Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 85 St. Goar, Evang. Stiftskirche um 1460, 1639
Beschreibung
Namensbeischriften und Jahreszahl an der farbig gefaßten Kanzel aus Sandstein, rechts von der Treppe zum Chor. Über einem mit Maßwerk überzogenem Bündelpfeiler ruht der aus sechs Seiten eines Achtecks gebildete Kanzelkorb. Die zweischichtigen Brüstungsfelder zeigen in der hinteren Ebene Maßwerk und in der vorderen von Wimpergen bekrönte Blendarkaden, unter denen Christus, der hl. Goar sowie die vier Evangelisten mit ihren Symbolen in Hochrelief dargestellt sind. Auf den beigegebenen Schriftbändern sind ihre Namen meist gold auf Schwarz aufgemalt. Von links nach rechts sind (zumeist sitzend) dargestellt: Der hl. Goar mit seinen Attributen Kirchenmodell und Kelch, zu seinen Füßen ein kniender Laie mit seiner Marke im Wappenschild, vermutlich der Stifter oder der ausführende Meister. Zwischen beiden Köpfen ist noch eine frühere in Fraktur ausgeführte, weiß auf Schwarz gemalte, dem Bogenlauf folgende Inschrift (A1) zu erkennen, diese überdeckt teilweise die in drei Zeilen später in Kapitalis hinzugefügte, ebenfalls weiß auf Schwarz gemalte Inschrift (A2). Neben dem Gewände der Arkade sind noch Reste einer zweiten in Kapitalis ausgeführten, schwarz auf Weiß gemalten Inschrift (A3) zu sehen. Es folgen der Evangelist Markus mit geflügeltem Löwen und über ihm das gold auf Rot bezeichnete Schriftband (B), dann der Evangelist Johannes mit dem Adler, hinter ihm das Schriftband (C). Unterbrochen wird die Reihe der Evangelisten von der Darstellung des lehrenden Christus in der Kanzel, das ihm beigegebene Schriftband ist leer. Anschließend folgen der Evangelist Lukas mit geflügeltem Stier, seitlich von ihm das Schriftband (D), dann der Evangelist Matthäus mit einem stehenden Menschen, vor ihm das Schriftband (E), hinter ihm die weiß auf Schwarz gemalte Jahreszahl (F). Die wohl zu unbekannter Zeit überarbeiteten Schriftbänder der Evangelisten sind nur noch mit Mühe lesbar.
Maße: H. 130 (Kanzelkorb), B. 45 (eine Kanzelseite), Bu. 2,5-3 cm.
Schriftart(en): Fraktur (A1); Gotische Minuskel mit Versalien (B-E); Kapitalis (A2, A3).
- A1
S(anctus) Goarus Monach[us]a)
- A2
S(ANCTVS) GOARVS / MONACH(VS) / GAL=/[LVS OBIIT DCXI]b)
- A3
[- - -] · GAL[LVS]
- B
S(anc)t(us) M[arcus]c)
- C
Johannes / S(anc)t(us)d)
- D
S(anc)t(us) / Lu[ca]s
- E
S(anc)t(us) Matheus
- F
16 / 39
Übersetzung:
Der heilige Goar, ein gallischer Mönch, starb 611.
Hermann Sander?1) |
Textkritischer Apparat
- Die Inschrift setzte sich wohl mit dem gleichen Text wie (A2) zeilenweise fort, zu erkennen sind allerdings nur noch einzelne Buchstabenreste.
- Ergänzt nach Winkelmann, der die Inschrift kurz vor 1697 "bey der Cantzel der itzigen Kirchen" gesehen und in Kapitalschrift überliefert hat.
- Die ergänzten Buchstaben sind nur noch zu ahnen.
- Sic! - Datierung und Bedeutung der oberhalb des S(anc)t(us) in die Archivolte gemalten, keinesfalls mittelalterlichen Zahl 433 sind rätselhaft.
