Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 169 Oberwesel, Kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau 1520

Beschreibung

Epitaph für das Ehepaar Ludwig und Elisabeth von Ottenstein, wohl noch am originalen Standort leicht über Eck in den zweiten nordöstlichen Pfeiler des Mittelschiffs eingelassen. Die nahezu vollplastisch gearbeiteten Figuren der Verstorbenen und ihres Mannes stehen unter einem Korbbogen mit vorgeblendetem Kielbogen in einer von Säulen gerahmten Nische. Links der Mann in voller Prunkrüstung mit offenem Visier und Ordenskette1); rechts die Frau mit gefalteten Händen in zeitgenössischer Adelstracht, mit Haube, dekolletiertem, gegürtetem Kleid und Mantel. Die Kostüme sind bis in die Einzelheiten ausgeführt, die Gesichter porträtähnlich gestaltet. Der konkav gearbeitete Sockel ist mit einer vierzeiligen, ehemals golden gefaßten, von zwei Wappen flankierten Sterbeinschrift versehen, die wie auf aufgenageltes Pergament geschrieben erscheint. Die je nach Luftfeuchtigkeit fleckig wirkende Oberfläche des graugelben Sandsteins ist leicht bestoßen, die Schamkapsel des Ritters wurde abgearbeitet, Kragen und Dolch sowie Stab (bzw. Streitkolben) sind zum Teil abgebrochen. Die anzunehmende ursprünglich vorhandene Bekrönung2) fehlt.

Maße: H. 236, B. 110, Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Bild zur Katalognummer: Epitaph für das Ehepaar Ludwig und Elisabeth von Ottenstein

Heinz Straeter (GDKE Denkmalpflege) [1/2]

Bild zur Katalognummer
  1. Anno · d(omi)ni · mo · vc · xx · Starb · die · Edell · fraw · / Elszabet · vo(n) · otte(n)steina) · gebor(n)e · fryherin · vo(n) · / Schwartzebu(r)g · vff · S(ankt) · margrete(n) · dag · der · / got · gnedich · sy · vnd · alle · glaubi(g)e(n) · selen · Amen ·

Datum: 13. Juli.

Wappen:
[Ottenstein][Schwarzenberg]
Milwalt3)Thüngen4)

Kommentar

Die zwischen eingeritzten Linien stehende, exakt gehauene Minuskel zeigt i mit überschriebenem Punkt und als Zier Schaftspaltung. Auffällig sind die eigenwilligen, zum Teil mit parallel laufenden Zierstrichen versehenen Versalien, charakterisiert durch die Kombination gebrochener Formen in der oberen und runder in der unteren Buchstabenhälfte. Als Worttrenner dienen kleine Quadrangeln.

Obwohl die Wappen der Eheleute fehlen und sich nur die ihrer Mütter erhalten haben, ist aufgrund der Inschrift und der verbliebenden Wappen davon auszugehen, daß es sich bei der Verstorbenen um Elisabeth Freifrau von Schwarzenberg5) handelt, die im Jahr 1487 geborene Tochter des Wolf von Schwarzenberg und seiner Frau Susanna von Thüngen. Sie war mit dem gleichnamigen, seit 1504 sicher bezeugten Sohn des in Oberwesel sitzenden Ludwig von Ottenstein6) und seiner Frau Elisabeth von Milwalt verheiratet. Letztere entstammte dem bedeutenden, seit Ende des 12. Jahrhunderts in Oberwesel nachweisbaren Geschlecht derer von Milwalt7), die seit 1258 als Mitpatronatsherren der Liebfrauenkirche bezeugt sind. Möglicherweise war sie die letzte ihres Geschlechtes und brachte durch ihre Ehe8) das Patronatsrecht in die Familie von Ottenstein. Damit würde sich etwa der prominente Anbringungsort des Epitaphs in unmittelbarer Nähe zum Altar erklären. Obwohl das Grabdenkmal offensichtlich als gemeinsames Epitaph für ein Ehepaar konzipiert worden war, fehlt die Inschrift für den vor Dezember 1524 verstorbenen Ludwig von Ottenstein, der vielleicht ein eigenes Grabdenkmal an unbekanntem Ort erhalten hatte. Falls die zu Beginn geäußerte Vermutung über die verlorene Inschriftentafel des Mannes nicht zutreffen sollte, könnte deren Fehlen auch damit zusammenhängen, daß Ludwig und Wolf Ludwig, die beiden Söhne des Ehepaars, noch im Jahr 1527 als minderjährig bezeichnet werden und daß auch deren (ältere) Schwester Susanna wohl noch nicht in der Lage war, für die Fertigstellung des Denkmals zu sorgen.

