Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 99(†) St. Goar, Evang. Stiftskirche zw. 1469 u. 1479 bzw. 1489?
Beschreibung
Wandmalerei mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis und der Darstellung der Apostel mit ihren Attributen in den Zwickelfeldern über den vier Arkaden des Mittelschiffs. Je zwei auf Postamenten stehende, nimbierte Apostel wenden sich einander zu, wobei von jedem Apostel ein meist mehrfach geknicktes Spruchband mit jeweils einem Satz des Glaubensbekenntnisses ausgeht. Die Reihe beginnt mit Petrus (A) im östlichen Zwickel der Südseite und führt über die Apostel Andreas (B), Jakobus d. Ä. (C), Johannes (D), Thomas (E), Jakobus d. J. (F) zu Philippus (G), dem kein Gegenüber beigegeben ist. Die Reihe wird auf der Nordseite des Mittelschiffs im westlichen Zwickel mit dem Apostel Bartholomäus (H) fortgeführt, dann folgen vier leere Felder und schließlich als letzter in der Reihe der "Apostel" Paulus mit zwei Spruchbändern (I1, I2). Zu Füßen von Petrus befindet sich ein unkenntliches Stifterwappen. Zu Füßen von Jakobus d. Ä. kniet ein Kanoniker, über ihm ein Schriftband mit der rudimentären Fürbitte (K). Zu Füßen von Thomas kniet ein weiterer Kleriker mit beigegebenem (leerem) Wappenschild, über ihm ein Schriftband mit der Fürbitte (L).
Nachdem1) bereits Ende des 19. Jahrhunderts im gesamten Kirchenraum Spuren der erst 1843 übertünchten ornamentalen und figürlichen Malereien entdeckt worden waren, wurden sie 1905-06 zunächst teilweise durch den Maler Will aus Rheinböllen,
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
- A
Credo · in deum · patrem · omnipotente(m) · ffactorema) · celi et terre ·
- B
Et · In · ihesum · chr(istu)mb) · filiu(m) eius · vnicu(m) · d(omi)n(u)m n(ost)r(u)m ·
- C
Qui co(n)cept(us) · est · de · sp(irit)u s(an)c(t)o · natus · ex · maria · virgine
- D
Passus sub poncio pÿlato · crucifixus mortuus · et · sepult(us)
- E
Descendit · ad in · ferna · tercia · die · resurrexit a mortuusc) ·
- F
Asscenditd) · ad celos sedet ad dextera(m) dei patris o(m)nipotentis
- G
Inde · venturus est iudicare viuos et mortuos
- H
Credo · In spiritu(m) sanctum6)
- I1
Educa(m) vos de sepulcris ve(str)is p(o)pulus meus7)
- I2
Carnis resurrectionem8)
- K
O [- - -]e)
- L
O thoma · dÿdime · messÿam · flagita · pro · me
Übersetzung:
Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unseren Herrn, empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgestiegen in den Himmel, sitzt er zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, Lebende und Tote zu richten. Ich glaube an den Heiligen Geist (...)9) (A-H). - Ich werde euch, die ihr mein Volk seid, aus euren Gräbern herausführen (I1). - (Ich glaube an) die Auferstehung des Fleisches (I2). - O Thomas Didymus10), flehe zum Messias für mich (L).
unkenntlich11) | leer |
Textkritischer Apparat
- Sic!
- Befund xpm mit Kürzungsstrich.
- Sic! für mortuis.
- Sic!
- Zu erkennen sind noch einzelne Buchstabenreste einer gotischen Minuskel.
Anmerkungen
- Vgl. zum Folgenden ausführlich Bardenhewer/Renard, Wiederherstellung 48 sowie Rudolf 92 und 203f.
- An Inschriften wurden damals von Bardenhewer/Renard jedoch nur die Fürbitte (L) mitgeteilt.
- Bardenhewer/Renard, Wiederherstellung 55.
- Clemen, Gotische Monumentalmalereien 355 Anm. 3.
- So Ledebur, Stiftskirche 9.
- Die weiteren Zwickel der Nordseite dürften mit den fehlenden vier Aposteln und den restlichen vier Sätzen des Glaubensbekenntnisses geschmückt worden sein: "sanctam ecclesiam catholicam, sanctorum communionem / remissionem peccatorum / carnis resurrectionem / vitam aeternam" (Text nach Denzinger, Enchiridion 34).
- Ez 37,12 (teilw.).
- Diese Textstelle stammt aus der fehlenden Schlußpassage des Glaubensbekenntnisses; vgl. Anm. 6.
- Übersetzung nach Denzinger, Enchiridion 34.
- Zuname nach Joh 11,26 (Thomas qui et dicitur Didymus).
- Bei dem Petrus beigegebenen Stifterwappen sind vielleicht noch zwei sich kreuzende Linien zu erkennen.
- Vgl. dazu die Bauinschriften Nrr. 71, 380 und 381.
- Im Unterschied zum weitaus umfangreicheren Nicaeano-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis; vgl. dazu und zum Folgenden Sattler, Apostolisches Glaubensbekenntnis 878ff.
- Vgl. zu den verschiedenen Formen des Glaubensbekenntnisses Denzinger, Enchiridion 21ff. und zur vorliegenden 33f.
- Vgl. dazu van Os, Credo pass.
- Analog zum westlichsten Zwickel der Südseite dürfte auch der entsprechende der Nordseite nicht figürlich ausgeschmückt gewesen sein.
- Vgl. zum Problem der Zwölfzahl Myslivec, Apostel 151f.
- Bei den innen über dem Südportal gemalten knienden Stiftern mit Wappen (Abb. bei Imhof, St. Goar S. 26) handelt es sich um das seit 1452 verheiratete Ehepaar Johann IX. Boos von Waldeck gen. Schwarz-Boos und Katharina Beuser von Ingelheim, die ein Haus in St. Goar besaßen; vgl. dazu Pies, Waldeck Taf. V/3.
