) Chörlein"1). Ädikulaförmiges Grabdenkmal aus grauem, zum Teil farbig gefaßtem bzw. vergoldetem Sandstein, Schrifttafeln aus Schiefer. Im Sockel die sechszeilige, weiß gefaßte Grabinschrift (B). Darüber in einer von zwei skulptierten Säulen2) flankierten Nische ein rundbogig gerahmtes Relief: über einer (zum Teil gemalten) Landschaft mit Kreuz eine Pietà im Wolkenkranz, begleitet von Maria Magdalena und zwei Engeln. Im Vordergrund die kniende Familie der Verstorbenen in zeitgenössischer spanischer Tracht: rechts sie selbst mit einer Tochter, links ihr Ehemann mit zwei Söhnen. In der Frieszone des Gebälks ein zweizeiliges, golden gefaßtes Bibelzitat (A). In der Mitte des gesprengten Muschelgiebels zwei nebeneinander stehende, durch die Initialen (C) bezeichnete Marken im Wappenschild. Darüber die reliefierte Halbfigur Gottvaters in einem Tondo, flankiert von den Personifikationen des Glaubens und der Hoffnung.

Von dem bereits 18443) als zertrümmert bezeichneten Grabdenkmal lagen bis zu seiner Wiederherstellung im Jahr 1911 durch den Koblenzer Bildhauer Kurt Jina in der Michaelskapelle "etwa 50 Bruchstücke ... in der Kapelle zerstreut, einzelne ware

Maße: H. 293, B. 180, Bu. 3 (A), 2 (B) cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A), Kapitalis, erhaben (C), Fraktur mit Kapitalis (B).

Bild zur Katalognummer 273: Epitaph der Wilhelma Lorbecher

Heinz Straeter (GDKE Denkmalpflege) [1/2]

Bild zur Katalognummer 273: Schrifttafel des Epitaphs der Wilhelma Lorbecher
  1. A

    QVID EST HOMO QVOD MEMOR ES EIVS: AVT / FILIVS HOMINIS QVIA VISITAS EVM: PSAL. 85)

  2. B

    Zu Ehren der Heiligen dreÿfaltigkeit, vnd Säliger gedechtnusz der / Tugentsamen Frauwen Wilhelmae desz Ernhafften Gerhardt Hellen Churf(ürstlich) / Trierischen Nachschreibersz Zu Boppardt einigen dochter so den 23. / DECEMB(RIS) AN(N)O 1601 in Gott entschlaffen, hatt ihr Nachgelassener / Ehevogt, Caspar Lorbecher Gerichtschreiber alhie dieß MONVMENT / Auff Richten Lassen dero Sehlen Gott genadt

  3. C

    C(ASPAR) L(ORBECHER) W(ILHELMA) H(ELLEN)

Übersetzung:

Was ist da der Mensch, daß du seiner gedenkst, oder der Menschensohn, daß du ihn aufsuchst?

Wappen:
Caspar Lorbecher6)Wilhelma Hellen7)

Kommentar

Die wenigen lateinischen, daher in Kapitalis geschriebenen Worte der ansonsten deutsch verfaßten Grabinschrift heben sich deutlich von der bis in die Details sorgfältig ausgeführten Fraktur mit ihren ausgesprochen fein ziselierten Schwellzügen und -schäften ab.

