Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 247 St. Goar, Evang. Stiftskirche 1597

Beschreibung

Epitaph des landgräflich-hessischen Kanzlers Dr. Friedrich Nordeck, befestigt an der Westwand des südlichen Seitenschiffs. Ädikula aus grauem Sandstein, Marmor und Alabaster, die Schrifttafeln aus Schiefer. Im Unterhang mit Putten und Löwenköpfen geschmückte Rollwerkkartusche, darin vierzeiliges Bibelzitat (D) mit später eingeritzten, nicht zugehörigen Jahreszahlen (E), im Sockel weitere Rollwerkkartusche mit fehlender Inschriftentafel. In der von zwei skulptierten Säulen flankierten Nische große Schiefertafel mit gestaffelter Grabinschrift (B) in 20 Zeilen und als Grabgedicht gestalteten Lebenslauf (C) des Verstorbenen. In der Frieszone des von einem Dreiecksgiebel bekrönten Gebälks Rollwerkkartusche mit einzeiliger Spruchinschrift (A). Die Inschriften sind durchgehend vorliniert und golden gefaßt. Das Epitaph weist mehrere Bruchstellen auf, zudem fehlen einige kleinere Teile. Laut Grebel soll das Grabdenkmal bei der Restaurierung der Kirche im Jahr 1843 beseitigt worden sein1).

Maße: H. ca. 280, B. 160, Bu. 1,5-3 (A, B, C), 2 (D) cm.

Schriftart(en): Kapitalis (A, B, C), Fraktur (D).

Bild zur Katalognummer 247:  Renaissance-Epitaph des landgräflich-hessischen Kanzlers Dr. Friedrich Nordeck

Heinz Straeter (GDKE Denkmalpflege) [1/1]

  1. A

    MEMENTO MORIa)

  2. B

    D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) / S(ACRVM) FRIDERICO NORDECCIO CASSELLANO / J(VRIS) V(TRIVSQVE) D(OCTOR) / ADSESSORI CAME- RAE IMPERIALIS=a)/ ET TRIVM / ILLVSTRISS(IMORVM) P(ATRVM) P(ATRIAE) HASSIAE LANDGRAVIORV(M): ET C(ETERA) / PHILIPPI PATRIS / ET FILIORVM: / PHILIPPI ET GVLIELMI / CONSILIARIO / ET / COMITATVS INFERIORIS CATTIMOELIBOCENSISb), / GOARI / CANCELLARIO ET PRAESIDI / PIO, IVSTO, INDVSTRIO: / AETAT(IS) ANN(O) LXV · PIE SANCTEQVE / MORTVO, / MOESTISS(IMA) VIDVA CVM · FILIIS / M(ONVMENTVM) P(OSVIT)

  3. C

    EDIDIT HASSIACAE QVEM STIRPS NORDECCIA GENTIS, HOC SITA FRIDRICI CONTEGIT OSSA SOLVM · CVI CASSELLA VELVT DEDERAT PRIMORDIA VITAE: SIC MENTEM STVDIIS IMBVIT ILLA BONIS. NONDVM BIS DENOS VITAE COMPLEVERAT ANNOS, CVM SENIS DOCTOR IVRIS IN ARTE FVIT. CONSILIO CVIVS SENIOR STVDIOQ(VE) PHILIPPVS HASSORVM PRINCEPS VSVS VBIQ(VE) FVIT. CVM FVIT ADSESSOR CAMERAE: COMITVM ILLE FIDELISc) MOX ALIQVOT, BREMAE NESTOR ET VRBIS ERAT PRINCIPIS HASSIACI CVM CANCELLARIVS ESSET, EIVS ET HAC GERERET PRAESES IN VRBE VICES: IVS PIETAS, AEQVVM, GRAVITAS, PRVDENTIA, CANDOR, PERPETVA OFFICII CEV CYNOSVRA2), FVIT. TANDEM ANIMA(M) CHRISTO CV(M) MORTE RESIG(N)AT OVAN- TEM, VIX TRIA PERMENSVS DENAQ(VE) LVSTRA FVIT. OB(IIT) AN(NO) SAL(VTIS) M · D · XCVII: 26. APRIL(IS) 33 LIBE- ROR(VM)c) PATER (ET) AVVS.