Nachweise
- Bardenhewer/Renard, Wiederherstellung 54 (L).
- Clemen, Gotische Monumentalmalereien 366f.
- Benrath, Stifter 15 (I1, L).
- Rudolf, Bardenhewer 94 mit Abb. 103 (H) und 102 (I).
- Kern, Wandmalerei (Ms.).
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 99(†) (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0009906.
Kommentar
Die sorgfältig schwarz auf Weiß gemalte Minuskel zeigt als Besonderheit rubrizierte, der gotischen Majuskel entnommene Versalien. Als Worttrenner dienen Quadrangeln, die (bis auf L) ebenfalls in rot gehalten sind. Das ÿ erhält merkwürdigerweise nur einen Punkt als diakritisches Zeichen. Aufgrund der formal (wie auch inhaltlich) stimmigen Ausführung der Inschriften kann trotz einiger offensichtlicher Fehler davon ausgegangen werden, daß sich der Restaurator eng an das Vorgefundene gehalten hat und sich bei völlig verderbten Inschriften - etwa bei (K) - nicht zu willkürlichen Ergänzungen verleiten ließ. Trotzdem muß davon ausgegangen werden, daß der heutige Duktus der Schrift das Produkt der Restaurierungen ist: Abweichend vom spätmittelalterlichen Gebrauchs variieren Spatien zwischen Schäften (und Bögen) auch dann, wenn keine Bogenenden oder Fahnen das erfordern; daher ist der Abstand zwischen den Schäften des u größer als der zum nachfolgenden i, so etwa in Qui (C). Ebenso fallen fallweise dünnstrichige Verbindungen zwischen Schäften bzw. senkrechten Teilen von Bögen und abgeknickten oberen Bogenabschnitten auf (e, f, s). An besonderen Einzelformen wird man den gelegentlich oben waagerecht umgebrochenen und sehr langen oberen Bogenabschnitt des a, den fehlenden, sonst rechts oben am Schaft angesetzten Balken bei g und die fast regelmäßig oben leicht weiter auseinanderstehenden Schäfte bzw. Bögen von p und u ansehen. Besonderheiten im Duktus sind gerade beim t besonders gut zu beobachten: Bei den t mit relativ breiten Balken endet der Schaft regelmäßig stumpf oder gespalten, während andere eher den Konventionen der Minuskel des 15. Jahrhunderts folgen und daher das obere Schaftende als Spitze ausgebildet ist; ohne erkennbare Regel sind einige t-Balken mit Zierstrichen versehen. Aufgrund dieses Befundes erscheint es dringend geboten, auch Schrifteigentümlichkeiten moderner Restauratoren zu erforschen.
Die Ausmalung der damaligen Stiftskirche hängt mit dem 1444 bis 1469 erfolgten Neubau des Langhauses zusammen12). Aufgrund des Befundes ist davon auszugehen, daß gleich nach Fertigstellung mit einer ersten, ausschließlich ornamentalen Ausmalung der Kirche begonnen wurde, die kurz darauf von einer zweiten, ornamentalen wie figürlichen Ausmalung abgelöst wurde. Das hierbei für das Mittelschiff verwendete Thema der Apostelreihe mit den jedem Apostel einzeln zugeordneten Sätzen aus dem Glaubensbekenntnis ist auf die mittelalterliche Legende zurückzuführen, daß das (darum apostolisch genannte) Glaubensbekenntnis13) von den Aposteln vor ihrem Weggang aus Jerusalem in der Art verfaßt worden sei, daß jeder Apostel einen der zwölf Artikel beigesteuert habe. Der hier inschriftlich dokumentierte Text entspricht im Kern bereits dem seit dem Ende des 2. Jahrhunderts faßbaren Wortlaut eines bei der liturgischen Tauffeier der römischen Kirche verwendeten Glaubensbekenntnisses14), das - mit Zusätzen versehen - spätestens im 13. Jahrhundert in der gesamten abendländischen Christenheit verbreitet war und 1566 auf Anordnung des Konzils von Trient im Römischen Katechismus veröffentlicht wurde. Auffällig ist allenfalls die hier gebrauchte Variante factorem für creatorem.
Aposteldarstellungen mit Texten aus dem Glaubensbekenntnis sind im Mittelalter in geringer Anzahl auf unterschiedlichsten Trägern15) überliefert. Da die Arkaden in St. Goar Platz für 16 bzw. 14 Figuren bieten (die westlichsten Zwickel wurden nicht belegt)16), ist nicht auszuschließen, daß neben Paulus noch ein weiterer "Apostel"17) mit Spruchband aufgeführt war. Das auffällige Fehlen der Sätze aus dem dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses, die die Katholische Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen und die Vergebung der Sünden thematisieren, muß nicht unbedingt auf die um die Mitte des 16. Jahrhunderts durch die Landgrafen von Hessen durchgeführte Reformation zurückzuführen sein, da die fehlenden Sätze auch protestantisch rezipiert wurden.
Ausschlaggebend für die vorgenommenen Datierungsansätze der spätgotischen Wandmalereien ist die für 1469 überlieferte Fertigstellung des Langhauses, das Aussterben des für die Kirche verantwortlichen katzenelnbogischen Grafenhauses im Jahre 1479 und schließlich der durch eine Wappenkombination gegebene Hinweis auf den Stifter Johann Boos von Waldeck18), der bis 1489 urkundlich nachweisbar ist. Als eigentliche Stifter der Wandmalereien im Mittelschiff dürften die beiden zu Füßen der Apostel knienden Personen in Frage kommen.