Anmerkungen
- Marke Nr. 3.
- Der in der durch den Prümer Mönch Wandalbert im Jahr 839 überarbeiteten älteren Vita Goars bzw. in den von ihm selbst verfaßten Miracula s. Goaris nicht mitgeteilte Zeitpunkt des Todes ist umstritten (vgl. dazu Pauly, Stifte 146ff. bzw. MGH SS rer. Merov. 4, 402-423 und MGH SS 15, 361-73 sowie AASS 29,2 (zum 6. Juli), genannt werden von der älteren Forschung auch die Jahre 575, um 600, 647 und 649 (vgl. dazu Grebel 8, 24 und ohne Stellungnahme Pauly, Stifte 159f.). Heyen, St. Goar pass. äußert sich dazu ebenfalls nicht und bezeichnet als "sichere Angaben" zum hl. Goar lediglich seine Tätigkeit "Mitte des 6. Jahrhunderts, die Herkunft aus Aquitanien, die Wirksamkeit am Rhein" (ebd. 93).
- Das aus dem 2. Viertel des 14. Jh. stammende, inschriftlose Hochgrab des hl. Goar mit seiner figürlichen Deckplatte wurde erst im Jahr 1658 aus der Krypta der evangelischen Stiftskirche in die neu erbaute katholische Kirche überführt; vgl. dazu Nr. 395.
- Vgl. dazu und zum Folgenden Kdm. Koblenz I, 9 und 316 mit Abb. 229 sowie Dehio Rheinland-Pfalz 668.
Nachweise
- Winkelmann, Beschreibung 116 (A2).
- Dielhelm, Rhein. Antiquarius 698 (A2).
- Grebel, Geschichte 8 (A2).
- Rhein. Antiquarius II 7, 13 (A2).
- AASS (Julii II) 333 (A2).
- Knab, Heimatbuch 32 (A2, übers.).
- Kdm. Rhein-Hunsrück 2.1, Abb. 23 (A2).
- Nösges, Vita sancti Goaris, Abb. S. 61 (A2).
- Krammes, Stiftskirche, Abb. S. 106.
- Euskirchen, Mittelalter, Abb. S. 95 (A2).
- Nikitsch, Inschriften 40f. (A1-A3, F).
- Imhof, Stiftskirche, Abb. S. 7 (A2).
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 85 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0008503.
Kommentar
Soweit erkennbar, sind die Minuskeln in einem kräftigen, breiten Duktus gehalten, deren Versalien sich an den Formen der gotischen Majuskel orientieren. Auffallend ist allerdings die Abkürzung St. für Sanctus - die man eher im 17. Jahrhundert oder später erwarten würde - statt des in diesem Zeitraum üblichen S. Berücksichtigt man dazu noch die Vertauschung bei Inschrift (C), so spricht alles dafür, daß die Inschriften zu unbekannter Zeit mehrfach überarbeitet worden sind.
Daß im Jahr 1639 offenbar nur die das mutmaßliche Todesjahr des Kirchenpatrons St. Goar mitteilende Inschrift2) in kapitalen Buchstaben neu aufgemalt wurde, zeigt die Bedeutung, die dem Kirchenpatron auch von protestantischer Seite3) beigemessen wurde. Die gut erhaltene Kanzel stellt das einzige erhaltene Ausstattungsstück aus der spätgotischen Erbauungszeit des Mittelschiffs der Kirche dar. Sie soll um 1460 in der Werkstatt des 1454 bis 1488 in Koblenz tätigen Meisters Hermann Sander4) gefertigt worden sein und als Vorbild der um 1465 in Mertloch und 1467 in Koblenz entstandenen Kanzeln gedient haben. Möglicherweise hat sich der Meister zu Füßen des hl. Goar selbst dargestellt, da das zugehörige Wappen u. a. auch Hammer und Winkeleisen aufweist.