  4. D

    1 Timo(theum): am Ersten / Denn das ist ihe gewiszlich war vnnd ein thewr wer=/des wort Das christ(us) Jesus kom(m)en ist in die welt / die sunder Selig Zu Machenn3)

  5. E

    1677 / 1677

Übersetzung:

(A) Denke an den Tod! - (B) Dem besten und größten Gott geweiht. Dem Friedrich Nordeck aus Kassel, Doktor beider Rechte, Assessor am Reichskammergericht und Rat dreier hochberühmter Väter des Vaterlandes, nämlich der hessischen Landgrafen (usw.): des Vaters Philipp und der Söhne Philipp und Wilhelm, dem frommen, gerechten, fleißigen Kanzler und Vorsteher der Niedergrafschaft Katzenelnbogen zu St. Goar. Dem im Alter von 65 Jahren fromm und gottgefällig Verstorbenen setzte die tiefbetrübte Witwe mit ihren Söhnen dieses Denkmal. - (C) Hervorgebracht hat ihn das Geschlecht Nordeck vom hessischen Stamm. Diese Erde bedeckt Friedrichs hier liegende Gebeine, dem Kassel so wie es ihm den ersten Anfang seines Lebens gab seinen Geist mit guten Kenntnissen erfüllte. Er hatte noch nicht einmal zweimal zehn Jahre seines Lebens vollendet, als er Doktor in der Kunst des alten (römischen) Rechts gewesen ist. Von seinem Rat und seinen Kenntnissen hat der hessische Fürst Philipp der Ältere stets Gebrauch gemacht. Als Kammerassessor ist jener den Grafen treu gewesen. Bald darauf war er für einige Zeit Berater der Stadt Bremen, als er auch Kanzler des hessischen Fürsten war und als dessen Stellvertreter in dieser Stadt (St. Goar) als Vorsteher amtierte. Das Recht, die Frömmigkeit, der Gleichmut, der würdevolle Ernst, die Klugheit und die Redlichkeit sind ein Zeichen der Pflichterfüllung gewesen so wie der ununterbrochen (leuchtende) Polarstern. Schließlich gab er durch den Tod seine frohlockende Seele Christus zurück, kaum daß er dreizehn Jahrfünfte durchwandert hatte. - Er starb im Jahr des Heils 1597, dem 26. April, Vater und Großvater von 33 Kindern.

Versmaß: Acht Distichen (C).

Kommentar

Die sorgfältig ausgeführte Kapitalis weist viele Nexus litterarum, durchgehend erhöhte Versalien und Linksschrägenverstärkung auf. M ist mit bis auf die Grundlinie reichendendem Mittelteil gebildet, O mit wechselnder Achse. Die Texte bieten zudem ein gutes Beispiel für die Ende des 16. Jahrhunderts zu beobachtende Vermischung von Kürzungszeichen, Worttrennern und Satzzeichen4).