Das Formen und Motive der Spätgotik und der Renaissance meisterhaft verbindende Epitaph fand in der kunstgeschichtlichen Literatur große Beachtung9) - allerdings ohne Berücksichtigung der genealogischen Probleme. Erstmals in der mittelrheinischen Grabplastik ist hier das Motiv zweier sich zuwendender, aus einem Stück gearbeiteter Frontalfiguren nachweisbar. Zunächst als selbständige Arbeit eines unbekannten Schülers des 1519 verstorbenen Mainzer Bildhauers Hans Backoffen bezeichnet10), wurde das Epitaph dem Meister von St. Johannisberg11), später den Bildhauern Konrad Meit12) bzw. Peter Schro13) zugeschrieben. Da aber auch deren im Umfeld Backoffens entstandene Werke umstritten sind, wird das Ottenstein-Epitaph heute eher vage der Mainzer Schule in der Nachfolge Backoffens14) zugerechnet.

Textkritischer Apparat

  1. Gutenstein Kugler; Lehfeldt; Dehio, Gemmingendenkmal 151; Kautzsch; Zichner; Back.

Anmerkungen

  1. Die von v. Oidtman 148 konstatierte Zugehörigkeit des Ritters zum Schwanenorden konnte nicht bestätigt werden; vgl. dazu Kruse (u.a.), Ritterorden 324ff.
  2. Lühmann-Schmid 31 vermutet wappenhaltende Putti. - Bereits Kautzsch 54 und v. Oidtman haben darauf hingewiesen, daß sich dort auch noch die Inschrifttafel des Mannes befunden haben könnte.
  3. Linksgewendet. Schrägbalken.
  4. Ein Balken, belegt mit drei ausgebogenen Pfählen.
  5. Vgl. zum Geschlecht ausführlich Fugger, Seinsheim pass. und Europ. Stammtaf. NF V Taf. 104, sowie zum Folgenden v. Oidtman pass. und Heinzelmann, Epitaph, pass. mit Ahnenprobe. - Die weitverzweigte, im Fränkischen sitzende Familie (Seinsheim-)Schwarzenberg führte als Wappen einen sieben oder achtmal von Blau und Silber gespaltenen Schild.
  6. Vgl. zum Folgenden Gensicke, Ottenstein pass. und Heinzelmann, Epitaph pass. - Die aus dem Limburger Raum stammende, im 15. Jh. zahlreiche Amtmänner der Grafen von Sayn stellende Familie führte drei blaue Schrägbalken in Gold im Wappen.
  7. Vgl. zur Familie Nr. 31.
  8. Laut NN. 47 stellt "Ludwig von Ottenstein der Junge" im Jahr 1467 einen Revers über Lehen aus, "die sein Schwiegervater Johann von Milewald besessen" habe. Für die Jahre 1512 und 1518 ist Ludwig von Ottenstein in Kurmainzer Diensten nachweisbar; vgl. Lühmann-Schmid 33 Anm. 14.
  9. Wie sich die kunsthistorische Beurteilung eines Denkmals wandeln kann, zeigt das 1854 gefällte Urteil von Kugler, wonach die Gesichter des Epitaphiums zwar "fein behandelt", das Ganze aber "minder edel" ausgeführt sei und es sich insgesamt zwar um "moderne Architektur" handele, die jedoch "unschön mit gothischen Reminiscenzen verbunden" sei (Zitat S. 267f.). Über hundert Jahre später findet Kubach dagegen in dem Denkmal "Kostüm und menschliche Haltung zu Beginn des Reformationszeitalters sehr überzeugend gestaltet" (Zitat S. 276), während Lühmann-Schmid dessen besondere Bedeutung "in der idealen und hoheitsvollen Darstellung des ritterlichen Paares" (Zitat S. 32) sieht.
  10. Dehio, Gemmingendenkmal 151 und Kautzsch 54-56.
  11. Kahle, Studien 43f.
  12. Medding 302.
  13. Lühmann-Schmid 31-33.
  14. Kdm. 326.

Nachweise

  1. Kugler, Kleine Schriften 268 (teilw.).
  2. Rhein. Antiquarius II 8, 8.
  3. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 612.
  4. NN., Liebfrauenkirche 48.
  5. Hermann, Führer, Abb. S. 38.
  6. Kautzsch, Backoffen, Taf. 9 mit Abb. 29.
  7. v. Oidtman, Grabdenkmal 148 mit Abb.
  8. Zichner, Oberwesel, Abb. S. 369.
  9. Back, Werke 80 mit Abb. 53.
  10. Medding, Konrad Meit, Abb. S. 32.
  11. Busch, Plastik, Abb. S. 167.
  12. Kubach, Kunstdenkmäler, Abb. S. 132.
  13. Lühmann-Schmid, Peter Schro, Taf. 8 mit Abb. 24.
  14. Bornheim gen. Schilling, Oberwesel, Abb. S. 7.
  15. Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 324 mit Abb. 195.

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 169 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0016909.