Wilhelma, einzige Tochter des aus Mesenich (Krs. Trier-Saarburg) nach Boppard zugezogenen Zollbeamten Gerhardt Hellen8), heiratete vor 1594 den aus einer alten kurtrierischen Beamtenfamilie entstammenden, damals ebenfalls in Boppard ansässigen Caspar Lorbecher9). Die Eheschließung erfolgte im gleichen Milieu: Hellen war als Nachschreiber (Kontrolleur des Zollschreibers) der zweithöchste Zollbeamte der kurfürstlich-trierischen Zollverwaltung der Stadt Boppard, Lorbecher als Oberweseler Gerichtsschreiber einer der hochrangigen trierischen Beamten, die vom Kurfürsten persönlich in ihr Amt eingesetzt wurden. Die Familie dürfte mit der Übernahme seiner neuen Stellung um 1601 nach Oberwesel übersiedelt sein, da Lorbecher damals zusammen mit "zahlreichen Vettern und Brüdern"10) den Hof Zweiborn und zwei Weinberge zu Oberwesel als kurtrierisches Lehen erhielt. Mit dem 1594 geborenen Johannes und der 1623 als Patin bezeugten Anna sind zwei der drei auf dem Epitaph dargestellten Kinder des Ehepaars namentlich bekannt. Da das aufwendig gestaltete Grabdenkmal von dem (vor 1615 verstorbenen) Ehemann auch zur Ehre der hl. Dreifaltigkeit gestiftet wurde, ist nicht auszuschließen, daß die programmatisch hierzu noch fehlende Geisttaube den Beschädigungen des 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen ist. Merkwürdig bleibt die Diskrepanz zwischen der bildlichen Ausführung als Familienepitaph und dem fehlenden Platz für eventuelle inschriftliche Nachträge.

Das bisher in der Literatur kaum behandelte, Renaissance- wie Barockmotive verarbeitende Epitaph konnte unlängst aus genealogischen, ikonographischen und stilistischen Gründen dem Mainzer Bildhauer Gerhard Wolff11) zugewiesen werden, womit dessen vielbeachtetes Werk12) um ein weiteres beeindruckendes Stück ergänzt wird.

Anmerkungen

  1. Diese einer um 1600 verfaßten Quelle entnommene Angabe bezieht sich auf den Standort des vermeintlichen Erbbegräbnisses der Familie vor dem südlichen Nebenchor von Liebfrauen; vgl. dazu Urbarium 195-198 und Nr. 241.
  2. Die ehemals seitlich davon auf Konsolen stehenden, heute jedoch fehlenden Figuren der Apostelfürsten Petrus und Paulus gehören (nach Kdm.) wegen der starken qualitativen Abweichungen wohl nicht zur ursprünglichen Ausstattung des Epitaphs.
  3. So NN., Schicksale. - Die spätere Instandsetzung kostete 1325 Mark, die von der preußischen Provinzialverwaltung übernommen wurde (LHAK Best. 441 Nr. 30930, Brief des Provinzialkonservators E. Renard vom 18.8.1921 an die Provinzialregierung in Koblenz).
  4. So Hensler 64.
  5. Ps 8,5.
  6. Marke Nr. 56, darüber die Initialen C L.
  7. Fensterraute, durchsteckt von zwei gekreuzten Schwertern, darüber die Initialen W H.
  8. Vgl. zu ihm Frauenberger, Bürgerbuch 1, 280 und 522. - Von seiner Hand hat sich eine Abrechnung über die Höhe der kurtrierischen Zolleinnahmen aus dem Jahr 1583 erhalten; vgl. Demandt, Rheinzollerbe 3, 522.
  9. Vgl. zum Folgenden Frauenberger, Bürgerbuch 1, 482; Schaaf, Familienbuch Oberwesel 1140 sowie den Kommentar zur Grabplatte der zwischen 1638 und 1652 verstorbenen Anna Lorbecher in Boppard Nr. 386.
  10. Hensler 64.
  11. Vgl. Heinzelmann, Randnotizen 60f. - Diese von Kdm. 335 abgelehnte Zuschreibung und die stattdessen vorgenommene Zuweisung an einen Ende des Jh. in Mainz tätigen Kreis auswärtiger Künstler entbehrt wohl jeder Grundlage; vgl. dazu Heinzelmann, Rezension Kdm. 305.
  12. Vgl. dazu zuletzt Lühmann-Schmidt, Chorgestühl pass., Arens, Wolff pass., ders. Bildhauer 76ff. und Thiel, Sturmfeder-Epitaph pass.

Nachweise

  1. Hensler, Wiederherstellung 63f. (B).
  2. Campignier, Rundgang 48 (B, übers.).
  3. LfD Mainz, Planarchiv, Inv.-Nr. 5437 (Zeichnung).
  4. Heinzelmann, Randnotizen, Abb. 1 S. 61.
  5. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 333 mit Abb. 201.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 273 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0027302.