Friedrich war ein Sohn des in Kassel wohnhaften, landgräflich-hessischen Sekretärs Johann Nordeck, einem unehelichen Nachkommen aus der adeligen Familie Rau von Nordeck5). Der dort 1532 geborene Friedrich studierte an der Universität Marburg Jura, bevor er im Alter von knapp zwanzig Jahren promoviert wurde und anschließend als Assessor am kaiserlichen Kammergericht und als Rat Landgraf Philipps I. von Hessen (des Großmütigen) diente. In späterer Zeit war er (als Jurist?) für die Stadt Bremen und verschiedene Adelige im Münsterland und in Sachsen tätig6). Da der 1567 verstorbene Landgraf seinem jüngsten Sohn Philipp II.7) die Niedergrafschaft Katzenelnbogen mit der über St. Goar gelegenen Burg Rheinfels als Residenz testamentarisch zugesprochen hatte, begründete dieser die (kurzlebige) Linie Hessen-Rheinfels8) und berief 1568 Friedrich Nordeck als die Regierungsgeschäfte leitenden Kanzler an die Spitze der Verwaltung. Ende August 1570 stellte sich Philipp als Pate eines Kindes seines Kanzlers zur Verfügung und verehrte einer Tochter desselben anläßlich ihrer Heirat 1576 einen goldenen Becher. Nach Philipps Tod im Jahr 1583 ging Hessen-Rheinfels an seinen Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel über, der den in St. Goar verbliebenen Nordeck als erfahrenen Ratgeber beibehielt und ihn am 1. Mai 1584 zum Rat und Diener, speziell für die Angelegenheiten der Niedergrafschaft, bestellte. Die Familie Nordeck9) bewohnte ein stattliches Haus in der Oberstraße, erwarb dort vier weitere Häuser, führte ein Gasthaus in der Hauptstraße und besaß einen freien Hof in Dickschied. Mitglieder der Familie lassen sich im 17. und 18. Jahrhundert als Amtmänner, Bürgermeister und Zollschreiber in St. Goar nachweisen10).

Das hervorragend gearbeitete Renaissance-Epitaph mit seiner in zeitgenössischer Manier abgefaßten Vita spiegelt formal wie inhaltlich die hohe Stellung des Verstorbenen als Kanzler der Grafschaft Hessen-Rheinfels wieder. Die ausführende Werkstatt ist nicht bekannt11).

Textkritischer Apparat

  1. In scriptura continua, I aus Platzgründen kleiner.
  2. I über den Balken des L gestellt; G in O eingestellt.
  3. I über den Balken des L gestellt.

Anmerkungen

  1. Grebel, St. Goar 36.
  2. Cynosura bezeichnet das Polargestirn bzw. das Sternbild Kleiner Bär, darin als Fixstern herausragend der Polarstern; vgl. dazu Georges, Handwörterbuch I 1112 und Bauer, Sternkunde 45f.
  3. 1 Tim 1, 15.
  4. Da in allen Textteilen bis auf wenige Ausnahmen durchgängig gesetzte Worttrenner fehlen, sind die halbhoch gesetzten Quadrangeln zu Beginn der Inschrift (B) und am Ende der Inschrift (C) als Kürzungszeichen aufzufassen. Ebenso werden Doppelpunkte am Wortende - etwa bei AN(NIS) und APRIL(IS) - nur gelegentlich als Kürzungszeichen, sonst aber als Interpunktionszeichen verwendet. Zudem erscheint der Gebrauch von Punkt und Komma keinen erkennbaren Regeln zu folgen.
  5. Vgl. dazu Demandt, Amt und Familie 95.
  6. Vgl. dazu den Hinweis bei Demandt, Landgraf Philipp 98.
  7. Vgl. zu seinem monumentalen (inschriftlosen) Epitaph in der Evang. Stiftskirche St. Goar Nr. 261.
  8. Vgl. dazu und zum Folgenden Demandt, Rheinfels 231ff.
  9. Vgl. dazu und zum Folgenden Grebel, St. Goar 70ff. und Demandt, Landgraf Philipp 98.
  10. Vgl. etwa Nrr. 352 und 400.
  11. Das Epitaph wurde von Lühmann-Schmidt, Chorgestühl 19 in einer Randbemerkung erstmals dem Mainzer Bildhauer Gerhard Wolff zugeschrieben, allerdings ohne einen Beweis für diese Behauptung anzuführen. Ein stichprobenartiger Vergleich mit den für Wolff gesicherten Arbeiten (vgl. dazu Thiel, Sturmfeder-Epitaph 42f.) ergab zumindest aus epigraphischer Sicht keine Übereinstimmung.

Nachweise

  1. Ensgraber, Chronik 293f.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 247 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0024703.